Russlandkrise „Der Westen wird es kaum schaffen, Russland in die Knie zu zwingen“

Ein Panzer rollt über eine Straße in der Ost-Ukraine Quelle: REUTERS

Im eskalierenden Konflikt mit dem Westen hat Wladimir Putin noch einige Joker in der Hinterhand, sagt Osteuropa-Experte Richard Grieveson. Und das, obwohl die geplante Transformation der Wirtschaft gescheitert sei.

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Das Interview mit dem britischen Ökonom Richard Grieveson, 37, Vizechef des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) und Experte für Osteuropa, wurde am 14. Februar 2022 erstmals veröffentlicht. Wir haben aufgrund der aktuellen Newslage erneut mit ihm gesprochen, und das Interview aktualisiert. Weitere Berichte zur Ukraine-Krise, etwa ein Interview mit der Russlandexpertin Liana Fix, lesen Sie hier: „Die Eskalation Russlands hat die diplomatischen Türen zugeschlagen“

WirtschaftsWoche: Herr Grieveson, Russland hat die selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk als Staaten anerkannt und schickt Truppen in die Separatistengebiete. Warum lässt Wladimir Putin den Konflikt derart eskalieren?
Richard Grieveson: Was Putin wirklich denkt, weiß nur er selbst. Wir erleben eine Eskalation der Lage, die negative ökonomische Effekte auf allen Seiten hervorrufen wird. Die russische Regierung hat mit dieser Aktion gezeigt, dass sie bereit ist, einen hohen Preis zu zahlen, um ihre politischen Ziele zu erreichen.

Kann sich Wladimir Putin einen Krieg in der Ukraine ökonomisch leisten?
Ja, wenn auch zu einem sehr hohen Preis. Wenn der Konflikt eskaliert und der Westen bei den Sanktionen Vollgas gibt, kann er Russland problemlos in eine schwere Rezession treiben. Die dortige Wirtschaft läuft ja schon seit sechs, sieben Jahren nicht übermäßig gut. Die Importsubstitution, also der Versuch, die Abhängigkeit von ausländischen Gütern zu verringern, war nicht erfolgreich. Trotzdem wird es der Westen kaum schaffen, Russland in die Knie zu zwingen.

Richard Grieveson, 38, ist Vizechef des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) und Experte für Osteuropa. Quelle: Privat

Und warum nicht?
Die Russen sind in der Lage, sich ökonomisch zu verteidigen. Sie haben große Währungsreserven aufgebaut, mit denen sie strauchelnde Banken stützen können. Sie haben eine nur geringe Staatsverschuldung und könnten eine schwere Wirtschaftskrise fiskalpolitisch ein Stück weit abfedern. Und sie können – was ja gerade schon passiert – die geostrategische Allianz mit China vertiefen. Das wird nicht in diesem Jahr helfen, aber wahrscheinlich mittelfristig.

Lesen Sie auch: Schärfere Sanktionen für Russland wenig sinnvoll – da hilft nur noch China

Was aber, wenn der Westen zur „nuclear option“ greift und Russland vom globalen Zahlungsverkehr über das SWIFT-System ausschließt?
Das würde nur dann nachhaltig wirken, wenn zugleich ein generelles Dollar-Transaktionsverbot mit russischen Banken käme. Die externen Schulden von russischen Kreditinstituten und Unternehmen sind noch immer zu rund 50 Prozent in Dollar denominiert. Ohne einen Dollarzugriff geraten russische Unternehmen und Banken in schwere Turbulenzen. In diesem Fall müsste der Staat sicherlich seine Reserven einsetzen, um ihnen zu helfen.



Wie stark haben die bisherigen Sanktionen des Westens den Russen geschadet?
Die Sanktionen haben Russland geschwächt, sind aber nicht die Hauptursache für die aktuelle Wirtschaftsmisere.

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Sondern?
Russland hat vor gut zehn Jahren, damals noch unter Präsident Medwedew, den Versuch gestartet, seine Volkswirtschaft stärker zu diversifizieren und bessere Institutionen, Infrastrukturen und Innovationskapazitäten aufzubauen. Diese Transformation ist komplett gescheitert. Präsident Putin hat die Diversifikationsstrategie nicht entschieden weiterverfolgt und seit 2014 tut sich in Russland strukturell gar nichts mehr. Das Land hat nach wie vor keine Alternativen zu seiner rohstoffgetriebenen Industrie. Der lange Zeit extrem niedrige Ölpreis hat die Modernisierung der Volkswirtschaft zusätzlich ausgebremst. Darüber hinaus verfolgte die Regierung eine sehr konservative Finanz- und Geldpolitik.

Politische Reaktionen zu Russland: Wie reagiert die Welt?

Nehmen wir an, es kommt wieder zu einer Entspannung im Ukrainekonflikt. Wie sehen dann die russischen Wachstumsperspektiven aus?
Unser Institut hat jüngst seine Wachstumsprognose für 2022 von drei auf zwei Prozent nach unten revidiert, und selbst das ist noch optimistisch geschätzt. Auch in den kommenden Jahren ist nur mit Wachstumsraten von ein bis zwei Prozent zu rechnen, das ist sehr wenig für ein großes Schwellenland. Von den 23 Ländern, über die wir in Osteuropa berichten, hat Russland durchweg eine der niedrigsten Wirtschaftswachstumsraten. Es gibt aktuell ein hohes Kreditwachstum, auch im Konsumentenbereich. Das ist nicht sehr nachhaltig. Hinzu kommt eine prekäre soziale Entwicklung, das Pro-Kopf-Einkommen stagniert seit Jahren. Auch sind die russischen Institutionen immer noch sehr schwach.

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Gilt das auch für die russische Zentralbank? Die hat zuletzt bei Kampf gegen die Inflation mehrfach die Zinsen erhöht, ohne von der Staatsführung zurückgepfiffen zu werden...
Es stimmt, die Notenbank ist ein Lichtblick und kann – anders als etwa in der Türkei – noch immer eine relativ eigenständige Geldpolitik betreiben. Es gibt in Russland einen politischen Konsens, dass die Geldpolitik nicht zu expansiv sein darf. Die Russen haben daher in der Regel hohe Realzinsen von drei bis vier Prozent, erst in letzter Zeit etwas weniger, da die Inflation stark gestiegen ist. Die Notenbank ist für mich eine der besten funktionierenden Institutionen des ganzen Landes. Aber sie allein kann natürlich nicht die ganze Volkswirtschaft stabilisieren.

Mehr zum Thema: Dass Russland Truppen in die Separatistengebiete in der Ostukraine schickt, könnte ein erster Schritt zu einer weiter gehenden Invasion sein, warnt Russlandexpertin Liana Fix.

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