Scharfe Kritik an Ex-EU-Kommissarin Kroes Fehlverhalten unter Palmen

Brüssel ärgert sich über Ex-EU-Kommissarin Neelie Kroes: Führende Europapolitiker fordern Konsequenzen, das Vertrauen in die Politik sei beschädigt. Die Enthüllung über die Steueroase Bahamas zieht noch weitere Kreise.

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Unter Palmen lassen sich auf den Bahamas auch Finanzgeschäfte verbergen. Quelle: dpa

Neue Enthüllungen zu Briefkastenfirmen auf den Bahamas haben die Forderungen nach einer Verschärfung der internationalen Steuer- und Firmengesetzgebung verstärkt. Europaabgeordnete und Hilfsorganisationen verlangten am Donnerstag die weltweite Offenlegung von Unternehmensdaten und mehr Druck auf Steuerparadiese. Die EU-Kommission will nun auch die Vorwürfe gegen die ehemalige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes prüfen. Sie war während ihrer Amtszeit Direktorin einer Briefkastenfirma und hatte dies nicht angegeben.

Für Sven Giegold ist die Sache eindeutig: „Neelie Kroes ist ein herausragendes Negativbeispiel für die Beschädigung von Vertrauen in die Politik“, schimpft der Europaabgeordnete der Grünen. Neun Jahre lang, von Juli 2000 bis Oktober 2009, war die heute 75-jährige Niederländerin laut Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ Mitglied des Direktoriums der Firma Mint Holdings Limited mit Sitz auf der Karibikinsel.

Eine Funktion, die sie laut Verhaltenskodex hätte niederlegen müssen, als sie 2004 EU-Kommissarin für Wettbewerb wurde. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Aufgaben, darunter Aufsichtsratsposten bei Konzernen wie McDonald’s oder Thales, behielt Kroes das Mandat auf den Bahamas und informierte darüber auch die Kommission nicht. Mint Holdings wurde laut Kroes' Anwalt für ein geplantes Milliardengeschäft mit dem US-Energiekonzern Enron gegründet, wie die „SZ“ berichtete. Zu dem Deal sei es allerdings nicht gekommen.

Ein Skandal? Oder nur ein „Versehen“, „ein administrativer Fehler“, wie Kroes ihren Anwalt ausrichten ließ? In jedem Fall ein klares „Fehlverhalten“ der Niederländerin, wie es in EU-Kreisen heißt. Eine Sprecherin der Brüsseler Behörde erklärte, Kroes habe Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker inzwischen darüber informiert, man analysiere nun die Informationen. Sollte Kroes nachweislich gegen die Verhaltensregeln der Kommission verstoßen haben, könnten ihr Pension und andere Vergünstigungen gestrichen werden.

Die Enthüllung rückt die Behörde erneut in ein schlechtes Licht. Erst kürzlich hatte der langjährige Kommissionspräsident José Manuel Barroso für Negativ-Schlagzeilen gesorgt, der als Berater bei der US-Investmentbank Goldman Sachs anheuerte. Juncker reagierte verärgert, obwohl der Portugiese die Schamfrist von 18 Monaten nach Ende seiner Amtszeit eingehalten hatte. Barroso, so verfügte sein Nachfolger daraufhin, werde in der Kommission nicht mehr als Ex-Präsident empfangen, sondern wie ein gewöhnlicher Lobbyist.

Schockiert über die Enthüllungen

Auch Kroes hatte bereits zuvor für Stirnrunzeln gesorgt. Im Mai engagierte der US-Fahrdienstvermittler Uber die frühere Digitalkommissarin als Beraterin. Ganz augenscheinlich habe schon dort ein Interessenkonflikt vorgelegen, kritisiert Giegold.

Aus dem EU-Parlament werden nun Forderungen laut, die Verhaltensregeln für Kommissare zu verschärfen. „Wie viele EU-Bürger bin schockiert über die neuen Enthüllungen”, sagte der Fraktionsvorsitzende des Sozialisten, Gianni Pittella. Angesichts des drohenden Reputationsschadens für die EU-Institutionen müsse Juncker nun die Regeln ändern um solch offensichtliche Interessenskonflikte zu vermeiden. Udo Bullmann, der Vorsitzende der Europa-SPD, betonte, der Vorgang sei „kein Kavaliersdelikt, sondern wird Konsequenzen nach sich ziehen müssen“.

In den Bahamas-Dokumenten finden sich laut „Süddeutscher Zeitung“ auch Politiker wie der frühere kolumbianische Bergbauminister Carlos Caballero Argáez, der kanadische Finanzminister William Francis Morneau und der angolanische Vize-Präsident Manuel Domingos Vicente als Direktoren, Sekretäre oder Präsidenten von Firmen auf den Bahamas. Auch der Tennis-Weltverband ITF sowie die Namen von rund hundert Deutschen tauchen dort auf.

Steuerhinterziehung koste Staaten weltweit jährlich schätzungsweise 240 Milliarden Dollar (215 Milliarden Euro), erklärte die geschäftsführende Direktorin der Hilfsorganisation Oxfam International, Winnie Byanyima. In armen Ländern sei sie auch „eine Frage der Menschenrechte“, weil „Lebenschancen zerstört und Gesellschaften unwiederbringlich geschädigt werden“. Oxfam fordert deshalb eine UN-Stelle zur Reform des internationalen Steuersystems.

Die Bahamas-Leaks zeigten die Notwendigkeit, die Praxis „geheimer Unternehmen zu beenden“, erklärte die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International. Sie rief Länder weltweit auf, alle Informationen darüber zu veröffentlichen, „wer Firmen in ihrem Rechtsbereich besitzt und kontrolliert“.

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