Schlechte Bilanz und nun die Briefwahl-Debatte US-Post droht Privatisierung nach Vorbild der Deutschen Post

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Muss die Post privatisiert werden?

Die Gründe für die Krise liegen sehr tief. Im Kern geht es um die Frage, ob die US-Post ganz oder zumindest teilweise privatisiert werden muss, um sie auf Rentabilität zu trimmen. Oder ob sie als wichtiger Teil der öffentlichen Infrastruktur künftig nicht nur wie bislang billiges Geld beim Staat aufnehmen kann, sondern direkt vom Steuerzahler subventioniert werden muss, damit weniger bevölkerungsreiche Regionen nicht abgehängt werden.

Derzeit ähnelt die traditionsreiche Behörde einem der typischen Silicon-Valley-Unicorns. Die Marke ist bekannt, der Umsatz beachtlich. Nur das Geschäftsmodell funktioniert nicht – oder im Fall der US-Post nicht mehr. Das Problem: Das wird so bleiben, falls die Institution nicht grundlegend verändert wird, meint Chris Edwards vom Cato-Institute, einer konservativen Denkfabrik. „Sie muss stärker dem Wettbewerb geöffnet werden“, fordert er. Als erster Schritt müsse die Postzustellung von sechs auf fünf Tage verkürzt und Postämter geschlossen und zusammengelegt werden.

Das es so arg gekommen ist, liegt am Internet. Es ist Fluch und Segen der Behörde. Fluch, weil kaum noch jemand Briefe schreibt. Selbst die Rechnungen für Strom und Wasser oder Bankauszüge werden elektronisch zugestellt. Die vielen Werbeprospekte und Rabatt-Heftchen, die früher die Briefkästen verstopften, werden nun als Online-Anzeige oder Digital-Coupon über Google und Facebook verteilt. Viele Zeitschriften sind aufs Tablet gewandert. Seit 2001 haben die Briefsendungen in den USA um fast die Hälfte abgenommen.

Eigentlich sollte der boomende Online-Handel die Ausfälle ausgleichen. Tatsächlich befördert die US-Post so viele Pakete und Päckchen wie noch nie. Das Problem ist, dass sie gegen private Konkurrenten wie Fedex und UPS konkurrieren muss. Während die privaten Wettbewerber unrentable Routen stilllegen können, muss die US-Post in jedes kleine Kaff ausliefern. Ob per Kleinflugzeug in Alaska oder an abgelegene Gehöfte in den Weiten von Montana oder Texas, wo etliche Sprengel noch nicht mal Straßennamen haben.

Davon profitieren Händler wie Amazon oder Wal-Mart, die so ihr Einzugsgebiet dank US-Post ausweiten. Zwar dauert das dann schon mal bis zu einer Woche und nicht innerhalb von Stunden wie in vielen US-Großstädten. Ländliche Gebiete machen vom Amazon-Geschäft in den USA laut einer Analyse der Investmentbank Morgan Stanley zwar nur elf Prozent aus, aber dank US-Post wird auch in entlegenste Regionen geliefert. So kann Amazon genau wie UPS und Fedex die Rosinen für sich picken. Wo die eigene Zustellung zu teuer ist, muss die Post ran. In den Städten baut der Online-Konzern sein eigenes Zustellnetz beständig aus beziehungsweise installiert eigene Paketabholboxen. Die Logistik ist komplex. Doch auf der letzten Meile lieferte der Online-Händler laut der Morgan Stanley Studie 46 Prozent seiner Sendungen selber aus. Danach kommt schon die US-Post mit rund 30 Prozent, gefolgt von UPS mit 17 Prozent. Dabei ist Paketgeschäft für die US-Post nicht immer lohnenswert. Schon im Geschäftsjahr 2019 deckte der Paketversand nur 97 Prozent der Kosten ab.

Als Ausgleich für das gesetzlich festgelegte Zustellmandat hat die US-Post das Monopol für alle anderen Sendungen fern des Pakets. Noch immer machen Briefsendungen mit 24,4 Milliarden Dollar das Gros des Jahresumsatzes aus. Dessen Volumen schrumpft jedoch ständig. Genau wie bei Werbesendungen und der internationale Briefverkehr.

