Saudi-Arabien Wie saudische Autofahrerinnen die Wirtschaft ankurbeln

Saudi-Arabien: So kurbeln Autofahrerinnen die Wirtschaft an Quelle: dpa

Mit dem aufgehobenen Fahrverbot eröffnen sich für Frauen in Saudi-Arabien neue Freiheiten: Sie können als Fahrerinnen arbeiten. Dienste wie Uber stellen sich darauf ein und setzen auf weibliche Chauffeure.

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Seit Sonntag dürfen Frauen in Saudi-Arabien selbst Auto fahren, ohne eine Haftstrafe zu riskieren. Während die einen ihre neu gewonnene Freiheit genießen, streben die anderen schon nach einer weiteren Chance: als Fahrerin Geld zu verdienen. Der Job war bislang Männern vorbehalten gewesen, doch viele Saudis sahen dies als soziales Tabu und überließen die Arbeit lieber schlecht bezahlten Einwanderern aus Indien, Pakistan und Bangladesch.

Wenn jetzt Frauen als Fahrerinnen arbeiten wollen, etwa für Dienste wie Uber, stellen sie weitere traditionelle Beschränkungen ihrer Rechte infrage und treiben eine Welle der Veränderung voran, der sich Teile der männlichen Bevölkerung in dem konservativen Land strikt entgegenstellen. „Es ist doch normal, dass Menschen Veränderungen ablehnen“, sagt Ammal Farahat, wohlhabende Chefin mit Master-Abschluss einer Beraterfirma und Mutter von zwei Kindern. „Sobald sie mehr positive Bilder und Möglichkeiten sehen, was das Autofahren für Frauen bedeutet, werden sie ihre Meinung ändern.“

Farahat besitzt einen US-Führerschein und hat jetzt eine saudische Fahrprüfung abgelegt. Sie hat sich zusammen mit ihrer Schwester bei Carim, dem örtlichen Konkurrenten für Uber, als Fahrerin registrieren lassen. Beide Frauen sind in Saudi-Arabien aufgewachsen, ihre Mutter aber stammt aus Deutschland und durfte zu Hause selbstverständlich Auto fahren. Farahat sagt, dass sie den Job machen will, um sich gegen das Vorurteil zu stellen, dass als Fahrerin zu arbeiten unter der Würde saudischer Frauen sei.

Für viele Frauen bedeutet der Job zudem eine weitere Möglichkeit, Geld zu verdienen und finanziell unabhängiger zu sein. „Wenn wir unsere Plattform jetzt für Frauen öffnen, ermöglichen wir es ihnen, ihr eigener Chef zu sein, zu fahren oder zu arbeiten, wann immer sie wollen und auch, wie lange sie wollen. Das ist doch perfekt für arbeitende Frauen“, sagt Abdullah Eljas, der Carim mit gegründet hat.

Aber nicht nur für Frauen: In den vergangenen Jahren haben auch Tausende junge saudische Männer angefangen, nebenher für einen der Fahrdienste zu arbeiten. Das zeigt, wie sich der Lebensstil der Menschen in Saudi-Arabien verändert hat und wie viel weniger das Königreich sich allein auf die riesigen Öl-Exporte verlassen kann, um für Wohlstand zu sorgen.

70 Prozent der arbeitenden Bevölkerung sind im öffentlichen Sektor tätig, doch diese Jobs allein können nicht mit der Zahl der Saudis mithalten, die auf den Arbeitsmarkt drängen. Offiziellen Angaben zufolge verdienen Mitarbeiter im öffentlichen Dienst im Schnitt etwa 10.600 Riyal (rund 2400 Euro) im Monat. Das reicht längst nicht, um in großen Städten wie Riad die Ausgaben eines Alleinverdiener-Haushalts abzudecken. Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 13 Prozent. Die überwiegende Mehrheit der Jobsuchenden in Saudi-Arabien sind Frauen, rund 34 Prozent der Arbeitslosen sind zwischen 25 und 29 Jahre alt. Mit dem Wegfall des Fahrverbots werden nach und nach mehr Frauen arbeiten und so die Wirtschaft ankurbeln, so die Erwartung.

Dennoch gibt es immer noch Hindernisse für weibliche Arbeitskräfte: Sie brauchen die Erlaubnis eines männlichen Verwandten, um einen Pass ausgestellt zu bekommen oder ins Ausland zu reisen. Auch wird die Unterstützung des Vaters, Ehemanns oder Bruders als grundlegend dafür angesehen, dass eine Frau arbeiten oder Auto fahren darf. Nach Angaben des Fahrdienstes Carim haben sich bei ihm 2000 Frauen als Fahrerinnen registrieren lassen, seit das Königreich im September ankündigte, das Fahrverbot aufzuheben. 95 Prozent seiner Fahrer seien männlich, insgesamt rund 170.000. Bei Uber haben sich dagegen auf einer vergangene Woche gestarteten Webseite mehr als 100 Frauen angemeldet, die gern als Fahrerinnen arbeiten wollen. Bislang sind mehr als 150.000 Männer für Uber tätig, zumeist in Teilzeit.

Doch: 80 Prozent der Kunden sind weiblich, bei Carim sind es 70 Prozent. Zwar haben einige Frauen Bilder auf Twitter gepostet, auf denen sie ihre Fahrdienste-Apps vom Smartphone löschen - als Reaktion auf das Ende des Fahrverbots. Doch Carim-Mitbegründer Eljas sagt, die Firma mache sich deswegen keine Sorgen und richte sich auf die Veränderungen ein: „Es gibt eine Nachfrage danach, von einer Frau gefahren zu werden, und wir öffnen damit ein ganz neues Kundensegment.“
Auch wenn soziale Zwänge in Saudi-Arabien in den vergangenen Jahren gelockert wurden, vermeiden Frauen und Männer den Kontakt, wenn sie nicht miteinander verwandt sind. Beginnt ein Fahrer ein Gespräch mit einer Kundin, kann das zu einer Beschwerde führen. Laut einer Uber-Umfrage wollen 74 Prozent der befragten künftigen Fahrerinnen nur weibliche Kunden fahren. Um dem entgegenzukommen, will es der Fahrdienst in Saudi-Arabien ermöglichen, dass Fahrerinnen sich gezielt Kundinnen aussuchen können. Die Firma nennt das „Rücksicht auf den kulturellen Kontext“ im Königreich. Auch Carim teilt mit, die Fahrerinnen und Fahrer könnten eine Anfrage annehmen oder ablehnen, je nachdem, welches Geschlecht ein Kunde habe.

Mit dem Auto unterwegs durch Riad, erzählt Ammal Farahat von ihrer Tochter und ihrer Nichte, die beide jünger als fünf Jahre alt sind und später einmal nicht wissen werden, welche Herausforderungen die Generation vor ihnen bestehen musste, um von einem Ort zum anderen zu gelangen und dabei von einem Mann abhängig war. „Sie wachsen nicht im selben Saudi-Arabien auf wie ich“, sagt Farahat. „Das ist aufregend, aber ich weiß auch, dass jede Generation ihre Herausforderungen hat. Also welche kommen wohl auf die beiden zu?“

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