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Schuldenkrise Die ausgehebelten Euro-Retter

Der Rettungsschirm ist trotz aller Finanztricks zu klein, um Schwergewichte wie Italien aufzufangen. Die Euro-Retter haben ihre selbstgesteckten Ziele verfehlt - der Countdown für das Endspiel in der Eurozone beginnt.

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Angela Merkel und Nicolas Sarkozy. Quelle: AFP

Nach dem Ende einer Premiere applaudieren sich Regisseure gewöhnlich selbst. Sie nehmen ein Bad in der Menge und loben die eigene Inszenierung. Für das Schauspiel auf der politischen Bühne gilt das noch mehr als für eine Theatervorstellung. Umso dramatischer wirkt das Bild, das die Euro-Finanzminister am Dienstagabend nach ihrem Treffen abgaben. Und die Nachricht, die sie für die Zuschauer des Spektakels mitgebracht hatten: Der Befreiungsschlag für die Eurozone ist gescheitert. Die Versuche, den Rettungsschirm EFSF mit Finanztricks auf über eine Billion Euro aufzublähen, sind fehlgeschlagen.

Die Euro-Retter haben die Latte hoch gelegt und sie nun gerissen: Die geplante Vervierfachung des EFSF-Kreditvolumens durch eine „Hebelung“ werde vermutlich nicht erreicht, sagte der niederländische Finanzminister Kees de Jager. Vermutlich sei nur etwa eine Verdopplung des Kreditvolumens möglich. Im Klartext: Die Finanztricks haben versagt. Aus dem geplanten „Kredithebel“ wird nichts. Höchstens noch ein Hebelchen.

„Das Meeting der EU-Finanzminister brachte nicht den großen Durchbruch bezüglich des Euro-Rettungsfonds EFSF“, sagte ein Händler. Es ist eine Bankrotterklärung, nach der die Eurozone mit dem Rücken zur Wand steht. „Jetzt beginnen zehn kritische Tage, in denen wir die Antwort auf die Schuldenkrise in der EU zum Abschluss bringen und beschließen müssen,“ sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn am Mittwoch in Brüssel.

Zur Erinnerung: Der EFSF sollte Geld bei privaten Investoren einwerben und Versicherer für Staatsanleihen von Euro-Schuldenländern spielen. So sollte er groß genug werden, um wackelnde Euro-Schwergewichte wie Spanien und vor allem Italien und Frankreich aufzufangen. Er sollte zu einem letzten Schutzwall werden, hinter den sich die Kernländer der Eurozone im allerletzten Notfall flüchten konnten, die die Märkte bereits ins Visier genommen hatten - und ohne die der Euro nicht überleben kann. Doch es finden sich offenbar nicht genug Investoren, die bei dem Zaubertrick der Finanzminister mitmachen wollen. Das Kunststück, Geld aus dem Nichts zu schaffen, ist gescheitert.

Die Euro-Retter haben nun ein großes Problem: Der EFSF ist zu klein - und damit faktisch gescheitert. Sein Garantievolumen liegt zwar bei 780 Milliarden Euro. Davon kommen jedoch nur 440 Milliarden Euro von den sechs Ländern mit der Top-Bonität „AAA“. Da Deutschland darauf bestanden hatte, dass sich der EFSF zu den günstigsten Zinsen refinanziert, kann der Fonds nur Kredite in Höhe von 440 Milliarden Euro vergeben.


Eurozone ohne Brandmauer

Abzüglich der Rettungspakete, die der EFSF bereits für Portugal, Irland und Griechenland geschnürt hat, verbleiben rund 250 Milliarden Euro im Rettungstopf. Das nächste Land, das kurz davor ist, bei EFSF-Chef Klaus Regling anzuklopfen, heißt Italien: Rom zittert bereits vor den Finanzmärkten. Am Dienstag konnte sich das Land zwar erfolgreich am Finanzmarkt neue Kredite besorgen. Doch nur für Rekordzinsen von acht Prozent bekommt Bella Italia überhaupt noch frisches Geld. Analysten halten Zinsen von mehr als sieben Prozent langfristig für nicht tragfähig.

Allein 2012 muss Italien 307 Milliarden Euro an auslaufenden Staatsanleihen refinanzieren - fast ein Fünftel seiner Wirtschaftsleistung. Um Hilfen für Italien aufzulegen, müsste sich der EFSF also wahrscheinlich bereits Geld bei Privatinvestoren besorgen. Das könnte noch gelingen, weil der Fehlbetrag von ca. 60 Milliarden Euro vergleichsweise klein ist. Doch sobald Italien einmal Finanzhilfen beantragt, dürfte das Land auf dem freien Kapitalmarkt für lange Zeit überhaupt keinen Kredit mehr bekommen. Italien - und mit ihm seine gesamte Staatsschuld von 1,8 Billionen Euro - würde dann zumindest vorübergehend am EFSF-Tropf hängen.

