Saudi-Arabien gegen Iran „Die Aufschieberei der westlichen Politik rächt sich"

Der Streit zwischen Saudi-Arabien und Iran ist kein Religionskonflikt, meint der Nahost-Experte Ali Fathollah-Nejad. Beide Staaten Kämpfen um die Vorherrschaft im arabischen Raum. Der Westen könnte vermitteln – tut aber nichts.

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Demonstranten nahe der saudischen Botschaft in Teheran protestieren Anfang Januar gegen die Exekution des schiitischen Geistlichen al-Nimr. Quelle: dpa

Düsseldorf Saudi-Arabien vollstreckt die Todesstrafe gegen 47 Menschen, darunter einen prominenter schiitischer Geistlicher. Daraufhin entlädt sich die Wut auf Teherans Straßen, die saudische Botschaft wird gestürmt. Was wirkt wie ein Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten ist tatsächlich ein Kampf um Macht und Einfluss in der Golfregion, meint der Nahost-Experte Ali Fathollah-Nejad.

Herr Fathollah-Nejad, was steckt hinter dem diplomatischen Säbelrasseln zwischen Iran und Saudi-Arabien?
Dabei geht es nicht, wie vielfach angenommen, um einen religiösen Streit zwischen Schiiten und Sunniten. Beide Länder fechten vielmehr einen Hegemonial-Konflikt aus. Teheran und Riad kämpfen um die Vorreiter-Rolle in der Region und in der islamischen Welt. Die religiösen Spannungen dienen da eher als Instrument. Die gegenwärtige Eskalation ist indes Symptom einer sich verändernden regionalen Machtbalance: Nachdem Iran im vergangenem Jahrzehnt zur stärksten Macht in Westasien avancierte und sich nun in einem Annäherungsprozess mit dem Westen befindet, fürchtet Saudi-Arabien um seine Stellung als Hauptpartner des Westens am Golf mit all den dazugehörigen Privilegien. In Riad herrscht deswegen viel Furor, aber auch Panik. 

Die Exekution des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr hat jedoch auch in anderen Ländern mit schiitischen Gemeinden für Empörung gesorgt, etwa in Indien und Pakistan.
Richtig. Al-Nimr hat zuletzt durch seine Rolle bei den Aufständen in der von Schiiten bewohnten Ostprovinz Saudi-Arabiens im Zuge des Arabischen Frühlings eine gewisse Reputation über die Landesgrenzen hinweg entwickelt. Daher konnte der politische und religiöse Führer Irans, Ajatollah Chamenei, der für sich die Führerschaft zumindest der schiitischen Welt beansprucht, unmöglich zu al-Nimrs Exekution schweigen. Die Angriffe auf diplomatische Vertretungen der Saudis in Iran haben allerdings Teheran die Möglichkeit entrissen, aus den Massenhinrichtungen einen PR-Erfolg zu machen. Vielmehr ist es ein Eigentor geworden.

Was bedeuten die wachsenden Spannungen zwischen beiden Ländern für die Region?
Nichts Gutes. Die Chancen auf politische Lösungen in vielen Konfliktherden, vor allem in Syrien, rücken in noch weiterer Ferne, zumal Teheran und Riad ihren hegemonialen Wettbewerb eher noch verschärfen werden. Die Leidtragenden sind in erster Linie die Menschen in den Bürgerkriegs-Ländern, die durch diese Polarisierung aufgerieben werden.

Wird dadurch auch die arabische Allianz im Kampf gegen den IS geschwächt?
Das von Riad gebildete Militärbündnis muss dabei noch seine Ernsthaftigkeit unter Beweis stellen. Denn für Saudi-Arabien genießt nicht der Kampf gegen IS Priorität, sondern jener gegen Iran. Solange dies so ist, wird man weiterhin radikalislamistische Gruppierungen zumindest dulden, solange sich diese gegen iranischen Einfluss richten. 

Muss sich die deutsche Wirtschaft auf geringere Exporte nach Saudi-Arabien einstellen?
Derzeit stehen deutsche Politiker unter hohem öffentlichen Druck, den Eindruck eines Schulterschlusses mit Saudi-Arabien nicht aufkommen zu lassen. So ist man bemüht, den lange benutzten Begriff der strategischen Partnerschaft zu vermeiden. Dennoch, es gibt nach wie vor im Westen, auch in Deutschland, handfeste wirtschaftliche Interessen gegenüber Saudi-Arabien. Dass aber Rüstungsexporte noch breitere Verurteilung finden als bislang, davon ist auszugehen. 

Welche Nahost-Strategie sollten Europa und die USA verfolgen?
Der Westen steckt in einem Dilemma: Er will den Spagat hinbekommen, ein gutes Verhältnis zu Iran zu entwickeln, ohne Saudi-Arabien oder Israel zu verprellen. Dies ist bereits in den letzten beiden Jahren kaum gelungen und wird jetzt noch schwieriger. Allerdings hat es der Westen auch versäumt, sich rechtzeitig für eine regionale Sicherheitsstruktur nach dem Vorbild der OSZE einzusetzen. Iran, Saudi-Arabien, aber auch Israel müssten so eingebunden werden. Passiert ist allerdings nicht viel. Diese Prokrastination der westlichen Politik rächt sich nun in einer Region, die zusehends aus den Fugen gerät. Es wird Zeit, dass bei jenen Fragen der Druck aus Washington und auch aus Berlin steigt.

Ali Fathollah-Nejad ist Experte für den Nahen Osten und Nordafrika der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Der promovierte Politologe hat zuvor unter anderem an der Freien Universität Berlin und der Westminster University in London gelehrt.

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