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Schuldenkrise „Ein Euro-Austritt Italiens wäre Ultima Ratio“

Italiens Schuldendilemma nimmt immer bedrohlichere Ausmaße an. Ökonomen setzen darauf, dass eine neue Regierung die Staatsfinanzen in den Griff bekommt. Andernfalls ist auch ein Euro-Austritt nicht ausgeschlossen.

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Ein Zwei Euro Stück liegt zwischen Nudeln. Quelle: dpa

Düsseldorf Dieses Szenario hatte bislang wohl noch keiner der Euro-Retter auf dem Zettel: Italien versinkt immer tiefer im Schuldensumpf. Und weil die Politik in Rom es nicht schafft, die Staatsfinanzen für die Märkte glaubwürdig in den Griff zu bekommen, eskaliert die Lage so weit, dass selbst ein Austritt des Landes aus dem Euro als letzte Möglichkeit in Betracht gezogen werden könnte.

Tatsächlich entwickelt sich die Lage in Italien trotz der Rücktrittsankündigung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi nicht zum Guten. Angesichts des Machtgerangels in Rom verloren die Investoren am Mittwoch die Geduld und zogen sich aus risikobehafteten Anlagen wieder zurück.

Der Dax fiel um ein Prozent auf 5900 Punkte. Der Euro gab binnen Minuten einen halben US-Cent nach und rutschte auf ein Tagestief von 1,3736 Dollar. Die Rendite für zehnjährige italienische Staatsanleihen zog bis auf 7,005(spätes Vortagesgeschäft: 6,757) Prozent an. Die Risikoaufschläge zur vergleichbaren Bundesanleihe waren so hoch wie noch nie seit Einführung des Euro. Die zehnjährigen Bundesanleihen bauten frühe Verluste ab und stiegen um 50 Ticks auf 100,91 Zähler. Die Rendite lag bei 2,0256 Prozent.

„Die große Hoffnung ist, dass Berlusconi abtritt und danach glaubwürdig Reformen angegangen werden“, sagte ein Händler. „Aber das Gerangel geht nun schon seit Tagen und immer noch ist nichts gelöst. Man muss auch die Frage stellen: Was kommt nach Berlusconi? Schafft es irgendjemand, die ganzen Parteien an einen Tisch zu bekommen?“

Berlusconi hat seinen Rücktritt in Aussicht gestellt und den früheren Justizminister Angelino Alfano als Nachfolgekandidaten genannt.

Es sei „eine Frage von Tagen“, bis die von der Europäischen Union geforderten Reformen das Parlament passiert hätten, sagte der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano.

Am Mittwochabend berichtete das Staatsfernsehen, die Finanzreformen könnten bereits bis kommenden Samstag gebilligt sein.

Das Präsidialamt gab unterdessen überraschend die Ernennung des möglichen Berlusconi-Nachfolgers Mario Monti zum Senator auf Lebenszeit bekannt. Personen, denen die Auszeichnung Senator auf Lebenszeit zuteil wird, verfügen über Wahlrechte im Senat. Der ehemalige EU-Wettbewerbskommissar Monti wird als Favorit für den Spitzenposten einer möglichen Technokraten-Regierung in Italien gehandelt.

In dieser Gemengelage brachte der weltweite Chef für Rate-Research bei der Deutsche Bank AG, Dominic Konstam, einen Euro-Austritt Italiens ins Spiel. Er begründete dies aber nicht etwa nur mit den aktuellen politischen Ungewissheiten. Er nannte vielmehr die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Euro-Zone insgesamt, die sich in den kommenden Wochen deutlich verschlechtern könnten, als Grund. So könnten sich die Probleme Italiens im Fall einer europäischen Rezession noch weiter verschärfen,  sollte es den Euro-Ländern nicht gelingen, die Schuldenkrise zu bewältigen.

Für die Italiener stelle sich dann die Frage, „ob sie eine sehr starke Rezession durchmachen wollen, die ihnen förmlich übergestülpt wird, weil es nicht gelingt, die Finanzkrise zu lösen“, sagte Konstam in einem Interview mit Bloomberg TV. „Oder werden sie irgendwann sagen: 'Hört zu. Wir könnten zurückgehen und da weitermachen, wo wir aufgehört haben. Also zu einem Zeitpunkt, als wir noch unsere eigene Währung hatten und in der Lage waren, moderatere  Zinssätze und starkes Wachstum zu erzielen.' Das ist die wirkliche  Herausforderung für Italien.“


Ökonom Otte: Erpressbarkeitsspirale durchbrechen

Hinter Konstams Gedankenspiel steht die Sorge, dass die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone unter ihren hohen Schulden zusammenbrechen könnte. Doch ist ein Euro-Austritt Italiens wirklich ein ernstzunehmendes Szenario? Oder würde es schon reichen, wenn das Mittelmeerland seine politische  Krise für die Märkte glaubwürdig löst und mit einer anderen Regierung und einem anderen Regierungschef wieder auf die Beine kommt?

