Schuldenerleichterungen Die Pläne von Tsipras und Griechenlands Geldgebern kollidieren

Alexis Tsipras gilt bei Griechenlands Geldgebern inzwischen als gefügiger Partner. Trotzdem machen sich die Gläubiger Sorgen um die Zukunft.

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Griechenlands Geldgeber befürchten, dass Tsipras unpopuläre Reformen zurückdrehen und die Haushaltsdisziplin beenden könnte. Quelle: dpa

Athen Es sollte ein triumphales Finish werden: Im August läuft das drei Jahre zuvor vereinbarte Rettungsprogramm aus. Athen will sich dann vom Tropf der Hilfskredite lösen und die Fesseln des Spardiktats sprengen. Die verhasste Troika soll das Land auf Nimmerwiedersehen verlassen und aus der Schuldenkolonie ein wieder ein souveräner Staat werden – endlich. „Wir nehmen die Schlüssel wieder in die Hand“, versprach Alexis Tsipras seinen Landsleuten.

Vergolden will der Premier seine Erfolgsbilanz mit Schuldenerleichterungen, die er bis zum August den Euro-Partnern abzuringen hofft. So gestärkt, wollte Tsipras die spätestens im Herbst 2019 fälligen Parlamentswahlen gewinnen. Das war der Plan.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Der Endspurt wird immer mehr zu einem Hindernislauf. Selbst wenn es der Athener Regierung gelingen sollte, wie geplant bis zum Juni alle 88 noch offenen Reformvorgaben umzusetzen, rückt der „saubere Ausstieg“, mit dem Tsipras das Programm beenden wollte, wie eine Fata Morgana immer weiter in die Ferne.

Hans Vijlbrief, der neue Vorsitzende der Euro-Arbeitsgruppe EWG, warnte jetzt im Gespräch mit Griechenlands größter Zeitung „Ta Nea“: Wenn die Gläubiger dem Land Schuldenerleichterungen gewähren, dann sei es nur natürlich, wenn sie die Reformpolitik weiter im Auge behalten. Vijlbrief sprach von „strikter Aufsicht“.

Zuvor hatte bereits Klaus Regling, der Chef des Euro-Stabilitätsfonds ESM, angekündigt, bei Schuldenerleichterungen müsse es „auch zusätzliche Überprüfungen, eine Art von strengerer Kontrolle geben“.

Daraus spricht eine Sorge, die Griechenlands Geldgeber immer stärker umtreibt. Nachdem Tsipras im Frühjahr 2015 mit seiner Konfrontationspolitik gegenüber den Euro-Partnern scheiterte, hat er zwar die Reform- und Sparauflagen erfüllt, und zwar zügiger als seine Vorgänger. Aber Tsipras hat immer wieder betont, dass er unter dem Druck der Geldgeber eine Politik umsetzen müsse, an die er nicht glaube.

Man werde von den Gläubigern „erpresst“, heißt es in Regierungskreisen.

Das bestärkt die Geldgeber in ihrer Befürchtung, Tsipras werde unpopuläre Reformen zurückdrehen und die Haushaltsdisziplin beenden, sobald er nicht mehr auf Hilfskredite angewiesen ist.

Tsipras' Versprechen stehen auf dem Spiel

Hier kommen nun die Schuldenerleichterungen ins Spiel. Sie sind aus Sicht der Gläubiger problematisch, weil weitere Zugeständnisse an Griechenland in vielen Euro-Staaten politisch nur schwer durchsetzbar sind. Zudem bieten sie ein Instrumentarium, um das Land weiter unter Aufsicht zu behalten.

Für Tsipras wäre das ein schwerer Rückschlag. Er hatte seinen Anhängern schon vor der Wahl vom Januar 2015 versprochen, sofort nach seiner Machtübernahme die Kreditverträge mit den Gläubigern zu „zerreißen“, den Schuldendienst einzustellen, Privatisierungen rückgängig zu machen und das „Spardiktat“ zu beenden. Stattdessen musste er neue Milliardenkredite aufnehmen, einen noch härteren Sparkurs steuern und weitere Staatsbetriebe privatisieren.

