Salah Abdeslam Geschnappter Terrorist will Staatsanwalt verklagen

Der Anwalt des in Brüssel wegen der Terroranschläge in Paris gefassten Salah Abdeslam, klagt gegen die französische Staatsanwaltschaft. Sie soll das Ermittlungsgeheimnis gebrochen haben.

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Der Top-Verdächtige der Terroranschläge auf Paris ist am Freitag in Brüssel geschnappt worden. Quelle: AP

Paris Zwei Tage nach der Verhaftung des mutmaßlichen Terroristen Salah Abdeslam im Brüsseler Stadtteil Molenbeek wird in Frankreich die Frage laut, ob er möglicherweise am Aufbau einer neuen Gruppe für weitere Anschläge gearbeitet hat. Abdeslams Verteidiger Sven Marly hat eine Klage gegen den französischen Staatsanwalt François Molins angekündigt und mitgeteilt, dass Abdeslam die Auslieferung an die französische Justiz ablehne. Der Pariser Staatsanwalt François Molins habe mit Äußerungen während seiner Pressekonferenz am Samstag „das Ermittlungsgeheimnis verletzt“, sagte Anwalt Sven Mary am Sonntag belgischen Medien.

Molins hatte Auszüge aus der ersten Vernehmung des belgischen Staatsbürgers veröffentlicht und gesagt, er werde wegen terroristischer Morde und der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Abdeslam war am späten Freitagnachmittag von Spezialkräften der belgischen Polizei nur 700 Meter von der Wohnung seiner Eltern entfernt gestellt worden. Während des Schusswechsel wurde er am Bein verletzt. Nachdem er die erste Nacht im Krankenhaus verbrachte, ist er mittlerweile in einem Sondertrakt des Gefängnisses in Brügge untergebracht. Nach Aussage des belgischen Innenministers dürfte er nach Frankreich ausgeliefert werden, Abdeslams Einspruch habe nur aufschiebende Wirkung.

Abdeslam kooperiert wohl mit der Polizei. Er hat inzwischen gestanden, dass er während der Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris war. Er habe sich wie andere Mitglieder des Kommandos mit einem Sprenggürtel in der Nähe des Stade de France in die Luft jagen wollen. Dort lief an dem Abend ein Länderspiel Deutschland gegen Frankreich. Abdeslam änderte aber seine Absicht, fuhr ins 18. Arrondissement und warf seinen Explosivgürtel in eine Mülltonne. Er nahm telefonisch Kontakt mit Abdelhamid Abaaoud auf, der ebenfalls an den Anschlägen beteiligt war und drei Tage später von der französischen Polizei in einem Versteck in Saint-Denis erschossen wurde.

Die beiden Komplizen trafen sich in der Tatnacht nicht mehr. Abdeslam half Abaaoud nicht, sondern kehrte mit Hilfe zweier Freunde, die aus Brüssel kamen, aus Paris nach Belgien zurück. Weil er seinen Auftrag nicht ausführte und in einem vom so genannten Islamischen Staat veröffentlichten Video nicht auftaucht, ist die Frage aufgekommen, wie sein Verhältnis zum IS ist. Aus französischen Justizkreisen wurde am Sonntag die Vermutung laut, Abdeslam sei nicht in Ungnade gefallen, weil er seinen Auftrag nicht ausgeführt hat. Er habe möglicherweise sogar daran gearbeitet, eine neues Kommando aufzustellen, für weitere Anschläge in Frankreich.

Staatspräsident François Hollande beschränkte sich bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Belgiens Premier André Michel auf die Feststellung, der Unterstützerkreis sei „viel größer, als wir ursprünglich angenommen haben“. Es könne in den nächsten Tagen weitere Festnahmen geben.


Spuren führen nach Ulm

In der französischen Öffentlichkeit, vor allem bei den Überlebenden der Anschläge und den Hinterbliebenen der Opfer gibt es große Erleichterung über die Festnahme von Abdeslam. Sie hoffen nun auf einen Prozess, in dem sie Antworten auf viele Fragen bekommen: Warum wurden diese Attacken und Tatorte gewählt, welche Rolle spielten die einzelnen Mitglieder des Kommandos, wie wurden sie zu kaltblütigen Mördern? 130 Menschen wurden am 13. November in Cafés, Restaurants und im Musikclub Bataclan erschossen. Abaaoud, den die Polizei nach einem gezielten Tipp in Saint-Denis stellte, hätte ebenfalls aussagen können. Doch er starb während eines stundenlangen Schusswechsels.

Die Position von Abdeslam in der IS-Organisation ist nach wie vor unklar. Galt er anfangs als kleines Licht, sieht man in nun gar als den „Chef-Logistiker“ der Gruppe. Klar scheint zu sein, dass er Autos und Waffen besorgte und Mitglieder, die aus Syrien kommend nach Europa einsickerten, nach Frankreich fuhr. Dabei hielt er sich unter anderem im vergangenen Jahr auch in Ulm auf. Ob er aber wirklich eine neue Gruppe aufstellen wollte, ist ungewiss. Die belgische Polizei hat in dem Versteck im Brüsseler Stadtteil Vorst/Forest, aus dem Abdeslam am Dienstag mit einem Komplizen knapp entkommen konnte, zwar Waffen sichergestellt, aber kein Material für die Herstellung von Bomben.

Auch Abdeslam konnte nur gefasst werden, weil seine Freunde ihn verrieten. Die Polizei erhielt nach der Razzia vom Dienstag von einem Bekannten den Tipp, der Flüchtige sei wieder in Molenbeek. Das Umfeld und die Helfer des 26-Jährigen sind offenbar sehr leichtsinnig gewesen. Der Komplize, der ihm die Wohnung in Molenbeek besorgte, zeigte sich am Donnerstag bei einer Beerdigung: Er trug den Sarg von Abdeslams Bruder Brahim. Der hatte sich am 13. November in Paris in die Luft gesprengt, alleine.

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