Inzwischen gibt es vier Defekte, die in nur kurzer Zeit an den Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 entstanden sind. Der letzte wurde am Donnerstagmorgen vom schwedischen Militär gemeldet. Am Dienstag waren bereits drei Stellen betroffen, hatte die Nord Stream AG mitgeteilt. Am Montag hatte die dänische Schifffahrtsbehörde zwei Lecks an der Gaspipeline Nord Stream 1 gemeldet, nachdem sie ein ungewöhnlich starker Druckabfall festgestellt wurde. Die Schäden an den Leitungen liegen in schwedischem und dänischem Hoheitsgebiet. Wann und ob das System ohne weiteres wieder funktionieren wird, ist noch unklar. Mehrere Länder halten Sabotage für wahrscheinlich. Europäische Sicherheitsbehörden sind derzeit fieberhaft bemüht, für Klarheit zu sorgen.
Laut Ulrich Lissek, Sprecher von Nord Stream 2, sind die Leitungen so verlegt, dass eine gleichzeitige Beschädigung mehrerer Rohre etwa durch einen einzelnen Schiffsunfall höchst unwahrscheinlich ist. Das berichtete die Deutsche Presse-Agentur. Zur Frage, ob ihm ähnliche Vorfälle im Zusammenhang mit Offshore-Pipelines bekannt seien, sagte Lissek: „Hab' ich nie gehört.“ Auch ein Experte für Unterwasserroboter verwies im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur auf die extrem hohen Sicherheitsstandards und die sehr robuste Bauweise der Leitungen. Aus seiner Sicht komme nur eine bewusste Manipulation in Frage.
Hier befinden sich die Defekte
Die Lecks wurden nordöstlich sowie südöstlich der dänischen Insel Bornholm festgestellt. Dänemark hat sie inzwischen offenbar mit virtuellen Leuchtfeuern in den digitalen Seekarten markiert. Das zeigen Daten des Seefahrtüberwachungsportals MarineTraffic.
Die Markierungen, die mit den Worten „Gas“ und „isolierte Gefahr“ beschriftet sind, sollen dafür sorgen, dass Schiffe Abstand halten. Das erste virtuelle Leuchtfeuer tauchte am Montag um etwa 14 Uhr südöstlich der dänischen Insel Bornholm auf. Zwei weitere am selben Tag gegen 21 Uhr nordöstlich der Insel. Das vierte erschien dann am Donnerstagnachmittag. Bei den nordöstlichen Markierungen soll es sich Medienberichten zufolge vor allem um Lecks in Nord Stream 1 handeln, bei der südöstlichen um die Pipeline Nord Stream 2.
Videoaufnahmen der dänischen Marine zeigen, wie das Erdgas nun in großen Mengen an die Oberfläche sprudelt. Ein Nord-Stream-1-Sprecher sagte der WirtschaftsWoche auf Anfrage, man habe die Lecks den dänischen Behörden gemeldet und dass diese die Positionen in ihren Karten markiert hätten. Über eine Ursache wollte er nicht spekulieren.
Spekulationen über Sabotage
Mehrere Länder halten einen Sabotageakt für inzwischen für wahrscheinlich. Es sei schwer zu glauben, dass es sich hier um Zufälle handele, sagte Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen Anfang der Woche. Aber es sei zu früh, irgendwelche Schlüsse zu ziehen, so Frederiksen gegenüber dem Sender DR. Marcin Przydacz, ein Stellvertreter des polnischen Außenministers Zbigniew Rau, sagte wiederum zu einer möglicherweise russischen „Provokation“: „Ich kann kein Szenario ausschließen.“ Schließlich befinde man sich in einer Situation „hoher internationaler Spannungen“. Das östliche Nachbarland verfolge „leider ständig eine aggressive Politik.“ Die Europäische Kommission zeigte sich zurückhaltender. Es sei jetzt nicht der Moment für Spekulationen. Die betroffenen EU-Staaten bemühten sich um Aufklärung, die europäische Energiesicherheit sei nicht in Gefahr, so die Kommission.
