




Der Zar muss lange mit sich gehadert haben: Eine obszön-musikalische Attacke gegen seine Person, vorgetragen im heiligen Inneren der wichtigsten Kathedrale der Orthodoxie – das hat die Ehre des russischen Präsidenten Wladimir Putin mächtig verletzt. Andererseits ließe sich ein hartes Urteil als Schwäche deuten: Lange Zeit hinter Gittern würden die drei harmlosen Gören der Punk-Combo „Pussy Riot“ zu Märtyrerinnen des Putin-Widerstands werden. So wie der Ex-Oligarch Michail Chodorkowski, nur ärmer.
Heute hat Putins Justiz entschieden: Die Punk-Mädels müssen für zwei Jahre in eine Strafkolonie und kommen dann wieder frei. Der Kreml, der in politischen Verfahren wie diesem zweifellos das Urteil vorgibt, lässt Milde walten – taktische Milde: Zu mächtig wären Spott und Kritik im In- und Ausland geworden, wenn sich Putin von den frechen Punkerinnen hätte einschüchtern lassen.
Das Urteil ist fair – aber für einen Kurswechsel steht es nicht. Jenseits symbolischer Politik und politischer Taktik hat Wladimir Putin in seinen ersten 100 Tagen keine Schritte hin zur Öffnung Russlands gewagt. Stattdessen verschärft er die Kontrolle von politischen Stiftungen, die neuerdings als „ausländische Agenten“ bezeichnet werden.
Zahlen und Fakten zu Russland
Russland ist mit einer Fläche von 17.075.400 km² das größte Land der Erde.
Mit 141,85 Millionen Einwohnern liegt Russland auf Rang 9. Durch die Größe des Landes ergibt sich allerdings eine sehr dünne Besiedlung. Auf einem Quadratkilometer leben umgerechnet nur 8,3 Menschen.
Die Hauptstadt Russlands ist Moskau (Moskwa). Mit 11.514.300 Einwohnern ist Moskau die mit Abstand bevölkerungsreichste Stadt Russlands.
Das Bruttoinlandsprodukt lag im Jahr 2010 bei 1.480 Milliarden US-$. 59 Prozent der Leistung erwirtschaftet der Dienstleistungs-Sektor, 37 Prozent die Industrie, vier Prozent am BIP steuert die Landwirtschaft bei. Der reale Zuwachs lag im vergangenen Jahr bei 4,0 Prozent.
Russland importierte 2010 Waren im Wert von 229 Milliarden US-Dollar. Den größten Anteil haben die chemische Erzeugnisse (14 Prozent). Der Export lag bei 396 Milliarden US-Dollar. Größter Exportschlager sind Erdöl und -produkte, Erdgas und Kohle.
Russland ist in acht Föderationsgebiete mit insgesamt 83 Territorialeinheiten eingeteilt. Diese gliedern sich auf in 21 Republiken, neun Regionen, 46 Gebieten, einem autonomen Gebiet, vier autonomen Kreisen sowie zwei Städten mit Subjekt-Status (Moskau und St. Petersburg).
Russland ist größtenteils christlich geprägt, über 70 Prozent der Einwohner sind orthodoxe Christen, 14 Prozent Muslime, 1,4 Prozent Protestanten, 0,6 Prozent Katholiken sowie 0,5 Prozent Juden.
In den Ministerien sitzen Putins getreue Verwalter, keine reformorientierten Manager. Letztere aber bräuchte Russland, um sich von den Fesseln der Rohstoff-Abhängigkeit zu befreien. Europas größter Wachstumsmarkt müsste sich politisch und wirtschaftlich öffnen, die Hürden für Investoren und heimische Unternehmen einreißen.
Putins Stabilität ist ein Mythos. In Wahrheit steht Stabilität für Stagnation, denn nur mit Öl- und Gasexporten kann Russland nicht nachhaltig wachsen. Die gut ausgebildete Elite weiß das – und flüchtet aus dem Land: Wer forschen und entwickeln, ein Unternehmen gründen oder leiten will, findet jenseits der Grenzen bessere Perspektiven.
Die antiklerikale Performance von „Pussy Riot“ ist nur eine von vielen Formen des Protests gegen den Stillstand unter Putin. Kreativer und weniger vulgär war die Kritik ausgefallen, als die Demonstranten der ersten Putin-kritischen Kundgebungen im Dezember und Januar mit ihren bunten Plakaten auf die Straßen traten. Die weißen Bändchen, die Farbe der Nicht-Einverstandenen, sind noch heute auf den Antennen vieler Autos im ganzen Land zu sehen.
Seit Putin wieder im Amt ist, hat die Mehrheit der Menschen indes resigniert. Die Proteste flauen ab, die Kritik am herrschenden System bleibt – wird aber in Küchen und Kneipen artikuliert. So war das schon zu Sowjetzeiten.
Anders als Autoren westlicher Medien oder Politiker in Europas Hauptstädten gibt sich die Mehrheit der Russen bei allem Mitgefühl gar nicht erst der Illusion hin, dass „Pussy Riot“ einen Regimewechsel herbeipunken könnte. Ganz gleich, ob in Freiheit oder hinter Gittern. Die drei Mädels sind das letzte sichtbare Symbol der Putin-Kritiker – auch, weil die eigentliche Opposition nicht zur Einheit findet. Jedenfalls nicht bis zur nächsten Systemkrise.