Nur langsam wird Rasha Hefzi klar, was es bedeutet, eine der ersten gewählten Politikerinnen Saudi-Arabiens zu sein. Vor allem die internationalen Medien lassen die 38-Jährige kaum aus dem Fokus, seit sie bei den Kommunalwahlen Ende vergangenen Jahres gewann. CNN, BBC, der „Guardian“. Alle sind hinter ihr her. Sie möchten wissen, wie sie sich fühlt, nachdem sie zusammen mit ihrer Freundin, der promovierten Unternehmerin Lama al-Suleiman, ins Parlament der Hafenstadt Dschidda einziehen darf.
Der Einfluss der Gemeinderäte ist zwar begrenzt. Dennoch waren die Wahlen eine gewaltige Neuerung, denn Saudi-Arabien ist das letzte Land der Welt, das Frauen bis Dezember 2015 den Urnengang verweigert hat. „Es war total verrückt, irgendwann habe ich angefangen zu heulen und mein Handy einfach meiner Assistentin in die Hand gedrückt“, sagt Rasha Hefzi.
Ihren Kopf umhüllt eine Hidschab, das arabische Kopftuch, darunter trägt sie die Abaja, einen Ganzkörperumhang, der für Frauen in Saudi-Arabien Pflicht ist. Ihre Lippen leuchten rot, um ihr Handgelenk baumeln ein goldener Armreif und eine Luis-Vuitton-Handtasche.
Seit dem Wahlkampf türmt sich die Arbeit auf ihrem Schreibtisch. Neben ihrem Amt als Stadträtin hat Hefzi noch zwei Unternehmen. Gerade kümmert sie sich mit ihrer Eventmanagementfirma um das Marketing für das Wirtschaftsforum Dschidda, das Davos des Nahen Ostens.
Frauen erobern ihren Platz
Dass Frauen im erzkonservativen Wüstenstaat sowohl wählen als auch kandidieren dürfen, geht auf ein Dekret von König Abdallah zurück, dem Vorgänger des aktuellen Königs Salman. Das Frauenwahlrecht ist ein prominentes, aber beileibe nicht das einzige Beispiel dafür, wie Frauen ihren Platz in der saudischen Gesellschaft erobern. Sie reisen autonom durchs Land, arbeiten nach einigen Querelen inzwischen im Einzelhandel. Sie sind Aufsichtsräte großer Unternehmen, Professorinnen, Juristinnen, gewählte Vorstandsmitglieder der Handelskammern, bekleiden Ministerposten, gründen Firmen.
Wissenswertes über Saudi-Arabien
Saudi-Arabien ist mit den für Muslime bedeutenden Städten Mekka und Medina die Geburtsstätte des Islam.
Seit 1932 wird der Wüstenstaat auf der Arabischen Halbinsel von der Familie Al-Saud als absolute Monarchie geführt. Die Scheichs haben mit dem Wahhabismus eine konservative Auslegung des Islam im Land etabliert und vor allem Frauen mit strengen Regeln belegt. So ist Saudi-Arabien das einzige Land der Welt, in dem Frauen nicht Auto fahren dürfen.
In dem Land leben nach Angaben der UN rund 27 Millionen Menschen, ein Drittel von ihnen sind Gastarbeiter. Die Mehrheit der Saudis sind sunnitische Muslime. Im Osten des Landes lebt eine schiitische Minderheit, die jedoch immer wieder Repressalien ausgesetzt ist. Sunniten sprechen ihnen ab, wahre Muslime zu sein.
Als größter Produzent unter den Erdöl-Staaten (Opec) kann das Königreich einen großen Reichtum vorweisen. Die Staatsreserven werden auf 750 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Laut dem Finanzdienstleister Bloomberg ist der Anteil arbeitender Frauen in Saudi-Arabien zwischen 2010 und 2014 um fast 50 Prozent gestiegen. Die Unternehmensberatung McKinsey hat errechnet, dass 1,2 Millionen Frauen 2014 einem Beruf nachgingen, 18 Prozent der arbeitsfähigen weiblichen Bevölkerung. Und das, obwohl Frauen mittlerweile die Mehrheit der Hochschulabsolventen stellen.
Im Wohnzimmer des bekannten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi und seiner Frau, der Entwicklungsberaterin Alaa Naseif, prallen zwei Gegensätze aufeinander. Die Eheleute diskutieren, wie Saudi-Arabien den Übergang in eine Demokratie schaffen kann und warum echte Gleichstellung noch lange nicht erreicht ist.
Khashoggi argumentiert wie ein Strukturalist, Wandel funktioniert aus seiner Sicht nur über Gesetze. Seine Frau glaubt, dass Dekrete ohne einen Bewusstseinswandel nichts ändern. Eine Angestellte serviert heiße Getränke und Süßigkeiten. „Seit Ewigkeiten reden wir darüber, wann die Gesellschaft so weit ist, das Fahrverbot für Frauen zu kippen. Die Regierung sollte es einfach durchsetzen, die Menschen würden sich schon daran gewöhnen“, meint Khashoggi. Er sitzt in weißer Thobe, dem arabischen Überkleid für Männer, in einem Sessel und nippt an seinem Tee.
„Wandel zu oktroyieren funktioniert nicht“, widerspricht seine Ehefrau. „Wir müssen den Menschen die Ängste nehmen und falsche Islam-Interpretationen demaskieren. Sonst meinen die Leute, eine Verschwörung aus dem Westen sei im Gang.“