Der Nachteil lässt sich an Zahlen ablesen: Fedex hat im vergangenen Jahr weltweit bei 69 Milliarden Dollar Umsatz rund 1,2 Milliarden Dollar verdient. UPS hat im Finanzjahr 2019 rund 74 Milliarden Dollar und 4,4 Milliarden Dollar an Profit erwirtschaftet. Die US-Post hat hingegen im Geschäftsjahr zwar 71 Milliarden Dollar umgesetzt. Dabei allerdings 3,4 Milliarden Dollar verloren. Oder sogar fast neun Milliarden Dollar, wenn man Zusagen für Pensionen und Gesundheitsversorgung hineinrechnet. Im Jahr 2006 verpflichtete das US-Parlament die Post, die Gesundheitskosten für seine Mitarbeiter und Pensionäre für die nächsten 75 Jahre abzusichern. Die Auflage hat den Spielraum weiter eingeschränkt.

Für US-Präsident Donald Trump, der Probleme gern vereinfacht und dramatisch verpackt, steht der Schuldige fest: Es ist Amazon, das sich wie ein Blutsauger an die US-Post hängt und deren Zustellverpflichtung gnadenlos ausnutzt. „Dass die-US Post soviel Geld verliert, liegt daran, dass sie Päckchen für Amazon und andere ausliefern. Jedes Mal, wenn sie ein Päckchen ausliefern, verlieren sie wahrscheinlich zwischen drei und vier Dollar“, behauptet Trump. Er hat auch eine einfache Lösung parat. „Sie müssen die Preise anheben, nicht für die Empfänger, sondern für Amazon und ähnliche Unternehmen.“

Doch mehrere Studien und interne Analysen der Post haben ergeben, dass dies nicht stimmt. Vielmehr ist es wohl so, dass der Online-Händler eigentlich sogar die US-Post stützt. Denn die muss ihr Zustellnetz ohnehin vorhalten. Der einzig strittige Punkt ist, ob Amazon und Co. für diesen Service mehr bezahlen müssten. Tatsächlich hat die US-Post gerade angekündigt, fürs kommende Weihnachtsgeschäft die Preise für ihre gewerblichen Kunden zu erhöhen. Doch sie kann nicht beliebig an der Preisschraube drehen. Dann könnten Amazon und andere Händler auf UPS, Fedex oder andere private Zusteller ausweichen. Mehr noch: Sie könnten etliche Waren in entlegene Regionen entweder gar nicht mehr liefern oder nur noch gegen Aufpreis. Das wollen allerdings auch die Republikaner nicht, die viele Wähler in ländlichen Gebieten haben.

Covid-19 hat die Krise der US-Post noch verschärft, weil sich die Margen wegen zusätzlicher Arbeitskräfte und Schutzmaßnahmen vor dem Virus noch weiter verschlechtert haben. Im zweiten Quartal verlor die US-Post allein 2,2 Milliarden Dollar. Um Kosten zu sparen, hatte der Postchef und Trump-Vertraute Louis DeJoy angekündigt, Überstunden zu verbieten und die Auslieferungszeiten zu verlängern. Die Reformen wird er allerdings nun bis nach der US-Wahl aussetzen. Zuvor gab es nämlich Kritik aus der Politik: Die Einschnitte hätten die Zustellung der Briefwahlergebnisse verzögern können, befürchtete die Kongress-Mehrheitsführerin Nancy Pelosi von den Demokraten.

Egal, wie die kommende US-Wahl ausgeht. Die US-Politiker müssen die Probleme mit der US-Post anpacken. In den USA wird oft über den alten Kontinent – gemeint ist Europa – die Nase gerümpft.

Chris Edwards vom Cato-Institute rät, die Privatisierung der Deutschen Bundespost genau zu studieren. Seiner Meinung nach taugt sie als Vorbild für das US-amerikanische Staatsunternehmen. Das dürften etliche Postkunden in Deutschland zwar anders sehen, gerade was das Ausdünnen von Filialen angeht. Aber vom Ausland betrachtet, sieht manches eben besser aus.

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