Russland Putin will EU in eigene Zollunion locken

Russlands Präsident eröffnet der EU die Teilnahme an einer breiteren Eurasischen Wirtschaftsunion – und warnt vor dem TTIP-Abkommen mit Amerika. Die Wirtschaftskrise im eigenen Land hält Putin für überwunden.

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Der russische Präsident Wladimir Putin beim internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg. Quelle: dpa

Fast könnte man meinen, die Wirtschaftskrise in Russland, der Krieg in der Ukraine, die darauffolgende Beziehungskrise zwischen Russland und Europa – all das sei nur ein böser Traum gewesen. Optimismus beherrscht die Stimmung auf dem 20. Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg, wo sich am Freitag fast 10.000 Geschäftsleute aus aller Welt versammeln, so viele wie nie zuvor.

Lange mussten sie warten auf Wladimir Putin, der erst am zweiten Tag und mit gut zwanzig Minuten Verspätung auf die Bühne im nagelneuen Kongresszentrum unweit des Flughafens tritt. Russlands Präsident ist jener Mann, von dessen Politik alles Wohl und Wehe im Russlandgeschäft abhängt. Seine Krim-Annexion und sein verdeckter Krieg in der Ost-Ukraine schadeten dem Investitionsklima im Land, erschütterten die Börsen und schickten den Rubel lange vor dem Ölpreisverfall auf Talfahrt.

Wo deutsche Unternehmen in Russland aktiv sind
E.On-Fahnen Quelle: REUTERS
Dimitri Medwedew und Peter Löscher Quelle: dpa
Dem Autobauer bröckelt in Russland die Nachfrage weg. Noch geht es ihm besser als der Konkurrenz. Martin Winterkorn hat einige Klimmzüge machen müssen - aber theoretisch ist das Ziel erreicht: Volkswagen könnte in Russland 300.000 Autos lokal fertigen lassen. Den Großteil stellen die Wolfsburger in ihrem eigenen Werk her, das 170 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga liegt. Vor gut einem Jahr startete zudem die Lohnfertigung in Nischni Nowgorod östlich Moskau, wo der einstige Wolga-Hersteller GAZ dem deutschen Autoriesen als Lohnfertiger zu Diensten steht. Somit erfüllt Volkswagen alle Forderungen der russischen Regierung: Die zwingt den Autobauer per Dekret dazu, im Inland Kapazitäten aufzubauen und einen Großteil der Zulieferteile aus russischen Werken zu beziehen. Andernfalls könnten die Behörden Zollvorteile auf jene teuren Teile streichen, die weiterhin importiert werden. Der Kreml will damit ausländische Hersteller zur Wertschöpfung vor Ort zwingen und nimmt sich so China zum Vorbild, das mit dieser Politik schon in den Achtzigerjahren begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Die Nachfrage in Russland bricht gerade weg - nicht im Traum kann Volkswagen die opulenten Kapazitäten auslasten. 2013 gingen die Verkäufe der Marke VW um etwa fünf Prozent auf 156.000 Fahrzeuge zurück. Wobei die Konkurrenz stärker im Minus war. Hinzu kommt jetzt die Sorge um die Entwicklungen auf der Krim. VW-Chef Martin Winterkorn sagte der WirtschaftsWoche: "Als großer Handelspartner blicekn wir mit Sorge in die Ukraine und nach Russland." Er verwies dabei nicht nur auf das VW-Werk in Kaluga, sondern auch auf die Nutzfahrzeugtochter MAN, die in St. Petersburg derzeit ein eigenes Werk hochfährt. Der Lkw-Markt ist von der Rezession betroffen, da die Baukonjunktur schwächelt. Quelle: dpa

Aber das soll jetzt vergessen sein. Wladimir Putin erklärt die Wirtschaftskrise für beendet. Die Inflation sinke, der Kapitalabfluss sei gestoppt, die russische Ökonomie werde bald wieder wachsen. „Wir haben die Probleme unserer Wirtschaft in den Griff bekommen“, urteilt Putin, wobei er dies so ähnlich schon in den beiden Jahren zuvor behauptet hatte. Er hält die „systemischen Probleme“ der Weltwirtschaft für ursächlich, eine neue Ära des globalen Niedrigwachstums. Man stelle sich auf Wachstumsraten von zwei bis vier Prozent ein, so Putin, aber das sei heute ganz normal. „Der wirtschaftliche Abstieg ist ein globaler Trend.“

Doch vieles fehlt in Putins Rede. Er vergisst die Ölpreis-Abhängigkeit seiner Volkswirtschaft, die die Währung volatil hält und die Planbarkeit von Investitionen verhindert. Er verspricht wie jedes Jahr die Verbesserung des Investitionsklimas, führt das fehlende Investorenvertrauen aber nicht auf politische Abenteuer wie die Krim-Annexion zurück. Und dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen seinem Land und Europa arg gelitten haben, führt er nicht auf seine Politik zurück: „Russland hat den Niedergang nicht initiiert, wir haben mit den Sanktionen nicht angefangen.“

Aber genug der zweifelhaften Kritik am Westen, so sanft sie diesmal auch dargeboten wird. Wladimir Putin ist gekommen, um den Europäern die Hand auszustrecken – und sie dann in seine Richtung zu ziehen: Der Kremlchef warnt vor einem „einseitigen“ Abschluss des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP, das Brüssel mit den USA verhandelt. „Es würde die Europäische Union einschränken, wenn sie sich auf nur eine Region beschränken.“ Dies könne aber „ausbalanciert“ werden, indem sich die EU seinem eurasischen Projekt anschließe und auch China hierbei einbezogen werde. „Die Eurasische Union ist natürlich offen für Europa“, verspricht Putin.

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