Nichts deutet auf ein Happy End hin. Das gelbe Ungetüm steckt fest. In einem Flussbett, irgendwo in der jakutischen Taiga in Russlands Osten. Im Hintergrund grüne Hügel, endlose Wälder. Das Wasser steht schon fast bis zur Kabine. Doch der Fahrer gibt nicht auf und setzt seinen K700 ein Stück zurück um gleich wieder Anlauf zu nehmen. Der Auspuff raucht tiefschwarz, der Motor röhrt, als gehe es um Leben und Tod. Und plötzlich finden die Räder des 12-Tonnen-Traktors halt unter Wasser und ziehen die Maschine langsam an Land.
Die Russen sind stolz auf ihren Kirowez und die Kirow-Werke, die ihn herstellen. Der Clip ist unter russischen Technikfans ein Hit. Beinahe neun Millionen Klicks hat er auf Youtube. Russische Technik ist eben nicht klein zu kriegen, hat Power. Fast 400.000 der mächtigen Maschinen wurden in Petersburg bei den Kirow-Werken zwischen 1962 und 1995 gebaut, Tausende exportiert – in die DDR zum Beispiel, aber auch nach Kanada. Es waren die großen Zeiten der Industrie.
Es waren die großen Zeiten der Industrie.
Sie sind vorbei. Von den alten Zahlen ist man weit entfernt. 3500 Großtraktoren fertigte man zuletzt pro Jahr, laut Unternehmen die Obergrenze des Werkes. Zwischenzeitlich waren es auch mal weniger als 1000 jährlich.
„Wir haben in den letzten Jahren einen zweistelligen Millionenbetrag in die Verbesserung unserer Traktoren investiert“, berichtet Vorstandsmitglied Albrecht Bochow.
Seit fast 18 Jahren regiert Putin nun Russland. Er tut das mit dem erklärten Ziel, die alte internationale Bedeutung des Landes wieder herzustellen. Putins Russland soll wieder so mächtig und respektiert sein wie früher die Sowjetunion. Wenn Putin, wie heute Nachmittag während des G20-Gipfels, auf US-Präsident Donald Trump trifft, dann inszeniert er sich als zweiter starker Mann der Weltpolitik. Syrien, Nordkorea, Klima – überall beansprucht Putin Augenhöhe. Doch dieses internationale Machtstreben kontrastiert mit Russlands innenpolitischer Lage.
Denn so stark, wie Putin nach außen tut, so schwachbrüstig ist sein Land in ökonomischer Hinsicht. Nach einem soliden Aufschwung zu Beginn von Putins Amtszeit, entwickelt sich die Wirtschaft des Landes seit Jahren nun rückläufig – zu hoher Staatseinfluss, zu wenig Rechtssicherheit, verkrustete Strukturen in Bürokratie und Arbeitsmarkt haben die Wirtschaft des Landes abgewürgt. Putins Russland ist ökonomisch ein Scheinriese.
Rubelschock vernichtet Pläne
Ewgenij Ivkin kennt die Probleme russischer Geschäftsleute. Er ist Krisenmanager, ein Job der gerade in Russland heiß begehrt ist. Noch vor kurzem war Ivkin vor allem bei ausländischen Firmen im Einsatz. „Das Problem ist, dass man eigentlich nirgends auf der Welt in der Presse oder im Fernsehen etwa positives aus Russland hört“, ärgert sich Ivkin. Kritisiert jedoch auch seine russischen Kollegen. „Bei uns gibt es jene, die ihr Geld ehrlich verdient haben und jene, die irgendwie und irgendwann plötzlich reich geworden sind“, erklärt der Krisenmanager.
Bei letzteren fuße das Business meist nicht auf einer Idee oder einem guten Produkt, sondern auf guten Beziehungen zu den richtigen Leuten, die in einem bestimmten Segment das Sagen haben. “Diese Leute haben keine Ahnung, wie Geschäfte funktionieren und leider prägen oft gerade solche Leute unser Außenbild.“
Sein letzter Arbeitgeber in Deutschland, Albert Sufijarow, gehört nicht zu dieser Sorte Geschäftsmann. Seit Anfang der 1990er Jahre hatte er sein Käsegeschäft aufgebaut. Erst als Ladenbesitzer, dann als Händler, später selber als Hersteller und Importeur. Anfang 2014 dann warf Sufijarow ein Auge auf den insolventen Safthersteller Rottaler aus der bayerischen Provinz. Ivkin bekam von ihm den Auftrag, das Unternehmen wieder fit zu machen.
22 Zahlen rund um den G20-Gipfel
Ein "Beast" wird durch Hamburgs Straßen fahren: so heißt das Spezialauto von US-Präsident Donald Trump.