Der frühere Berater der Europäischen Zentralbank (EZB), Hans-Peter Grüner, sieht gute Chancen für Italien, noch die Kurve zu kriegen. „Die Politik des Landes entscheidet über die Zukunft von ganz Europa“, sagte der Wirtschaftsprofessor an der Universität Mannheim Handelsblatt Online. Er halte es aber für wahrscheinlich, dass sich Rom dieser Verantwortung bald gewachsen zeigt. „Andernfalls müsste Italien über den EFSF oder zuletzt die EZB gestützt werden“, fügte er hinzu. Doch dies sei nicht ohne Risiko. Denn irgendwann könnten „die Wähler im Norden wirklich an eine Trennung von Italien denken“. Einen Euro-Austritt aber jetzt ins Spiel zu bringen statt auf die Wirkung der beschlossenen Maßnahmen zu setzen sei für die Politik „keine sinnvolle Option“. Italien brauche an sich auch „nur eine mäßige Anstrengung“, um die weitere Ausdehnung des Anteils des Schuldenstands am Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu verhindern.

Der Austritt Italiens aus der Euro-Zone würde nach Grüners Einschätzung zudem in der jetzigen Lage den Austritt von drei bis vier weiteren Ländern nach sich ziehen. „Das wäre mit massiven Verlusten der Banken im Rest von Europa verbunden und würde das Finanzsystem destabilisieren“, sagte der Ökonom. Das sei auch für Deutschland keine Option.

Ähnlich äußerte sich der renommierte Krisenökonom Max Otte. „Ein Euro-Austritt Italiens wäre Ultima Ratio, denn Italien als Gründungsnation gehört für mich zu Kerneuropa“, sagte der Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Worms Handelsblatt Online. „Vorher wäre auch hier ein Schuldenschnitt von 20 bis 30 Prozent auf alle Staatschulden denkbar.“

Otte warnte überdies davor, in der Schuldenkrise mit Forderungen nach Euro-Austritten Europa gegen die USA auszuspielen. „Das ist Wirtschaftskrieg seitens der angelsächsischen Länder.“ Denn die Ratingagenturen bewerteten mit zweierlei Maß. „Die USA stehen schlechter da als Italien und haben dennoch AAA-Bestnoten“, sagte Otte. Diese Abwärtsspirale im Rating könne man aber „schnell gelöst bekommen, wenn Griechenland aus der Euro-Zone austritt und damit die Erpressbarkeitsspirale durch immer schlechtere Ratings durchbrochen würde“, fügte er hinzu.


Ökonom Belke: Glaubwürdiges Sparprogramm muss her!

Einen Euro-Austritt Italiens hält auch Ansgar Belke, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied im Monetary Experts Panel des Europaparlamentes, für nicht ausgeschlossen, sollte die politische Krise nicht bewältig werden. „Wenn Italien seine strukturelle politische Krise für die Märkte glaubwürdig lösen würde - hierfür wäre eine andere Regierung eine Conditio-sine-qua-non - könnte es auch ohne Austritt aus der Euro-Zone wieder auf die Beine kommen und zu deren weitere Bestand beitragen“, sagte Belke Handelsblatt Online. “Falls nicht, dürfte die EZB bald noch in viel größerem Umfang als bisher befürchtet auf das letzte Mittel des Ankaufs italienischer Staatsanleihen zurückgreifen – mit zweifelhaftem langfristigen Erfolg, wie die aktuelle dramatische Entwicklung der italienischen Spreads jetzt schon zeigt“, fügte der Forschungsdirektor Internationale Makroökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hinzu.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat mittlerweile Staatsanleihen von Euro-Schuldenländern wie Griechenland und Italien im Volumen von mehr als 180 Milliarden Euro in der Bilanz. Unter dem neuen EZB-Präsidenten Mario Draghi hat die Zentralbank ihre Käufe zuletzt sogar forciert.

