Russlands Invasion in die Ukraine „Die Eskalation Russlands hat die diplomatischen Türen zugeschlagen“

Panzer bei einer Militärübung der belarussischen und russischen Truppen im Februar 2022. Quelle: imago images

Dass Russland nun Truppen in die Separatistengebiete in der Ostukraine schickt, könnte ein erster Schritt zu einer noch weiter gehenden Invasion sein, sagt Russlandexpertin Liana Fix. Worauf es jetzt ankommt.

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Dr. Liana Fix ist Historikerin und Politikwissenschaftlerin und Resident Fellow beim German Marshall Fund of the United States (GMFUS) in Washington.

WirtschaftsWoche: Frau Fix, Russlands Präsident Wladimir Putin hat Truppen in die Separatistengebiete im Osten der Ukraine beordert. Ist das die Invasion, vor der die USA und ihre Verbündeten seit Wochen warnen?
Liana Fix: Es ist eine massive Verletzung der ukrainischen Grenzen und der territorialen Integrität der Ukraine, und könnte ein erster Schritt zu einer noch weiter gehenden Invasion sein, insbesondere angesichts der russischen militärischen Dominanz an der ukrainischen Grenze, und nicht nur in dem Bereich, der an den Donbas grenzt. Deswegen ist es wichtig, die Situation vor Ort genau zu beobachten und insbesondere auch vor russischen Desinformationskampagnen gefeit zu sein.

Vor dem Marschbefehl hatte Putin die Gebiete als unabhängige Volksrepubliken anerkannt. Was steckte hinter diesem Schritt?
Zunächst einmal hat dieser Schritt deutlich gemacht, dass Russland keinen Wert mehr auf die diplomatischen Bemühungen Europas legt, diesen Konflikt zu lösen. Moskau sieht andere Möglichkeiten, seine Interessen in der Ukraine durchzusetzen, und ist bereit, dafür militärische Instrumente zu nutzen. Auch schafft die Anerkennung der Gebiete einen Vorwand, das russische Militär ganz offen auf das Territorium der Ukraine zu verlegen, was bisher nur verdeckt geschah. Die Truppen werden dort nun im Rahmen eines sogenannten Freundschaftsvertrags mit den selbsternannten Volksrepubliken stationiert. Damit steht die russische Armee jetzt direkt an der Kontaktlinie – ein großes Risiko.

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Wie kann der Westen reagieren?
Es handelt sich um einen völkerrechtlich nicht legitimierten Vorgang. Deswegen sind von westlicher Seite Sanktionen erforderlich. Die Frage ist, ob diese Sanktionen den russischen Präsidenten davon abhalten werden, weiter vorzugehen, wenn dies geplant ist. Die Rede, die er im Anschluss an die Diskussion im Nationalen Sicherheitsrat zur Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken gehalten hat, betraf nicht nur die Gebiete im Osten der Ukraine, sondern hat auch die russische Sicht auf die europäische Ordnung und einen historischen Anspruch auf die Ukraine zum Ausdruck gebracht. Die Beziehungen zum Westen werden künftig sehr viel stärker von Konflikten geprägt sein – gegenseitige Sanktionen, russische Cyberattacken –, als wir es bisher gewohnt waren.

Der Westen bereitet seit Wochen ein hartes Wirtschaftssanktionspaket vor. Werden diese nun verhängt?
Die EU und die USA werden erste Sanktionspakete verhängen. Unklar ist jedoch, ob diese bereits die höchste Stufe von Sanktionen beinhalten werden, oder ob weitergehende Sanktionen zurückgehalten werden für den Fall einer weiterreichenden Invasion. In seiner Rede hat der Präsident die abschreckende Wirkung abgetan. Tatsächlich ist es jedoch ein präzedenzloses Sanktionspaket gegenüber Russland.

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Noch am Sonntag schien eine weitere diplomatische Initiative möglich. Wladimir Putin und US-Präsident Joe Biden signalisierten grundsätzliche Bereitschaft für ein von Frankreich vermitteltes Gipfeltreffen. Ist dieser Weg jetzt versperrt?
Die Hoffnung des französischen Versuchs war weniger, dass man sich inhaltlich annähert. Es sollte Putin ein Gespräch auf wahrgenommener Augenhöhe mit dem US-Präsidenten ermöglichen. Das Kalkül war, dass ein solcher Gipfel militärische Aktionen zumindest verzögern könnte. Es ist unwahrscheinlich, dass ein solches Treffen angesichts der jüngsten Entwicklungen noch stattfinden kann. Die Eskalation der russischen Seite hat die diplomatischen Türen zugeschlagen.

Welche Ziele verfolgt Putin in der Ukraine und wie will er sie jetzt erreichen?
Sein Ziel ist es, die politische Kontrolle über die Ukraine zu gewinnen. Dass er die Ukraine und Russland als Einheit versteht, hat er bereits im vergangenen Jahr in einem langen Artikel dargelegt. Das ist sein wichtigstes Motiv. Auch hat er deutlich gemacht, dass er die ukrainische Regierung in Kiew nicht als legitim ansieht.

Politische Reaktionen zu Russland: Wie reagiert die Welt?

Es ist nicht das erste Mal, dass Russland über die Anerkennung von Separatistengebieten ein Nachbarland destabilisieren will. Bereits 2008 ist der Kreml in Georgien ähnlich vorgegangen. Ist die Situation mit der in der Ukraine vergleichbar?
Es ist ein ähnliches Muster: Russland erkennt die Unabhängigkeit von abtrünnigen Provinzen an und stationiert dann dort Truppen. In Georgien hat der Kreml so ein Mittel zur Einflussnahme geschaffen. Was wir jedoch jetzt an der Grenze der Ukraine sehen, ist eine militärische Konzentration, die alles übersteigt, was es in den vergangenen Jahrzehnten in Europa gegeben hat. Damit stellt sich die Frage, ob diese Truppen nur da sind, um die Unabhängigkeit der sogenannten Volksrepubliken zu sichern oder um eine weitergehende militärische Eskalation gegenüber der Ukraine vorzubereiten. Das ist eine Konstellation, die wir in Georgien 2008 nicht gesehen haben.

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Wie geht es mit der Ukraine jetzt weiter?
Die Rede des russischen Präsidenten hat mit einer Drohung geendet. Er hat sinngemäß gesagt: Kiew dürfe keine militärischen Maßnahmen unternehmen, sonst trage es die Verantwortung für weitere Eskalationen. Damit befinden wir uns in einer der angespanntesten Situationen, die wir in Europa seit langem erlebt haben. Alle militärischen Optionen liegen für Moskau auf dem Tisch. Die Entscheidung, wie es weitergeht, wird der Kreml situationsbedingt treffen, dem Kosten-Nutzen-Kalkül folgend. Aber Putins Auftritt nach dem Treffen des Nationalen Sicherheitsrat hat die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Aktion gegen die Ukraine eher erhöht.

Mehr zum Thema: Der Bundeskanzler hat bei der Münchner Sicherheitskonferenz eine Rede gehalten, die nur vordergründig der Russlandkrise galt. Sondern Europas vielleicht letzter Chance, eine „Macht unter Mächten“ zu sein. Und zu bleiben.

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