Quelle: dpa
Drei Lieblingsfeinde gibt es für die G20-Gegner: Trump, Putin und Erdogan.
Zwölf Waggons hat der Sonderzug, der Aktivisten von Basel durch ganz Deutschland bis nach Hamburg bringen soll.
14 Einlass- und Personenkontrollen gibt es in den Sicherheitszonen rund um die Messehallen.
17 Hubschrauber der Bundespolizei und 11 der Länderpolizeien werden am Hamburger Himmel kreisen.
28 Jahre ist die „Rote Flora“ im Schanzenviertel, ein Zentrum des Anti-G20-Protests, nun schon von Linksautonomen besetzt.
29 Demonstrationen mit G20-Bezug sind zwischen dem 30. Juni und dem letzten Gipfeltag am 8. Juli angemeldet.
30 Lämmer sollen von eigens mitgebrachten Köchen für König Salman bin Abdulaziz Al-Saud und die saudi-arabische Delegation im Hotel „Vier Jahreszeiten“ gegrillt werden.
36 Delegationen mit rund 6000 Delegierten werden erwartet.
38 Quadratkilometer umfasst die Demonstrationsverbotszone.
40 Wasserwerfer der Hamburger Polizei könnten zum Einsatz kommen.
64 Prozent der Weltbevölkerung werden durch die G20 vertreten.
140 Staatsanwälte fahren extra G20-Schichten, insgesamt sind 250 zusätzliche Bereitschaftsdienste eingerichtet.
185 Hunde und 70 Pferde sind für die Polizei im Einsatz.
400 gewalttätige Demonstranten können in der eigens eingerichteten Gefangenensammelstelle in Harburg zeitweise festgesetzt werden.
1096 einzelne Glaselemente bilden die Fassade der Elbphilharmonie, in der Merkel und Co. Beethovens Neunter Sinfonie lauschen.
4245 Tage ist Angela Merkel Bundeskanzlerin, wenn sie am 7. Juli die G20-Kollegen in ihrer Geburtsstadt empfängt.
9349 Kilometer Luftlinie entfernt liegt eine Kneipe, in der man die Aktion „Soli-Mexikaner gegen Trump“ unterstützen kann: das Lokal „Brotzeit“ in Managua (Nicaragua).
12.000 Schokoriegel und 400 Kilogramm Bratwürste stehen im Medienzentrum in der Messe zur Verfügung. Insgesamt sind es rund 15 Tonnen Lebensmittel.
19.000 plus X Polizisten schützen den Gipfel...
100.000 Menschen könnten zu der abschließenden Großdemo „Grenzenlose Solidarität statt G20“ kommen.
185.000 Verpflegungsbeutel stellt die Hamburger Polizei ihren Beamten bereit. Am ersten Gipfeltag gibt es zudem Rindergulasch mit Nudeln.
„Unsere Idee war Rottaler als Premiumhersteller zu positionieren und den russischen Markt zu bearbeiten“. Er stellte einen Teil des alten Personals wieder ein, ließ die Maschinen reparieren. Doch dann kam der Absturz. Die russische Währung verlor in wenigen Wochen beinahe die Hälfte ihres Werts, sodass sogar Moskauer Edelgeschäfte ihre Aufträge stornierten. Auch der Versuch sich auf den lokalen Markt zu orientieren scheiterte. Laut Ivkin hätten die ehemaligen Besitzer des Betriebs bei den Handelsketten noch Schulden zurückgelassen, sodass keiner mit Rottaler etwas zu tun haben wollte. Vor einem halben Jahr beschlossen die Partner ihre Produktion wieder stillzulegen und kein neues Geld ins Projekt zu schießen.
Weil der russische Markt keine Goldmine mehr ist, empfiehlt Ivkin seinen Kunden sich vielmehr nach Exportmöglichkeiten umzuschauen, statt sich auf Russland als Absatzmarkt zu konzentrieren. Zwar erholt sich die russische Wirtschaft allmählich. Die jüngsten Prognosen der Weltbank gehen für das laufende Jahr wieder von einem Plus um 1,5 Prozent aus. Jedoch glauben die wenigsten Experten an eine schnelle Rückkehr alter Kaufkraft. „Die russische Wirtschaft zieht sich an allen Ecken und Enden zusammen“, erklärt Yakov Mirkin, Ökonom der staatlichen Akademie für Volkswirtschaft und Verwaltung. „Die Zentralbank und das Finanzministerium setzten auf Sparmaßnahmen und eine extrem harte Geldpolitik“, meint der Experte.
Das Ziel ist es, die Inflation mit hohen Leitzinsen zu drücken und keine hohe Staatsverschuldung zuzulassen.
