Russland Das Trauma sitzt tief

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Russischer Staat ähnelt immer mehr der alten Sowjetunion

Keine vier Wochen ist es her, da schien noch die Sonne über Putins Russland. Der Autokrat hatte nach Sotschi ans Schwarze Meer geladen Quelle: dpa

Entspannter ist man bei der EADS Airbus Group. Zwar bezieht der Flugzeugbauer 60 Prozent seines Titans von VSMPO-Avisma in Russland, was sich kurzfristig nicht ersetzen ließe. "Aber Airbus könnte Ersatz in Kasachstan finden", meint ein Insider. Aus den Kooperationen zum Bau von Waffen wurde nichts, der Markt für neue Flugzeuge fällt kaum ins Gewicht. 

Keine vier Wochen ist es her, da schien noch die Sonne über Putins Russland.  Der Autokrat hatte nach Sotschi ans Schwarze Meer geladen. Mit Prunk und Protz wollte er der Welt beweisen, wie seine moderne Heimat Olympische Winterspiele an einem unmöglichen Ort möglich ausrichten kann - in einem Badeort mit subtropischen Temperaturen, über dem ein Skigebiet mit bestens präparierten Hängen thront. Nie zuvor hatte sich ein Staat die Spiele so viel kosten lassen wie Russland (wobei ein Teil der investierten 50 Milliarden Dollar in den Taschen von Putin-Bekannten gelandet sein soll). Auch deutsche Unternehmer hatten mit dem Bau von Tunnel, Klimaanlagen und Messtechnik zusammen einige Hundert Millionen Euro Umsatz gemacht. 

Spott und Häme indes gossen internationale Medien über die Spiele der Russen, auf die Putin so stolz war. Es ging mehr um fehlende Trennwände in Toiletten als um das Sportfest, dessen prachtvolle Inszenierung den Landsleuten gefiel.  Westliche Politiker blieben den Spielen wegen der Anti-Homo-Gesetze und Menschenrechtsverletzungen fern. Spätestens da dürfte Putin jeden Zweifel verloren haben: Aus seinem Verhältnis zum Westen wird nie ein gutes werden - zumal er deren Werte nie verstanden hat. 

Umso wichtiger ist für Putin die Unterstützung im Inland. Proteste der Russen gegen seinen Kurs kann er nicht gebrauchen - und notfalls werden sie mit Geld zugekleistert. 

Togliatti, im Februar 2010. Im längsten Autowerk der Welt stehen die Bänder still - der Markt will die rückständigen Kleinwagen nicht haben, die sie hier in Südrussland am Ufer der Wolga fertigen. Dennoch schlurfen Arbeiter zwischen Schneebergen täglich ins Werk, denn dank Finanzspritzen aus Moskau kann Hersteller Awtowas Massenentlassungen vermeiden. Da der Hof mit Autos überfüllt ist, müssen die Arbeiter ihre Fabrik putzen. Manche dürfen bezahlt zu Hause bleiben. Und trotzdem kommt es zu Protesten gegen die Regierung. Den Leuten erscheint es komisch, dass sie seit Wochen keine Autos mehr bauen. 

In jenen Tagen erreichten den damaligen Premierminister Putin ständig Hiobsbotschaften. Nicht nur in Togliatti demonstrieren Arbeiter, auch in Kaliningrad im Westen und in Archangelsk ganz hoch im Norden gehen die Menschen auf die Straße. Putin hat Glück, dass die Wirtschaft nach einem BIP-Minus von 7,8 Prozent im Vorjahr wieder auf Trab kam und auch in Togliatti bald wieder die Bänder rollten. 

Putin ist seitdem so etwas wie ein laufendes Konjunkturpaket: Steuereinnahmen aus dem Öl- und Gasexport steckt er in Infrastruktur und Staatsunternehmen. Er kreiert neue Jobs, und die Werktätigen wählen Putin - das Heer an Beamten, Soldaten und Rentnern erst recht. Heute trägt der Staat mehr als 50 Prozent der russischen Wirtschaftskraft und wird damit der alten Sowjetunion immer ähnlicher. 

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