Seit 18 Jahren ist Wladimir Putin an der Macht - und noch nie in dieser Zeit schienen er und sein Russland so stark wie heute: Seit der letzten Wahl im Jahr 2012 ist Russland in Teile der Ukraine einmarschiert, hat die Krim annektiert, Syrien großflächig bombardiert, mutmaßlich versucht, den US-Wahlkampf zu manipulieren und verfügt mittlerweile nach eigener Aussage über ein neues, furchteinflößendes Atomwaffenarsenal, darunter auch die Hyperschallrakete „Kinschal“ (Dolch). „Niemand hat uns zugehört“, sagte er bei der Präsentation der Waffen. „Jetzt hört ihr uns zu.“
Putin wird die Präsidentschaftswahl am 18. März mit überwältigender Mehrheit gewinnen, daran gibt es keine begründeten Zweifel. Obwohl er Demokratie als „chaotisch“ und „gefährlich“ bezeichnet, braucht er die Legitimation durch die Wahl. Er will handfeste Belege, dass er und seine Großmachtvisionen den Russen wichtiger sind, als die Freiheiten, die er eingeschränkt hat, wichtiger als die weit verbreitete Korruption, die er nicht ausmerzen konnte, oder wichtiger als die internationalen Sanktionen, die er mit seinen Aktivitäten auf der Krim und in der Ukraine losgetreten hat.
„Jeder Autokrat will Liebe“, sagt der Analyst Andrej Kolesnikow vom Carnegie Moscow Center. Putin bekomme diese Liebe aus der hohen Unterstützung bei den Wahlen. Erwartet wird ein Anteil von rund 80 Prozent der Stimmen. Damit würde Putin seine Autorität über Russland weiter zementieren, eine zarenähnliche Figur mit einer demokratischen Fassade.
Präsident Putin und seine Gegenkandidaten
„Ein starker Präsident, ein starkes Land“ - so lautet der Wahlslogan des Amtsinhabers. Seit rund 18 Jahren ist Putin an der Macht, zwischen 2008 und 2012 regierte er Russland als Ministerpräsident. Vor der Politik machte Putin im sowjetischen Geheimdienst KGB Karriere und war zu DDR-Zeiten in Dresden stationiert. Umfragen staatlicher Institute schreiben dem 65-Jährigen große Beliebtheit zu und sehen ihn bei knapp 70 Prozent Zustimmung.
Der Skandalpolitiker ist bekannt für deftige nationalistische Parolen und für seine zahlreichen Versuche, in das Amt des Präsidenten gewählt zu werden. Den Namen des Rechtspopulisten fand man bereits fünf Mal auf der Wahlliste. Seinen größten Erfolg hatte der Duma-Abgeordnete 2008 mit rund neun Prozent. Der 71-Jährige gilt als verlässlicher Verbündeter des Kremls.
Der 57 Jahre alte Geschäftsmann ist einer der Überraschungskandidaten. Als Bewerber der Kommunistischen Partei (KP) galt Kader-Urgestein Gennadi Sjuganow als gesetzt. Beim Parteitag im Dezember wurde aber der Erdbeerbauer aus Moskau als parteiloser Kandidat nominiert. Experten sehen darin den Versuch, die Partei jenseits von Sowjet-Nostalgie für junge Wähler interessant zu machen.
Seit knapp 25 Jahren kämpft er mit seiner linksliberalen Partei Jabloko für eine gerechtere Politik. Dabei hat der 65-Jährige schon etliche Niederlagen einstecken müssen. Zwei Mal kandidierte er erfolglos bereits für das Amt des Kremlchefs; 2012 zerschlug die Wahlkommission seine Ambitionen wegen angeblich gefälschter Unterschriften. 2007 flog seine Partei aus dem Parlament.
Für manche ist die Mode-Ikone ein Polit-Projekt des Kremls. Jung, weiblich, eloquent - kann die liberale Journalistin so politikverdrossene Menschen für die Wahl begeistern? Die 36-Jährige geht als „Kandidatin gegen alle“ an den Start. Die Tochter von Putin-Mentor Anatoli Sobtschak kritisiert offen das Fehlen von Pluralismus und auch die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim.