International haben die Krisenmanager in der russischen Regierung, das wirtschaftsliberale Lager in Putins System, viel Lob für diese Politik kassiert. Im Januar kürte das britische Magazin „The Banker“ Russlands Elwira Nabiullina zur Zentralbankchefin des Jahres für ihren Kampf gegen die Teuerungsrate. Bisher liefen Krisen in Russland stets nach ähnlichem Muster ab. Nach einem Absturz kam die schnelle Erholung. Und mit ihr die Inflation. Weil die Zentralbank jedoch einen engen Korridor für die Schwankungen des Rubelkurses vorgab, stieg die Kaufkraft der Russen im Vergleich zum Ausland.
Für die Unternehmen bedeutete das vor allem einen schnellen Verlust ihrer Preisvorteile gegenüber ausländischer Konkurrenz. Allerdings forciert das auch nicht gerade das Wachstum. Für die meisten Russen bedeutet es: den Gürtel enger schnallen. Weil den Unternehmen Inlands- wie Auslandsmärkte wegbrechen, steigt die Arbeitslosigkeit. Erstmals in Putins Amtszeit steigt die Zahl der Armen wieder. Galten 2012 noch 15 Millionen Russen als arm, waren es 2015 schon 19 Millionen; bei sinkender Bevölkerungszahl. Die Einkommen der Russen brachen innerhalb von zwei Jahren um bis zu 30 Prozent ein.
Bescheidene Exporterfolge
„Unser BIP wird kaum schneller als zwei bis drei Prozent wachsen, wenn wir unsere Exporte außerhalb des Rohstoffsektors nicht verdoppeln“, warnte jüngst Alexej Kudrin, einst Finanzminister und nun Berater von Präsident Putin. Das Problem eine Nische zu finden, sei gar nicht so groß. „Unsere Unternehmen haben einfach oft Angst vor den Kosten.
Das Hauptproblem, neben fehlenden Wirtschaftsreformen: Putin ist es nicht gelungen, die Abhängigkeit des Landes vom Öl- und Gas-Export zu mindern. Doch der Ölpreis liegt seit nunmehr zwei Jahren mehr oder weniger am Baden. Noch machen Öl und Gas fast zwei Drittel der russischen Exporte aus. Der Einbruch des Öl-Preises 2014/2015 warf das russische Inlandsprodukt auf den Stand von 2009 zurück.
Die Erfolge anderer Industrien sind derweil eher bescheiden. So freute sich jüngst der Lada-Hersteller AwtoWAZ, man habe den Absatz in der EU im ersten Quartal um zwei Drittel steigern können. Wohlbemerkt erreichte die Absatzzahl gerade 1150 Stück. Dennoch träumen auch andere russische Hersteller vom Weltmarkt. So hatte Volkswagen im vergangenen Jahr 5000 Fahrzeuge aus seinem Werk im russischen Kaluga nach Mexico verschifft. Auch der Skoda Yeti, der in Nischni Nowgorod montiert wird, sei ein aussichtsreicher Kandidat auf Export. Insgesamt hatten die Wolfsburger fast 10 Prozent ihrer in Russland montierten Autos ins Ausland geliefert. Renault will in diesem Jahr etwa 14000 Karosserien von Russland in sein Werk in Algerien verfrachten.
Zehn Dinge, die man über G20 wissen sollte
Die "Gruppe der 20" besteht aus der Europäischen Union und den stärksten Volkswirtschaften aller Kontinente. Das sind folgende 19 Länder: Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Türkei und die USA.
Die "Gruppe der 20" hat bei jedem Gipfel internationale Organisationen wie die Weltbank und die Vereinten Nationen (UN) zu Gast. Ständiger Gast ist zudem Spanien. Außerdem werden vom Gastgeber in der Regel weitere Länder eingeladen. Diesmal sind es Norwegen, die Niederlande und Singapur.
Die "Gruppe der 20" repräsentiert knapp zwei Drittel der Weltbevölkerung.
Die "Gruppe der 20" vereint vier Fünftel der weltweiten Wirtschaftskraft und drei Viertel des Welthandels.
Die "Gruppe der 20 "wurde zur internationalen Abstimmung in Finanz- und Wirtschaftsfragen gegründet.
Die "Gruppe der 20" beschäftigt sich inzwischen aber auch mit vielen anderen globalen Themen von der Terrorbekämpfung bis zum Klimaschutz.
Die "Gruppe der 20" trifft sich seit 2008 in der Regel einmal im Jahr auf Ebene der Staats- und Regierungschefs. Während der Finanzkrise 2009 und 2010 gab es sogar zwei Treffen. Schon seit 1999 treffen sich die Finanzminister und Notenbankchefs jährlich.