Neue Auflagen würden Tsipras‘ Chancen auf eine Wiederwahl erheblich schmälern. Ohnehin steht der Premier in den jüngsten Meinungsumfragen schlecht da. Die konservative Nea Dimokratia liegt in den Befragungen rund zehn Prozentpunkte vor dem regierenden Linksbündnis Syriza. 72 Prozent der Befragten, so eine Erhebung des Instituts Metron Analysis, bewerten die Leistung der Regierung negativ, nur 19 Prozent äußern sich zufrieden.

Auch wirtschaftlich ist Tsipras in der Defensive. Der Premier beschwört zwar ständig die Konjunkturwende. Tatsächlich ist die griechische Wirtschaft nach acht Jahren Rezession 2017 wieder gewachsen. Aber der Aufschwung hat bisher wenig Kraft. Das Bruttoinlandsprodukt legte vergangenes Jahr um 1,4 Prozent zu. Ursprünglich hatte die Regierung ein Wachstum von 2,7 Prozent versprochen.

Für 2018 hat Finanzminister Euklid Tsakalotos seine Wachstumsprognose bereits von 2,5 auf 2,3 Prozent gesenkt. Die Analysten der Citigroup rechnen sogar nur mit einem Plus von 1,4 Prozent, wie im Vorjahr.

Die meisten Menschen spüren von der Wende bisher wenig. Die Arbeitslosenquote liegt immer noch bei knapp 21 Prozent. Eine Studie des gewerkschaftsnahen Instituts für Arbeit (INE) kommt sogar auf 27,5 Prozent, wenn man jene Arbeitslosen mitrechnet, die resigniert haben und gar nicht mehr aktiv nach einer Beschäftigung suchen. Jeder dritte Arbeitslose ist bereits seit über vier Jahren ohne Job. Unter den 15- bis 24-Jährigen sind offiziell sogar 45 Prozent als arbeitslos gemeldet.

Auch wer einen Job hat, muss sich einschränken. Mehr als die Hälfte der neu geschaffenen Stellen entfallen auf Teilzeitjobs, die hinsichtlich Lohn und Sozialversicherung prekär sind. In der griechischen Privatwirtschaft verdient fast jeder vierte Beschäftigte weniger als 700 Euro netto im Monat.

Viel spricht für vorgezogene Wahlen

Weitere Einschnitte sind bereits programmiert: Zum 1. Januar 2019 werden die Renten um bis zu 18 Prozent gekürzt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) drängt außerdem darauf, die eigentlich für Anfang 2020 geplante Absenkung des Grundfreibetrags in der Einkommensteuer ein Jahr vorzuziehen. Für eine vierköpfige Familie fällt der Freibetrag damit von 8864 auf 5905 Euro im Jahr, und die Steuerlast steigt um rund 650 Euro.

Aus Tsipras Sicht könnte viel dafür sprechen, die Wahlen vorzuziehen, bevor die Rentenkürzungen, die Steuererhöhungen und womöglich zusätzliche Sparauflagen wirksam werden und auf die Stimmung drücken. Möglicherweise wird er deshalb die Wähler bereits ein Jahr vor Ablauf der regulären Legislaturperiode in diesem Herbst zu den Urnen rufen.

Der konservative Oppositionschef Kyriakos Mitsotakis rechnet „jederzeit“ mit Neuwahlen. „Wann immer sie stattfinden, werden wir sie gewinnen“, sagte Mitsotakis jetzt bei Bloomberg TV. Er verspricht Steuersenkungen, Einsparungen im öffentlichen Dienst und Strukturreformen, um Griechenland attraktiver für Investoren zu machen. Unternehmensgewinne will Mitsotakis mit 20 statt bisher 29 Prozent besteuern und die unpopulären Immobiliensteuern um ein Drittel senken.

Im direkten Vergleich mit Tsipras schneidet der 50-jährige Oppositionsführer besser ab. In der persönlichen Wertung liegt er laut Umfragen neun Prozentpunkte vor dem amtierenden Premier. Aber gewonnen hat Mitsotakis noch nicht.

Rund 30 Prozent der Befragten haben bisher nicht entschieden, welcher Partei sie bei der nächsten Wahl ihre Stimme geben wollen. Etwa ein Drittel der Unentschlossenen sind abtrünnige Syriza-Wähler. Sollte es Tsipras gelingen, sie zurückzuholen, könnte er die nächsten Wahlen doch noch gewinnen.

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