Damit würde ein Investment privater Kapitalgeber in den Rettungsschirm noch unwahrscheinlicher. Der Kredithebel hängt vom Vertrauen der Märkte ab: Italiens Schulden sind so groß, dass sie jeden Investor abschrecken müssen. Der „Kredithebel“ würde damit vollends zusammenbrechen, die Eurozone stünde ohne Brandmauer da.

Weil der EFSF in seiner jetzigen Form Italien nicht stemmen könnte, hat das Land nach Informationen von mehreren Eingeweihten angeblich bereits beim Internationalen Währungsfonds (IWF) erste Gespräche über Finanzhilfen geführt. Angeblich geht es um ein Notpaket von 400 Milliarden Euro. Der IWF-Beitrag könne womöglich um Kredite nationaler Zentralbanken der Euro-Zone aufgestockt werden, eine Entscheidung sei aber noch nicht gefallen, sagten mehrere mit dem Vorgang Vertraute. Der IWF, einst gegründet um Entwicklungsländer vor der Pleite zu retten, soll nun den Bankrott des viertgrößten Industrielandes der Welt verhindern.

Auch wenn Italien nur kurzfristig unter den Rettungsschirm flüchten sollte, würde sein Fall dem EFSF einen Stoß versetzen, der den Fonds wahrscheinlich zum Einsturz bringt. Denn der Fall Italiens würde wie ein Schock wirken. Das nächste Euro-Land käme unter Druck, dessen Kreditwürdigkeit die Märkte und die Ratingagenturen bereits angezählt haben: Frankreich. Das Land muss im nächsten Jahr 240 Milliarden Schulden refinanzieren.


Die Euro-Retter suchen eine neue Notfallstrategie

Selbst wenn man unterstellt, dass potentielle EFSF-Investoren sich vom Fall Italiens nicht abschrecken lassen würden und das EFSF-Restvolumen von 250 Milliarden Euro auf 500 oder 750 Milliarden Euro verdoppelt oder verdreifacht werden könnte, geriete der EFSF mit Hilfen für Italien und Frankreich (rund 550 Milliarden) endgültig an seine Grenzen.

Hinzu kommt: Sollten die Franzosen ihr Top-Rating verlieren oder Hilfen beantragen, würden sie selbst auch als Garantiegeber ausfallen. Das EFSF-Volumen würde ohne Frankreich schlagartig um 159 Milliarden Euro sinken, die Garantiesumme um über ein Drittel auf nur noch 281 Milliarden Euro schrumpfen.

Dann blieben nur noch zwei Möglichkeiten, um die Schlagkraft des Rettungsschirms zu erhöhen: Die letzten verbliebenen AAA-Länder wie Deutschland müssten ihren Garantierahmen zum zweiten Mal massiv erhöhen. Das würde wieder langwierige Änderungen am EFSF-Vertrag in allen 17 Mitgliedsländern erfordern und wäre politisch nur äußerst schwer durchsetzbar - Deutschland bürgt bereits jetzt mit 211 Milliarden Euro für die Schuldenländer. Oder aber die Euro-Länder ohne Spitzenrating werden zu Garantiegebern. Die effektive Schlagkraft des EFSF könnte so auf bis zu 700 Milliarden Euro steigen - allerdings würden auch die Zinskosten explodieren.

Wie man es auch dreht und wendet: Trotz aller Finanztricks und Hebelmodelle ist der Rettungsschirm faktisch gescheitert. Mit dem Fall Italiens würde der EFSF auf eine schiefe Ebene geraten und wäre am Ende unweigerlich überfordert.

Die Euro-Retter schwenken deshalb nun auf eine neue Notfallstrategie um: Weil der Eurofonds EFSF nicht ausreichen könnte, wollen sie nun den Internationalen Währungsfonds (IWF) stärker zur Rettung der Währungsunion einbeziehen. Deswegen „sind wir sehr für eine Anhebung der IWF-Ressourcen“, sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn am Mittwoch zum Auftakt des EU-Finanzministertreffens in Brüssel. Auch der luxemburgische Finanzminister Luc Frieden betonte am Mittwoch, der Euro-Rettungsschirm EFSF sei kein Allheilmittel zur Bewältigung der Schuldenkrise, sondern nur „ein wichtiger Teil der Lösung“. Die Solidarität, die die Euro-Länder untereinander einfordern, wird damit schleichend auf den Rest der Welt ausgeweitet. Bei ihrer Vorstellung am Dienstagabend haben sich die Euro-Retter selbst entzaubert und den Euro dabei ausgehebelt. Jetzt helfen nur noch Euro-Bonds - oder die EZB.

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