Saudi-Arabien Frauen profitieren von der Wirtschaftskrise

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Wirtschaftsfaktor Frau

Senkt die Regierung ihre Zuwendungen, schwindet die Kaufkraft der Saudis. Das macht Frauen plötzlich zum Wirtschaftsfaktor und steigert ihren Einfluss. Denn ohne ihr Einkommen sieht es in vielen Familienkassen mau aus. Eltern schicken ihre Töchter heute aus ökonomischer Notwendigkeit an die Uni. Unter dem Strukturdruck, das glauben viele, lässt sich auch das hochpolitisierte Fahrverbot für Frauen nicht mehr lange halten. Denn gerade die Frauen aus weniger betuchten Haushalten geben fast die Hälfte eines mittleren Einkommens von umgerechnet rund 1200 Euro für Taxis, Chauffeure oder Fahrdienste wie Uber aus.

„Die wirtschaftliche Lage öffnet Frauen nicht nur den Zugang zum Arbeitsmarkt, sie drängt sie auch aus ihren Komfortzonen“, sagt Naseif. Lange haben der Staat und der Ehemann die Frauen versorgt. Sie haben sich einreden lassen, dass der Islam eine passive Rolle für sie vorsieht. Das war bequem, meint Naseif. Dass das Unsinn ist, zeigt die erste Gattin des Propheten Mohammed, Khadischa Bint Khuwaylid. Sie war eine erfolgreiche und finanziell unabhängige Geschäftsfrau, die den 15 Jahre jüngeren Mohammed darin bestärkte, seine Offenbarungen in die Welt zu tragen.

Würde Rasha Hefzi ihr Auto selbst steuern – sie käme zu nichts. Die Rückbank des schwarzen Jeeps ist ihr verlängertes Büro. Fast im Minutentakt brummt oder piepst ihr Smartphone. Wenn sie keine Mails, SMS oder WhatsApp-Nachrichten beantwortet, hört sie die Meldungen ab, die sich auf ihrer Mailbox sammeln. Ihr Fahrer steuert ein McDonald’s-Restaurant an, wo Hefzi Burger und Fritten am Drive-in-Schalter bestellt. Heiße Luft boxt sich durchs Fahrerfenster. Wie viele andere Restaurants hat auch dieser McDonald’s einen Eingang für Familien und einen für Singles, dort dürfen nur Männer eintreten. „Wir müssen im Auto essen, wenn wir erst in der Wirtschaftskammer sind, habe ich keine Zeit“, sagt sie. Dort wartet ihr Team, junge Männer und unverschleierte Frauen zwischen 20 und 35 Jahren in Jeans und Sneakers. Sie haben dort eine Telefonzentrale für das Wirtschaftsforum Dschidda eingerichtet.

Frauen stoßen gegen viele Mauern

Wer mit Hefzi Schritt halten will, muss sich beeilen, physisch und geistig, denn Hefzi geht, denkt und redet schnell. Sie ist angespannt, weil ein wichtiges Meeting mit dem Stadtrat bevorsteht. Die konservativen Mitglieder und damit die Mehrheit, versuchen die Frauen auszugrenzen und blocken ihre Initiativen. Sie möchten keine Veränderung. Eigentlich wollte sie nicht in die Politik, ihre jetzige Ratskollegin Lama al-Suleiman habe sie überredet. Ihr blieben nur zwei Wochen, um Stimmen in ihrem Wahlkreis einzusammeln.

Sie musste das Wählerverzeichnis der Behörden fotografieren, weil die keine Kopien herausgaben. Sie mietete ein Zelt, in dem Videos und Audiovisuals abliefen, buchte einen Komödienclub. „Die Menschen sollten die Atmosphäre politischen Wettbewerbs schmecken“, sagt sie. Außerdem wollte sie Unterstützer für die Zeit nach den Wahlen mobilisieren. Menschen, die ihre Ideen weitertragen, wenn Hefzi wie jetzt gegen Testosteronmauern stößt.

Und die Freiheiten, die ihnen trotzdem fehlen? Die bekommen wir eher, indem wir mit Bedenkenträgern sprechen, statt sie zu bekämpfen, sagt Alaa Naseif, die auch den Transformationsdialog von Mohammed bin Salman als Expertin begleitet. Sie versinkt in ihrer Couch und sieht dabei zufrieden aus.

„Wahre Freiheit bedeutet doch, dass du innerlich frei bist, weil du dir selbst geben kannst, was du brauchst. Außerdem“, sagt Naseif, „die Zeit ist auf unserer Seite.“

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