Saudi-Arabien Von der Tankstelle der Weltwirtschaft zum neuen Krisenherd

Nach den Massenhinrichtungen eskaliert der saudische Konflikt mit dem Erzrivalen Iran. Die ganze ölreiche Region erscheint als Pulverfass. Das ist brandgefährlich für die gesamte Welt. Eine der Ursachen ist paradoxerweise, dass die saudische Führung die Annäherung an den Westen sucht. Eine Analyse.

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Ein halb übermaltes Bild des shiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr auf einer Wand in Bahrain. Quelle: AP

Wahrscheinlich haben die Prinzen in der saudischen Hauptstadt Riad die Bilder von ihrer brennenden Botschaft in der iranischen Hauptstadt Teheran mit einer Mischung von Wut und grimmigem Vergnügen angesehen. Zu sehr erinnert der Sturm auf die saudische Botschaft im Iran an die monatelange Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran vor inzwischen 35 Jahren. Das hat damals die Beziehungen des Iran zur westlichen Welt auf Jahrzehnte geprägt und verdorben. Und genau das mag sich die saudische Führung heute noch einmal wünschen.

Denn König Salman und seine Berater müssen aufpassen. Ihre Erdöl-Politik – Förderung der eigenen Vorräte bis zum letzten Tropfen – droht zu scheitern. Russische und amerikanische Weltmarktkonkurrenten verschwinden trotz des niedrigen Ölpreises nicht schnell genug vom Weltmarkt, und in der eigenen Staatskasse, die sich in guten Jahren zu 90 Prozent aus dem Erdölexport speiste, klafft ein Loch.

Wissenswertes zum Iran

Das lässt sich mittelfristig vielleicht über eine Diversifizierung der Volkswirtschaft stopfen, kurzfristig aber nur durch Sparmaßnahmen in der überaus großzügigen Sozialpolitik oder durch Einführung von Steuern. Beides bedroht die innere Stabilität der saudischen Monarchie und muss abgefedert werden: durch außenpolitische Erfolge wie etwa den Krieg im Nachbarland Jemen – und durch Unterdrückung der Opposition.

Nur funktioniert das bisher überhaupt nicht gut. Der Jemenkrieg droht zum militärischen und politischen Desaster zu werden. Und die Unterdrückung der Opposition führt offenbar nicht zu weniger Aufmüpfigkeit in der eigenen Bevölkerung, sondern zu mehr. Was Außenstehende oft nur schwer verstehen: Die gefährlichste Opposition für den erzkonservativen saudischen König sind nicht die wenigen Liberalen im Land und auch nicht die vom Iran unterstützte Minderheit schiitischer Konfession im nordöstlichen Landesteil.

Wissenswertes über Saudi-Arabien

Wirklich gefährlich sind nach wie vor die ultra-radikalen islamischen Konservativen sunnitischer Konfession, die seit vielen Jahren und mit den Jahren immer heftiger gegen den Widerspruch zwischen der asketischen offiziellen Ideologie des Königsreichs und dem Luxusleben seiner herrschenden Elite aufbegehren.

Aus dieser Ecke kamen vor zwei Jahrzehnten Osama Bin Laden und seine Al-Kaida-Terroristen, kam vor einem Jahrzehnt das Gros der 47 Männer, die vergangenen Samstag als Terroristen hingerichtet wurden, zumeist nach langer Gefängnishaft. Und kommt heute ein schwer fassbarer Untergrund, dessen mörderische Energie die Herrscher in Riad nicht mehr auf ausländische Ziele von Afghanistan über Syrien bis New York ablenken können.

Für Saudi-Arabien steht viel auf dem Spiel

Das Haus Saud ließ jetzt den Henker agieren, um die noch freien Gesinnungsfreunde der Inhaftierten einzuschüchtern. Und daneben offenbar auch, um der weiten Welt von Washington bis Peking zu beweisen, dass man nicht mehr als Pate eines mörderischen Islamismus auftreten will, sondern als dessen Opponent.

Was freilich nicht funktioniert – die saudische Henkerjustiz ist dermaßen weit von normalen juristischen Standards entfernt, dass einem Guantanamo geradezu als alternatives Erziehungscamp für jugendliche Straftäter erscheinen mag.

Was wichtig ist in diesem Zusammenhang: Mit der von vielen hierzulande so gefürchteten Scharia, also dem traditionellen islamischen Rechtssystem, hat der saudische Blutrausch von 2016 nichts zu tun. Im Gegenteil gehört das „Sondergericht für Kriminalsachen“, vor dem der saudische Staat seine Feinde jetzt hat aburteilen lassen, zu den wenigen Gerichtshöfen des Landes für welche die Scharia mit ihren peniblen prozessualen Vorschriften ausdrücklich nicht gehört.

Deutsche Waffen nach Saudi-Arabien

Und das ist ein Hauptgrund für die Hinrichtung des prominentesten der 47 Toten: Ayatollah Nimr al-Nimr, das politische Haupt der schiitischen Minderheit im Land, zum Tode verurteilt wegen „Ungehorsam gegenüber dem Herrscher“. Aber in Wirklichkeit, damit die radikal sunnitischen Sympathisanten der jetzt hingerichteten Al-Kaida-Leute Ruhe geben.

Der König und seine Mitstreiter versuchen, mit dem Willkür-Urteil gegen den Führer ihrer schiitischen Untertanen ihre sunnitische Basis zu besänftigen: Das sind Leute, die der König derzeit aufgrund wirtschaftlicher Zwänge um viele alltägliche Annehmlichkeiten bringen muss. Aber auch Leute, deren Söhne im verlustreichen Jemenkrieg eingesetzt werden, Leute schließlich, deren ideologische Gesinnungsgenossen in Syrien und in Libyen derzeit die Unterstützung der saudischen Führung verlieren, die den westlichen Vorwurf abwehren will, sie unterstütze den internationalen sunnitischen Terrorismus.

Die Kosten dieser Strategie sind immens. Da ist natürlich zuerst die Konfrontation mit der schiitischen Vormacht Iran, in der König Salman keineswegs auf alle sunnitisch dominierten Staaten der Region als Verbündete setzen kann. Und dann die Folgen eines internationalen Imageverlusts: Saudi-Arabien ist derzeit noch zweitgrößter Waffenimporteur der Welt. Wenn das so bleiben soll, braucht der König erstens viel Geld (das ist schwierig geworden) und zweitens Vertrauen im Ausland (das ist extrem gefährdet).

Schließlich bedeutet mangelndes Vertrauen auch, dass die Hoffnung der Saudis auf ausländische Investitionen in ihrem Wüstenland schwindet. Und ohne Investitionen ist die Verwandlung der wirtschaftlichen Erdöl-Monokultur in eine im 21. Jahrhundert lebensfähige Volkswirtschaft eine Fata Morgana.

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