Er ist der Sekt-Lieferant des Kremls, mit seiner Marke Abrau Durso macht Titow einen Millionenumsatz. Der Unternehmer führt die sogenannte Wachstumspartei und setzt sich für kleine und mittlere Unternehmen ein. Der 57-Jährige kennt Putin sehr gut, auf dessen Wunsch hin fungiert er als Ombudsmann für Unternehmerrechte.
Der 59-Jährige ist kein Unbekannter in der russischen Politik: Er war 1992/93 ein Wortführer des nationalistisch-altkommunistischen Widerstands gegen Präsident Boris Jelzin, saß bis 2007 im Parlament. Auch danach blieb der Rektor einer Moskauer Wirtschaftsuni politisch aktiv. Die russische Volksunion, ein Bündnis von Nationalisten, nominierte ihn für die Wahl.
Maxim Surajkin ging vor einigen Jahren auf Distanz zur KP. Seitdem versucht er seine Kleinpartei Kommunisten Russlands als Alternative aufzubauen. Dafür bekam er bei der Duma-Wahl 2016 zwei Prozent Zustimmung. Der 39-Jährige kandidierte erfolglos für Gouverneursämter in der Provinz.
In den 14 Jahren als Präsident und den vier Jahren als Ministerpräsident des größten Landes der Welt hat Putin Russlands weltweites Ansehen verändert. Er festigte seine Macht über die Politik und die Wirtschaft, ließ Gegner inhaftieren, bot dem amerikanischen Whistleblower Edward Snowden Asyl an, brachte den Extremismus in der Unruheregion Tschetschenien zum Schweigen, veranstaltete phänomenal teure Olympische Winterspiele und erhielt den Zuschlag zur Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Sommer.
Mittlerweile ist Putin 65 Jahre alt - und es sieht nicht so aus, als würde er in absehbarer Zeit seinen Abschied planen. Seine Wiederwahl wird sein Argument bestätigen, dass für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in Russland Kontinuität wichtiger sei als drastischer Wandel, unabhängige Medien, politische Opposition, Umweltschutz oder die Rechte von Homosexuellen und ethnischen Minderheiten.
Der heute scheinbar allmächtige Putin hat wenig gemeinsam mit jenem Mann, der nach dem überraschenden, am 31. Dezember 1999 erklärten Rücktritt von Boris Jelzin Präsident geworden war. Viele Russen sahen in dem früheren KGB-Mann nicht viel mehr als eine Marionette der Oligarchen, die die Fäden im Kreml zogen.
Russland kämpfte damals noch mit den Folgen des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Die Kriminalität war hoch, die Armee konnte nicht einmal mehr Socken für ihre Soldaten bezahlen, und der Haushalt war abhängig von ausländischen Krediten. 18 Jahre später steuern Putins Freunde die Wirtschaft und das Militär ist wieder erstarkt.
Putin lenkt Russlands Politik seit 18 Jahren
Putin übernimmt die Führung des Landes von Boris Jelzin. Sein erstes Mandat ist geprägt vom Tschetschenien-Krieg und vom Vorgehen gegen Oligarchen. Der prominenteste Fall ist der des Ölmanagers Michail Chodorkowski.
Putin konsolidiert seine Macht. Auch der Personenkult festigt sich. Bei einer scharfen Rede in München 2007 zeichnet sich der Konflikt Russlands mit dem Westen ab.
Nach der Verfassung darf Putin nach zwei Amtszeiten nicht wieder kandidieren. Sein Vertrauter Dmitri Medwedew übernimmt und wird Präsident, Putin Regierungschef. 2012 vollziehen sie eine „Rochade“, Putin wechselt wieder an die Staatsspitze.
Putins Rückkehr in den Kreml wird überschattet von Massenprotesten, die schon nach der Parlamentswahl 2011 begonnen hatten und auch nach der Präsidentenwahl aufflammten. International steht sie im Zeichen der Krim-Annexion 2014 und der schärfsten Spannungen mit dem Westen seit dem Ende des Kalten Kriegs.