Nord-Stream-Lecks
In der Nacht zum Montag war zunächst in einer der beiden Röhren der Pipeline Nord Stream 2 ein starker Druckabfall festgestellt worden. Am Montagabend meldete dann auch der Betreiber von Nord Stream 1 einen Druckabfall - in diesem Fall für beide Röhren. Am Dienstag teilte die dänische Energiebehörde mit, es gebe insgesamt drei Gaslecks nahe der Insel Bornholm - zwei Lecks an Nord Stream 1 nordöstlich der Ostsee-Insel sowie eines an Nord Stream 2 südöstlich der Insel.
Die Ursache sei bislang nicht geklärt, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Dienstagmorgen aus Sicherheitskreisen. Jedoch spreche einiges für Sabotage. Sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des technischen Aufwands eigentlich nur ein staatlicher Akteur infrage kommen. Darüber hatte zuvor der „Tagesspiegel“ berichtet.
Nach Ansicht des polnischen Regierungschefs Mateusz Morawiecki sind die Lecks auf Sabotage zurückzuführen. „Wir kennen heute noch nicht die Details dessen, was da passiert ist, aber wir sehen deutlich, dass ein Sabotageakt vorliegt“, sagte Morawiecki am Dienstag im polnischen Goleniow bei Stettin, wo er an der Eröffnung der Gaspipeline Baltic Pipe teilnahm. Dieser Sabotageakt sei „wahrscheinlich die nächste Stufe der Eskalation, mit der wir es in der Ukraine zu tun haben“.
Auch Russland schließt Sabotage oder andere Gründe nicht aus. „Jetzt kann keine Variante ausgeschlossen werden“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag auf die Frage, ob Sabotage der Grund sein könne für den Druckabfall.
Laut Nord-Stream-2-Sprecher Ulrich Lissek sind die Leitungen so verlegt, dass eine gleichzeitige Beschädigung mehrerer Rohre etwa durch einen einzelnen Schiffsunfall höchst unwahrscheinlich ist. Zur Frage, ob ihm ähnliche Vorfälle im Zusammenhang mit Offshore-Pipelines bekannt seien, sagte er: „Hab' ich nie gehört.“ Auch ein Experte für Unterwasserroboter verwies im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur auf die extrem hohen Sicherheitsstandards und die sehr robuste Bauweise der Leitungen. Aus seiner Sicht kommt nur eine bewusste Manipulation in Frage.
Gesehen hat die Lecks noch niemand. Erahnen lassen sie sich aber schon jetzt: Das dänische Militär veröffentlichte am Dienstag erste Aufnahmen von einer gewaltigen Menge an Blasen an der Wasseroberfläche. Aus dem Leck an Nord Stream 2 ströme derzeit „richtig, richtig viel Gas“, wurde der Leiter der dänischen Energiebehörde, Kristoffer Böttzauw, am Dienstag von der Zeitung „Berlingske“ zitiert. Dies bedeute, dass das Wasser äußerst aufgewühlt sei. Angesichts dieser Menge Gas könne es sich nicht um einen kleinen Riss in der Pipeline handeln. „Das ist ein richtig großes Loch“, sagte Böttzauw demnach. Die Bereiche, in denen die Wasseroberfläche unruhig ist, haben demnach Durchmesser von Hunderten Metern.
Zumindest direkt über den Gaslecks besteht für die Schifffahrt Gefahr. Nach Angaben der dänischen Energiebehörde können Schiffe den Auftrieb verlieren, wenn sie in das Gebiet hineinfahren. Zudem bestehe möglicherweise eine Entzündungsgefahr. Außerhalb der Zone gebe es keine Gefahr, auch nicht für die Einwohner von Bornholm und der kleinen Nachbarinsel Christiansø. Die dänische Schifffahrtsbehörde hat für den Schiffsverkehr entsprechende Sperrzonen eingerichtet.
In Deutschland sieht das für die hiesigen Pipeline-Abschnitte zuständige Bergamt Stralsund zumindest keine unmittelbare Gefahr einer Verschlimmerung der Lage: „Eine weitere Schadensausbreitung dürfte aus technischer Sicht – nach gegenwärtigem Stand – unwahrscheinlich sein“, teilte die Behörde am Dienstag mit. Der Druck in den Leitungen habe sich entsprechend der Wassertiefe auf einem niedrigen Niveau eingestellt.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) schätzt die möglichen kurzfristigen Auswirkungen der Lecks an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 auf die Umwelt als lokal begrenzt ein. „Dort entsteht für die Tiere allerdings die Gefahr, zu ersticken. Das betrifft besonders die Tiere, die nicht schnell flüchten können“, sagte Nadja Ziebarth, Leiterin des BUND-Meeresschutzbüros, am Dienstag. Wie schon die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht auch der BUND vor allem eine Klimagefahr durch entweichendes Methan.
