Saudi-Arabiens Vision 2030 Neue Frauen-Power im Petrostaat

In Saudi-Arabien fallen eherne Grundsätze. Vor allem Verbote für Frauen werden gelockert – Autofahren, Sportunterricht, Stadionbesuch. Der Umbau des bisher erzkonservativen Königreichs zielt vor allem auf die Jugend.

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In Saudi-Arabien werden die Rechte der Frauen gestärkt. Quelle: AP

Berlin Mutige Mädels mit großen Sonnenbrillen, provokant am Steuer, gefilmt mit dem eigenen Smartphone. Mit solchen Selfie-Videos protestierten seit Jahren immer wieder Frauen gegen das herrschende Verbot zum Autofahren in Saudi-Arabien. Das erzkonservative Königreich ist das einzige Land der Welt, in dem Frauen nicht selbst Auto fahren dürfen – selbst im Iran, das ja auch nicht bekannt ist für besondere Frauenrechte, ist dies gestattet. Ab kommenden Juni nun soll auch im reichsten Petrostaat der Welt Schluss damit sein, dass Frauen ihre Männer oder älteren Brüder darum bitten müssen, gefahren zu werden. Oder einen Fahrdienst wie Uber und Careem anrufen zu müssen.

Doch Saudi-Arabien baut die Rechte der Frauen weiter aus:  Ab sofort dürfen sie auch in Stadien gehen, am Sportunterricht teilnehmen und können ohne Zustimmung von Vater, Ehemann oder älterem Bruder arbeiten. Das alles ist Teil des großen Umbauprogramms von Kronprinz Mohammed bin Salman. Der erst 32-jährige Monarchenspross, der nur anerkennend MbS genannt wird, arbeitet meist auch spätnachts noch und bestellt eilig Minister ein – wenn er nicht gerade noch manisch in einem Computerspiel seinen High Score in immer neue Höhen treibt. MbS hat auch gerade die kürzlich erst verhängten die Restriktionen im Social-Media-Bereich gelockert: Skype und WhatsApp sind zwischen Rotem Meer und Persischem Golf wieder erlaubt.

Alles das soll den Erfolg seiner „Vision 2030“ sichern, den Umbauplan des altersschwachen Königs Salman. Auch den hat selbstverständlich MbS ausgearbeitet. Das Visions-Programm soll das Königsreich radikal umbauen – weg von der überbordenden Abhängigkeit, hin zu einer diversifizierten, modernen Volkswirtschaft. „Durch diese Anstrengungen wird Saudi-Arabien schon bald zu den höchstangesehensten entwickelten Ländern gehören, zugleich aber den Prinzipien seiner Religion sowie seiner noblen Werte treu bleiben“, betonte Kronprinz Mohammed in seiner Ansprache zum Nationalfeiertag am Wochenende.

„Die Erfüllung der Vision 2030 des Königreiches, welches den Beginn einer neuen Phase der Entwicklung und der harten Arbeit im Dienste künftigen Fortschritts kennzeichnet, setzt auf den Einsatz unserer jungen Bürgerinnen und Bürger.“ Damit unterstrich MbS die besondere Bedeutung der Jugend für den Neuanfang Saudi-Arabiens.

Der Umbau ist einerseits eine klare Notwendigkeit. Das Land hängt zu stark vom Ölpreis ab – der in den vergangenen Jahren gesunken ist. Andererseits ist es ein Vabanquespiel: Denn trotz einer vorwärts hin zu westlichen Formen drängenden Jugend wird das bisher ultrakonservative Land von Klerikern und reaktionären Religionsgelehrten zurückgehalten. Zuletzt wurden so viele Menschen hingerichtet oder ausgepeitscht wie seit Jahren nicht mehr. Im Land herrscht die ultrakonservative Auslegung des Islam, der Wahabismus.

Der junge Thronfolger hat nicht nur Fürsprecher. Kritiker werfen ihm neben seinen Wirtschaftsreformen auch den schlecht laufenden Krieg im Nachbarland Jemen und die Blockade des Brudervolks in Katar vor.


Verhaftungswelle lässt Kritiker verstummen

Um die immer lauter werdende Kritik am jungen Thronfolger einzudämmen, greifen die Herrscher in Riad hart durch: Vor den Reformen für Frauen waren Mitte September noch zahlreiche mögliche Kritiker am neuen Kurs ausgeschaltet worden: Eine Verhaftungswelle schwappte quer durch die Gesellschaft – Prediger, Journalisten, Bürgerrechtler und prominente Akademiker wurden festgenommen. In der Hauptstadt wurde der konservative Scheich Salman al-Awda, der 14 Millionen Follower auf Twitter hat, inhaftiert. In der Ölmetropole Dammam im Osten stürmten Polizisten das Haus des Akademikers Mustafa al-Hassan. In der Hafenstadt Jeddah am Roten Meer wurde der Unternehmer und Publizist Essam al-Zamel verhaftet, der die „Vision 2030“ als unrealistisch kritisiert hatte.

Doch es herrscht auch ein Kampf im Königshaus selbst: Mehrere ältere Prinzen – es gibt insgesamt über 10.000 – dürfen nicht mehr ins Ausland reisen, darunter auch ein Bruder von König Salman. Im Juni wurde der seinerzeitige Kronprinz Mohammed bin Nayef abgesetzt. An seine Stelle trat der bisherige Vizekronprinz MbS. Bin Nayef steht seither faktisch unter Hausarrest. Auch ein jüngerer Adeliger wurde eingesperrt, weil er auf Twitter die rüde Entmachtung von bin Nayef kritisierte.

Diesen Repressionen stehen nun neuerliche Öffnungen gegenüber: Für das Recht auf Autofahren für Frauen hatte Frauenrechtsaktivistinnen seit den 1990er-Jahren gekämpft. Bis zuletzt hatten einflussreiche Geistliche dagegen gestritten, da er in ihren Augen die Gesellschaft korrumpieren und zu sündhaftem Verhalten führen würde.

Saudi-Arabiens Reformweg ist also keineswegs ein Märchen aus 1001 Nacht. Es scheint, als führe die Golf-Krise zwischen Katar und dem von den Saudis geführten Blockadeblock zu einem Wettstreit um das offenere, erfolgreiche und sympathischere Land  – mit erfreulich positiven Neuerungen gerade für die Jugend.

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