Die SNP unternimmt aktuell alles, um das zu verhindern. Aus Sturms Sicht ist es „politisch klug“ von der SNP, „das heiße Eisen zu schmieden“. Er gibt allerdings zu bedenken: „Für ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum bedarf es einer Anpassung des Scotland Acts, also zuerst der Gespräche mit der britischen Regierung und dann eines Parlamentsbeschlusses.“
Wie wahrscheinlich ist eine Trennung vom Königreich?
Die Parteien Schottlands stehen fast alle hinter der EU. Bei einer Debatte im Parlament in Edinburgh sprach sich die große Mehrzahl der Parlamentarier für den Verbleib aus.
Und die Bevölkerung? „Vor zwei Jahren haben die Schotten gegen die Unabhängigkeit von Großbritannien gestimmt, weil sie nur so Teil der Europäischen Union bleiben konnten“, sagt Werner Weidenfeld, Direktor des Centrum für angewandte Politikforschung an der LMU München. Heute sieht er keinen Grund mehr, warum sich eine Mehrheit der Bevölkerung für einen Verbleib im Königreich aussprechen sollte. Ob England, Schottland und Irland ein Staat bleiben? „Die Perspektive ist nur noch theoretisch gegeben“, sagt Weidenfeld.
Die Gesellschaft im Königreich ist längst gespalten. Das wurde in den vergangenen Wochen so deutlich wie nie zuvor. „In der Brexit-Debatte sind die schottischen Sorgen permanent unter den Tisch gefallen, genauso wie die nordirischen“, sagt Joachim Fritz-Vannahme, Direktor des Programms „Europas Zukunft“ bei der Bertelsmann-Stiftung. „Die Rücksichtslosigkeit der Engländer gegenüber den anderen Landesteilen war deutlich spürbar.“ Während der ganzen Debatte habe niemand darüber gesprochen, was ein Brexit etwa für Schottland bedeuten würde oder für den Konflikt in Irland.
Nicht nur UKIP-Chef Nigel Farage - auch zahlreiche Mitglieder Konservativen - brachten weniger eine Sehnsucht nach einem eigenständigen Großbritannien zum Ausdruck, als vielmehr den Wunsch nach einem „Little Britain“.
Wie schnell könnte ein Referendum zur Abspaltung Schottlands kommen?
Der radikale Parteiflügel der SNP würde sich lieber heute als morgen aus dem Königreich verabschieden. Doch Sturgeon hat schon vor dem Brexit-Referendum deren Erwartungen gedämpft.
Grund für ihre Zurückhaltung ist die wirtschaftliche Lage Schottlands, die vor allem vom Öl abhängt. Es ist für ein Fünftel des schottischen BIPs verantwortlich. Der Ölpreisverfall hat bereits 65.000 Jobs im Land gekostet.
Für viele Schotten stellt sich deshalb mehr denn je die Frage, ob das Land eigenständig lebensfähig wäre. Auch die Haushaltslage ist desolat. „Aktuell ist Schottland auf die Zuwendungen aus dem britischen Haushalt angewiesen“, sagt Fritz-Vannahme.
Andererseits hat Sturgeon aktuell ein eindeutiges Votum der Schotten für einen Verbleib in der EU hinter sich sowie die Mehrheit der Bevölkerung. „Wenn Sturgeon wartet, bis es neue Unterhauswahlen gibt, könnten sich die Kräfteverhältnisse zu ihren Ungunsten verschieben“, so Fritz-Vannahme. „Sturgeon wird erst einmal abwarten müssen.“ Der Europa-Experte geht aber davon aus, dass es in den nächsten zwei Jahren zu einem Referendum kommen wird.
Zumal bis 2020 mehr als 900 Millionen Euro aus den Strukturförderfonds der EU an Schottland fließen sollen. Geld, das im Falle eines Austritts aus der EU mit dem Rest des Königreichs verloren wäre.
Wie groß sind die Chancen, dass Schottland in den nächsten Jahren Teil der EU wird?
Vor zwei Jahren hat Brüssel deutlich gemacht, dass ein unabhängiges Schottland keine Chance hat, Teil der EU zu werden. Vor allem Spanien stemmte sich dagegen, um der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung kein Vorbild zu servieren. Dem Beitritt eines neuen Landes müssen alle EU-Mitgliedsstaaten einstimmig zustimmen. Scheitern die schottischen Hoffnungen also an Spanien?