Da eines der Lecks in schwedischen Hoheitsgewässern liegt, wurden sowohl in Schweden als auch Dänemark am Dienstag Krisenstäbe einberufen. Als man von den Lecks erfahren habe, sei das Krisenmanagement zusammengerufen worden, an dem mehrere Ministerien und Behörden beteiligt seien, sagte die schwedische Außenministerin Ann Linde am Dienstag der Zeitung „Aftonbladet“. Der dänische Außenminister Jeppe Kofod habe sie kontaktiert, virtuelle Treffen waren demnach am Abend geplant.
Auch der Betreiber der Nord-Stream-1-Trasse will nicht untätig bleiben. Man veranlasse derzeit Untersuchungen, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG, die für Nord Stream 1 zuständig ist. Ein Experte für Unterwasserroboter geht nach eigener Aussage davon aus, dass sich die Behörden mit Tauchrobotern ein Bild von der Lage machen werden.
Nein. Nord Stream 2 war bislang nicht in Betrieb genommen worden. Den Gastransport durch Nord Stream 1 hatte Russland am Morgen des 31. August eingestellt. Seitdem bekommt Deutschland kein Erdgas mehr aus Russland. Trotzdem können die Gasspeicher in Deutschland weiter befüllt werden. Derzeit erhält Deutschland Erdgas über Pipelines aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien. Die täglichen Gesamtfüllstandswerte nehmen seit dem 19. Juli kontinuierlich zu. Mittlerweile sind die deutschen Speicher laut Bundesnetzagentur zu 91,3 Prozent gefüllt. Eine weitere Entlastung der Gasversorgungslage wird für den Jahreswechsel erwartet: durch die geplante Inbetriebnahme von drei Terminals an Nord- und Ostseeküste zur Anlandung von verflüssigtem Erdgas (LNG).
Allerdings zog der Preis für europäisches Erdgas am Dienstag an. Der Terminkontrakt TTF für niederländisches Erdgas stieg bis auf rund 194 Euro je Megawattstunde an. Zuletzt lag er bei rund 188 Euro, das waren etwa 8 Prozent mehr als am Vortag.
Schifffahrtsdaten der Tage vor dem Vorfall zeigen jede Menge Schiffe, die an den Stellen, wo jetzt die Leuchtfeuer stehen und wo sich die Lecks befinden dürften, vorbeigefahren sind. Besonders nah sind den Nord-Stream-1-Lecks zwei langsam fahrende deutsche Frachtschiffe gekommen: die „Schillplate“ und die „Suntis“. Ein schwedisches Kriegsschiff kreuzte laut MarineTraffic am 22. und 23. September mehrfach und langsam fahrend in der Gegend, sendete zwischendurch keine Transpondersignale. Die Lecks in Nord Stream 1 liegen in der schwedischen Wirtschaftszone.
Der Stelle, an der jetzt die Nord-Stream-2-Pipeline leckt, näherte sich unter anderem langsam fahrend das polnische Fischerboot „Koll 211“. Ableitungen lassen sich daraus allerdings nicht ziehen.
Russland zeigt sich besorgt
Auch Russland reagierte besorgt. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nannte die Gaslecks „sehr alarmierend“. Eine „dringende Untersuchung“ sei notwendig. „Wir sind extrem besorgt von diesen Nachrichten“, sagte er im Gespräch mit Journalisten.
Auf die Möglichkeit eines Sabotageakts angesprochen, erklärte er, dass keine Option ausgeschlossen werden könne. Die Entwicklung betreffe „die Energiesicherheit des gesamten Kontinents“.
Dieser Artikel erschien erstmals am 27.09.2022 wurde am 29.09.2022 aktualisiert und um die neue Karte ergänzt.
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