Sanktionen & Rentenreform 100 Tage nach Putins Wiederwahl – worauf sich Russland und die Welt einstellen müssen

Fußball-WM und Treffen mit Trump: Putins erste 100 Tage nach der Wiederwahl waren ereignisreich. Doch dem Kremlchef stehen harte Zeiten bevor.

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Nach der Verfassung darf Putin noch bis 2024 über die Schalthebel der Macht im Kreml walten. Quelle: dpa

Moskau Wenn dem russischen Präsidenten Wladimir Putin etwas die Sommerlaune verderben kann, dann sind es die neuen US-Sanktionen gegen Russland. Gerade erst hat er sich den Start in seine vierte Amtszeit mit außenpolitischen Erfolgen versüßt.

Als freundlicher und weltoffener Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft konnte Russland nach außen glänzen. Und beim Gipfel mit US-Präsident Donald Trump im Juli in Helsinki stand Putin – gewollt oder ungewollt – als Sieger da. Denn über Trump brach danach eine Welle der Kritik herein, er habe sich von Putin im Streit um eine russische Einmischung in die US-Präsidentenwahl 2016 um den Finger wickeln lassen.

Doch die für Ende August angekündigten US-Sanktionen lassen keinen Höhenflug zu. Sie haben Aktienkurse russischer Unternehmen und den Rubelkurs erschüttert. Auch innenpolitisch rumort es an der Basis. Mit Plänen für eine umstrittene Rentenreform hat die Regierung Unmut ausgelöst. Künftig sollen die Russen fünf bis acht Jahre länger arbeiten. Der Widerstand kam schneller und härter als erwartet.

So hat Putins Bilanz zu Beginn seines vierten Mandats einen bitteren Beigeschmack. An diesem Dienstag ist er seit 100 Tagen in seiner letzten Amtszeit als Präsident. Nach der Verfassung darf Putin noch bis 2024 über die Schalthebel der Macht im Kreml walten. Worauf müssen sich Russland und die Welt einstellen?

Der Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow erwartet wenig Gutes für das zerrüttete Verhältnis zwischen Russland und den USA. „Letzten Endes werden die bilateralen Beziehungen komplett zerstört sein“, sagt der Herausgeber der Zeitschrift „Russia in Global Affairs“.

Seit 2014 gab es mehrere Sanktionswellen des Westens. Zunächst wegen der Krim-Annexion und des Ukraine-Konflikts. Nun abermals wegen Russlands angeblicher Beteiligung am Giftanschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal in Großbritannien. Es ist noch nicht bekannt, welche Bereiche von den neuen Sanktionen betroffen sein sollen. Die Zeitung „Wedomosti“ schreibt, mit den bisherigen Maßnahmen habe sich Russland gut arrangiert. „Doch die neuen Sanktionen sind deutlich ernster.“

Verhältnis mit Deutschland bessert sich

Lukjanow sagt, die Situation sei für Moskau schwierig. „Die Möglichkeiten der USA, Russland zu schaden, sind deutlich größer als umgekehrt. Der einzige Weg ist, die Beziehungen zu anderen Staaten zu stärken und die USA als Partner irgendwie zu ersetzen“, sagte der als kremlnah geltende Politologe der Deutschen Presse-Agentur.

Immerhin: Der Experte Wladislaw Below sieht das Verhältnis zu Deutschland auf einem guten Weg. Streitthemen wie die Krim und die Ostukraine dürften zwar die Agenda künftig weiter belasten. „Aber der Arbeitsdialog entwickelt sich sehr gut. Das ist die Hauptsache“, sagt der Deutschland-Experte von der Akademie der Wissenschaften. Erst im Mai hatte Kanzlerin Angela Merkel Putin in Sotschi besucht.

Für die Zukunft dürfte der Taktiker Putin auf eine Wahrung des Status quo setzen. Er müsse sich den neuen Herausforderungen anpassen. „Darin ist Putin nicht schlecht“, sagt Lukjanow.

Doch einen Willen zum Wandel sehen Experten bei Putin nicht – eine Haltung, die ihm innenpolitisch Probleme bereiten könnte. Nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim konnte Putin jahrelang auf exzellente Umfragewerte über 80 Prozent bauen. Seine Intervention in Syrien trug zu Großmachtgefühlen bei. Sein größter Erfolg: Er hat Russland in den Augen seiner Anhänger wieder groß gemacht.

Nun aber wächst der Unmut. Putins Umfragewerte sind dem unabhängigen Lewada-Zentrum zufolge auf 67 Prozent abgerutscht. Beobachter erklären das mit einer außenpolitischen Müdigkeit der Russen, zu der sich Frust über unbeliebte soziale Einschnitte wie die Rentenreform gesellt. Sollte dies und die US-Sanktionen den Lebensstandard beeinträchtigen, könnte Putins Machtbasis Schaden nehmen.

Worauf also fußt Putins Macht nach gut 18 Jahren in höchsten Ämtern? Experten sagen, seine Unterstützung gründe sich auf Gruppen, die vom Staat abhängen: Beamte und Mitarbeiter von Staatsunternehmen sowie die sogenannten Silowiki, die Mitarbeiter der Sicherheitsorgane. Gerade letztere gelten als attraktive Arbeitgeber. Dem staatlichen Meinungsforschungsinstitut FOM zufolge fände es fast die Hälfte der Russen gut, wenn ihre Kinder beim Geheimdienst FSB oder anderen Sicherheitskräften arbeiten würden. „Das ist der künftige Kern der russischen Mittelschicht“, sagt der Politologe Andrej Kolesnikow.

Nachfolge ungewiss

Kritiker machen Putin für den Einfluss des KGB-Nachfolgers FSB im Staat verantwortlich. 1998/1999 war er selbst dessen Direktor. Sie bringen ihn auch mit Korruption sowie mit staatlicher Medienkontrolle und der systematischen Ausschaltung der Opposition in Verbindung.

Putin fällt in diesem System eine Sonderrolle zu: Er verkörpert den Staat. Wie die Flagge sei Putin ein Symbol für den Nationalstolz geworden, sagt Kolesnikow vom Carnegie-Zentrum. Grundlegende Reformen erwartet der Innenpolitikexperte nicht. „Putin versteht, dass er das politische Fundament seines Systems nicht anfassen kann, denn es würde kollabieren“, sagt er. Putin stehe nicht für die Modernisierung Russlands, sondern für Stagnation.

Was nach Putins vierter Amtszeit kommt, wagt daher niemand vorherzusagen. „Ich glaube nicht, dass er schon einen Plan für seine Nachfolge hat“, sagt Kolesnikow. Doch bis 2024 bleibt noch viel Zeit. Möglich, dass die Planung erst nach der Parlamentswahl 2021 beginnt. Putin selbst hat jedenfalls eins schon nach seiner Wahl im März klar gesagt: „Ich bin 65. Soll ich bis 100 hier sitzen? Nein!“

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