Die "Gruppe der 20" beschließt bei ihren Gipfeltreffen gemeinsame Erklärungen, die zwar rechtlich nicht bindend sind, politisch aber trotzdem eine starke Signalwirkung haben.
Die "Gruppe der 20" kommt auf Spitzenebene dieses Jahr erstmals in Deutschland zusammen und zum dritten Mal in Europa.
Die "Gruppe der 20" tagt nächstes Jahr in Argentinien, das am 1. Dezember die Präsidentschaft von Deutschland übernimmt.
Auch der koreanische Hersteller Hyundai will sein Werk in Sankt-Petersburg durch Lieferungen in den Nahen Osten auslasten. Branchenkenner warnen jedoch, dass Russland vor allem in Sachen Logistik einfach zu teuer sei für einen großangelegten Export. Deshalb verhandele Volkswagen gerade mit dem Moskauer Industrieministerium darüber, wie die Exporte durch den Staat gefördert werden können.
Wein statt Öl
Pavel Titow und seinen Vater Boris, ein russischer Milliardär der sein Geld einst in der Ölbranche verdiente, versuchen nun, Exporte auf die etwas andere Art anzukurbeln. Vor knapp 13 Jahren übernahmen die Titows eine angeschlagene sowjetische Sektkellerei, die billigen Schaumwein herstellte - und dabei langsam zerfiel. Seitdem hat die Familie 100 Millionen Dollar in die Anlage im Örtchen Abrau Durso an der russischen Schwarzmeerküste gesteckt.
Pavel Titow setzt sich schon mal gerne ans Steuer seines kleinen Helicopters, um Besuchern sein Weingut zu präsentieren. Einst gehörte Abrau Durso zu den Lieferanten des Zaren in Sankt-Petersburg. Nach der Sowjetzeit blieb von alter Größe wenig übrig. Die Titows haben die Anlagen gründlich erneuert. Stolz präsentiert Pavel aus Vogelperspektive hunderte Hektar Weinberge. Weiß strahlt das frisch restaurierte Hotel Imperial, gebaut im Stile des stalinistischen Klassizismus, dessen Eingang ein mächtiger Säulengang schmückt. Unter der neu gepflasterten Strandpromenade versteckt sich der Weinkeller, dessen Tunnel sich über fünf Kilometer strecken.
Russischer Wein sei ein kompliziertes Produkt. “Da muss man erstmal erklären, dass es diesen überhaupt gibt“, weiß Titow. Sich eine Reputation aufzubauen dauere sehr lange. Fast 28 Millionen Flaschen Sekt und zwei Millionen Flaschen Rot- und Weißwein hatte Abrau im letzten Jahr verkauft. Gut ein Prozent der Produktion Prozent ging ins Ausland, etwa 300.000 Tausend Flaschen. Nun sollen allein in diesem Jahr mindestens 800.000 Flaschen in deutschen Supermärkten im Regal landen. Zumal Deutschland erst der Anfang sein soll. Großbritannien sei der nächste Zielmarkt. „Wenn wir bis 2020 10 Prozent unseres Sekts und Weine exportieren, ist es ein Erfolg“.
In der Zentrale der Kirow-Werke in Russland freut man sich dagegen schon jetzt über steigende Aufträge aus dem Ausland. Kürzlich präsentierte das Unternehmen seine Traktoren in Australien. Gleichzeitig gehört das Unternehmen zu den wenigen Investoren, die sich wieder auf den europäischen Markt trauen. „Politik kommt und geht. Wir machen einfach weiter”, erklärt Manager Bochow. Und so investierten die Petersburger zusammen mit deutschen Partnern erneut Geld, diesmal 15 Millionen Euro in eine Fabrik auf der grünen Wiese bei Rostock.
Die jüngste Tochter hört auf den Namen Deutsche Großwälzlager und stellt verschiedene Drehwälzlager, etwa für Kräne, Bagger und Windräder her. Im vergangenen Jahr lief die Produktion an, heute denken die Eigentümer bereits über Expansion nach.
Allein auf den russischen Markt wollen sich die Russen diesmal nicht verlassen. Das Management der Deutsche Großwälzlager agiere unabhängig, während die Kunden vor allem aus Deutschland und Europa kommen. „Wir wollen hier vor allem Know-How gewinnen“, sagt Bochow. Erst langsam meldeten auch russische Kunden Interesse an. Sollte die Aufträge steigen, hat Bochow auch schon eine Idee. Wenn die Bestellungen zunehmen, könnte die Produktion für den russischen Markt in Petersburg einfach gespiegelt werden.
Es ist ein Plan ganz nach dem Geschmack Putins: Er ist nicht besonders realistisch, klingt aber sehr groß.