Eine ganze Generation kennt Russland nicht ohne Wladimir Wladimirowitsch Putin an der Macht. Eine wachsende Zahl von internationalen Staats- und Regierungschefs - darunter auch US-Präsident Donald Trump - fährt einen ähnlichen nationalistischen, auf Abgrenzung bedachten Kurs. Die einst angriffslustigen russischen Medien sind verstummt. Kreml-Propaganda wird über Medien wie RT oder Sputnik weltweit verbreitet.
Doch so unverwundbar, wie Putin auf den ersten Blick wirkt, ist er nicht. Der Kreml ist durch eine von Oppositionsführer Alexej Nawalny vorangetriebene Korruptionsuntersuchung unter Druck geraten, fürchtet eine Welle der öffentlichen Empörung. Und weil sich mögliche Nachfolger für Putin bereits in Position bringen könnten, drohen Risse und Brüche im innersten Machtzirkel.
Auch Russlands desillusionierte Jugend könnte sich gegen den Machthaber wenden. Einige haben sich bereits Nawalnys Lager angeschlossen. Andere wollen einfach nicht zur Wahl gehen und so leise Putins Macht untergraben.
Putins Sieg wird das nicht gefährden. Der Präsident zeigt sich vor diesem Hintergrund auch nicht als großer Wahlkämpfer. Bei seinen wenigen Auftritten verspricht er den Menschen vor allem eine bessere Zukunft - ein implizites Eingeständnis, dass die Gegenwart nicht optimal ist.
144 Millionen Einwohner hat das Land, 20 Millionen von ihnen leben unterhalb der Armutsgrenze. Putin verspricht höhere Löhne und Renten. Er will die Gesundheitsversorgung verbessern und so die Lebenserwartung der Russen erhöhen, die mit rund 73 Jahren zu den niedrigsten in Europa zählt.
Zahlen und Fakten zur Präsidentenwahl in Russland
Nach Angaben der Wahlkommission sind rund 109 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen, davon sind Medienberichten zufolge 7 Millionen Russen und Russinnen Erstwähler.
Es stehen acht Kandidaten zur Auswahl, davon eine Frau. Das Durchschnittsalter liegt bei rund 56 Jahren. Der älteste Kandidat ist Wladimir Schirinowski (71), die jüngste Xenia Sobtschak (36). Kremlchef Wladimir Putin (65) kandidiert für eine vierte Amtszeit.
Nach Angaben der Wahlkommission dürfen die Wähler in 98 000 Wahllokalen ihre Stimme abgeben.
Die Wahlbeteiligung lag bei der vergangenen Wahl 2012 nach offiziellen Angaben bei 65,3 Prozent. Putin erreichte demnach im ersten Wahlgang 63,6 Prozent der Stimmen.
Gewählt wird von 8.00 bis 20.00 Uhr Ortszeit, aber in elf Zeitzonen. Zwischen dem Beginn der Wahl auf der Halbinsel Kamtschatka und dem Ende im westlichsten Teil Russlands, der Ostsee-Exklave Kaliningrad, liegen 22 Stunden.
Prognosen und erste Teilergebnisse sollen von 19.00 Uhr (MEZ) an bekannt werden. Dann schreitet die Auszählung im Laufe der Nacht fort, vollständige Ergebnisse werden erst am Montagmorgen erwartet.
Die jüngsten Misserfolge beim Start von Raketen haben deutlich gemacht, dass bei diesem ehemaligen Vorzeigeprojekt der Sowjetunion vieles im Argen liegt. Putin will in der Weltraumforschung wieder aufholen, zudem bei Robotertechnologie und künstlicher Intelligenz internationale Spitze sein. Auch dass das Land weiterhin überproportional stark vom Ölpreis abhängig ist, bedeutet eine Herausforderung.
„Um es zurückhaltend zu formulieren: Putin hat in seiner nächsten Amtszeit eine Menge zu tun“, sagt Kolesnikow. Dazu gehört auch, eine Perspektive für eine Zeit nach Putin zu entwickeln. Denn 2024 müsste er laut Verfassung abtreten. Die Frage ist, ob er einen Nachfolger seiner Wahl in Position bringt - oder entgegen allen Beteuerungen doch einen Dreh findet, weiter an der Macht zu bleiben.