Sanktionen gegen Iran aufgehoben „Nukleare Beerdigung“ eröffnet zahlreiche Chancen

Politisch nicht mehr isoliert, wirtschaftlich nicht mehr sanktioniert: Für den Iran stellt die Umsetzung des Atomabkommens eine historische Zäsur da. Doch der Deal weckt neue Erwartungen, auch auf deutscher Seite.

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Europa hofft nun darauf, dass der Iran zur Lösung regionaler Krisen beiträgt. Quelle: Reuters

Wien Es war fast Mitternacht, als das Trio endlich vor die Presse trat. „Iran hat heute seine Verpflichtungen erfüllt – die internationalen und nationalen, wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen gegen Irans Atomprogramm werden aufgehoben“, erklärten am späten Samstagabend die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Teherans Außenminister Mohammad Javad Zarif, flankiert von seinem US-Amtskollegen John Kerry. Der in Kraft gesetzte Vertrag werde einen Schlüsselbeitrag leisten zu mehr Frieden, Stabilität und Sicherheit, erklärten die drei.

Nur das UN-Waffenembargo bleibt weitere fünf Jahre gültig, das Embargo für Raketenteile acht Jahre. Für die nicht gerade von Erfolg verwöhnte internationale Nahost-Diplomatie war der nächtliche Auftritt in Wien eine historische Zäsur. „Die Beziehungen zwischen Iran und der IAEO beginnen eine neue Phase“, sagte Yukiyo Amano, Generaldirektor der Wiener Atomenergiebehörde. „Ich gratuliere allen, die dies haben Wirklichkeit werden lassen.“ Gleichzeitig räumten die Vereinigten Staaten und der Iran, die seit 1980 keine diplomatischen Beziehungen mehr haben, mit einem Austausch von zwölf Häftlingen eine weitere Hürde aus dem Weg, die das Verhältnis in letzter Zeit zusätzlich belastet hatte. In Teheran kam unter anderem der Korrespondent der Washington Post frei. Jason Rezaian saß seit anderthalb Jahren im berüchtigten Evin-Gefängnis. Zwischenzeitlich war ihm unter windigem Vorwand der Prozess wegen Spionage gemacht worden.

„Wir lassen Feindseligkeiten, Verdächtigungen und Verschwörungen hinter uns und schlagen ein neues Kapitel auf zwischen dem Iran und der Welt“, frohlockte daheim Präsident Hassan Rowhani. Dagegen blieb das Staatsfernsehen, was eine Domäne der Hardliner ist, am Sonntag ausgesprochen einsilbig und skeptisch, genauso wie viele Zeitungen der Konservativen. „Nukleare Beerdigung“, titelte das Blatt „Vatan-e Emrouz“ in seiner Sonntagsausgabe und stellte dazu ein Bild von frisch gegossenem Zement.

Denn vor wenigen Tagen erst hatte die Islamische Republik die Brennkammer des Schwerwasserreaktors in Arak mit Beton gefüllt und damit faktisch unbrauchbar gemacht. In den Wochen zuvor waren nahezu die gesamten Vorräte von angereichertem Uran an Russland übergeben worden, wo sie zu Brennstäben für den Atomreaktor in Bushehr verarbeitet werden sollen. Der Restbestand auf iranischem Territorium soll in den nächsten 15 Jahren auf maximal 300 Kilo mit einem Anreicherungsgrad von 3,67 Prozent beschränkt bleiben. In dem hochkomplexen und detaillierten Vertragswerk von Genf verpflichtet sich der Iran zudem, zwei Drittel seiner 19.000 Uranzentrifugen abzubauen und unter die IAEO-Aufsicht zu stellen. Bis 2030 darf eine Anreicherung nur in Natanz stattfinden, nicht in der zweiten unterirdischen Anlage von Fodor, die zu einer Forschungseinrichtung umgebaut wird. Zudem erhält die IAEO für das nächste Vierteljahrhundert außerordentliche Kontrollrechte.


Alle wollen ins Geschäft mit dem Iran kommen

Bereits letzte Woche stellte Präsident Rowhani in einer im Fernsehen übertragenen Rede seinen 78 Millionen Landsleuten „ein Jahr mit wirtschaftlichem Wohlstand“ in Aussicht. Er und seine Mistreiter hoffen, auch bei den Parlamentswahlen am 26. Februar die politische Ernte ihrer Entspannungspolitik einfahren und eine eigene Mehrheit unter den 290 Abgeordneten erringen zu können.

Denn erstmals seit fast zwei Jahrzehnten geben sich ausländische Investoren in Teheran wieder die Klinke in die Hand. Energiebranche, Autohersteller, Nahrungsmittelfirmen und Pharmakonzerne – alle wollen ins Geschäft kommen. Nach Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) reiste im Januar auch Gerhard Schröder in die iranische Hauptstadt. „Deutsche Firmen und Geschäftsleute stehen bereit, sich auf allen wirtschaftlichen und industriellen Felder zu engagieren“, erklärte der deutsche Altkanzler. Mit dem Ende des Atomstreits hofften Europa und Deutschland auch darauf, so formulierte er, „dass der Iran von seinem Potenzial zur Lösung regionaler Krisen größtmöglichen Gebrauch machen wird“. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich in nächster Zeit ebenfalls bei Präsident Rowhani angesagt.

Mindestens 100 Milliarden Dollar aus iranischen Öleinnahmen sind derzeit noch im Ausland blockiert, die demnächst freigegeben werden. Mehr als eintausend Kreditbriefe liegen bereits fertig ausgestellt bei den Banken, die aktiviert werden können, sobald die Islamische Republik wieder an das internationale Finanzsystem angeschlossen ist. In Deutschland hofft der Siemens-Konzern, eine 925 Kilometer lange Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Teheran und der Pilgermetropole Maschad im Osten bauen und 500 Züge liefern zu können. Transportminister Abbas Akhondi kündigte an, man werde in nächster Zeit 114 Passagierjets bei Airbus ordern, insgesamt plane seine Regierung im kommenden Jahrzehnt den Kauf von 400 Maschinen.

Die Öl- und Gasindustrie hat einen Investitionsrückstau von 50 bis 100 Milliarden Dollar. Die Hälfte der 20 Millionen Autos ist inzwischen mehr als 25 Jahre alt. „Wir brauchen praktisch alles“, bilanziert der Teheraner Wirtschaftsexperte Saeed Laylaz – „hunderte Flugzeuge, neue Häfen und eine Runderneuerung der gesamten Infrastruktur“.

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