Dessen ungeachtet warnte Belke davor, Italien mit Ländern wie Griechenland gleichzusetzen. Zwar leide das Land unter einer Vertrauens- und Liquiditätskrise, doch hinsichtlich aller Kriterien weise es eine „bessere Startposition“ auf.  So seien die italienischen Banken „relativ gesund, und Italiens Haushaltsüberschuss ohne Beachtung der Zinslast wird dieses Jahr in Ordnung sein“, sagte der DIW-Ökonom. Und: „Ohne die hohe durchschnittliche Laufzeit der Staatsanleihen hätte sich der Teufelskreis steigender Zinsen tendenziell noch stärker beschleunigt und der ‚Selling Point’ der Anleihen wäre noch schneller in Reichweite geraten.“

Gleichwohl riskiert Italien nach Belkes Beobachtung trotzdem, das Vertrauen der Märkte zu verlieren - vor allem weil die inländische Sparquote über die letzten Jahre deutlich gefallen sei. „Damit hat sich eine Schere zwischen Einkommen und Konsum geöffnet und damit das Land von den internationalen Kapitalmärkten abhängig gemacht“, erläuterte der Experte.  Diese Schere, die sich in einem Leistungsbilanzdefizit von etwa drei Prozent des BIP widerspiegelt, sei aber nicht so groß, dass sie sich nicht rasch wieder schließen ließe. „Dazu bedarf es aber energischer Einsparungen im Haushalt“, sagte Belke. „Ein glaubwürdiges Konsolidierungsprogramm unter einer neuen Regierung muss her.“


EZB-Druck auf Italien verpufft

Doch Druck der EZB auf Rom in dieser Frage sei noch nicht in konkrete Regierungsbeschlüsse gemündet, kritisierte Belke. „Die größten Risikofaktoren stellen also nach wie vor die verfahrene innenpolitische Lage sowie die mangelnde Glaubwürdigkeit eines von einer voraussichtlich bald abtretenden Regierung beschlossenen Reformprogramms dar.“ Dies sei umso unverständlicher, da Italien hinreichend Ressourcen zur Verfügung stünden, um sich gegen eine Schuldenkrise zu stemmen. So sei der private Sektor in Italien anders als in Spanien, Portugal und Griechenland vergleichsweise wenig verschuldet. „Anders als Griechenland kann Italien seiner Bevölkerung mehr Einsparungen und höhere Steuern zumuten“, so Belke.

Doch momentan stehen die Zeichen in Rom eher auf politischer Lähmung. Der italienische Regierungschef will zwar bei möglichen Neuwahlen im Februar nicht wieder antreten. Vorher will Berlusconi aber erst noch ein Reformgesetz durchsetzen, das für mehr Wirtschaftswachstum sorgen soll.

Staatsoberhaupt Giorgio Napolitano forderte allerdings rasche Entscheidungen. Die Opposition verlangte, die von Berlusconi als Rücktrittsvoraussetzung genannte Haushaltsreform bis Montag zu verabschieden. Napolitano kündigte an, dann mit allen politischen Parteien Konsultationen aufnehmen. Jetzt sei rasches Handeln nötig, um das Vertrauen der Finanzmärkte in die Glaubwürdigkeit des Landes wiederherzustellen. „Dies erfordert ein sofortiges und nachhaltiges Bekenntnis zu soliden Staatsfinanzen.“

Die Chefin der oppositionellen Demokratischen Partei im Senat, Anna Finocchiaro, forderte, die geplante Haushaltsreform so rasch wie möglich zu verabschieden. Die Oppositionsparteien hätten eine Dringlichkeitsdebatte beantragt. Ziel sei, das Vorhaben bis Montag durchs Parlament zu bringen.

In italienischen Medien wurde spekuliert, der verzögerte Rücktritt Berlusconis könne ein taktisches Manöver sein. Mehrere linksgerichtete Zeitungen kommentierten, möglicherweise spiele der Regierungschef auf Zeit und wolle in Wirklichkeit überhaupt nicht zurücktreten. Dagegen versicherte der 75-jährige Berlusconi in der Zeitung „La Stampa“, er werde bei den kommenden Wahlen nicht wieder antreten. Am Dienstagabend hatte Berlusconi Stunden nach dem Verlust der absoluten Regierungsmehrheit im Parlament angekündigt, sein Amt niederzulegen. Der Kandidat des Mitte-Rechts-Lagers werde der Generalsekretär seiner Partei Volk der Freiheit, Angelino Alfano, sein.

Eine von der Opposition geforderte Übergangsregierung schloss er aus. Neuwahlen seien die einzige Alternative. Der Chef der Demokratischen Partei, Pier Luigi Bersani, bekräftigte dagegen den Vorschlag, angesichts der gegenwärtigen Situation eine Interimsregierung zu bilden, die das gesamte politische Spektrum abdecke. Das Berlusconi-Lager hält ein solches Vorgehen für eine Verfälschung des Wählerwillens von 2008.

Mit Material von Reuters

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