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Schuldenkrise Euro-Retter holen zum Befreiungsschlag aus

Der Rating-Druck setzt Europas Politik unter Zugzwang. Merkel & Co wollen beim EU-Gipfel die Quadratur des Kreises schaffen. Ihr Plan ist plausibel, doch die Umsetzung des Kraftaktes Euro-Rettung birgt große Risiken.

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Nicolas Sarkozy und Angela Merkel haben die Vorlage für den EU-Gipfel bilateral erarbeitet. Quelle: Reuters

Düsseldorf Der erste Staatschef, der gratulierte, war Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker. "Ich war schon immer dafür, genau das zu beschließen", sagte er, kaum dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ihre Euro-Rettungspläne bekanntgegeben hatten. Doch Lob auszuteilen ist einfach, EU-Vertragsänderungen durchzusetzen ist eine Mammutaufgabe mit vielen Haken und Ösen. Bekanntlich steckt der Teufel im Detail. Das wird auch beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag nicht anders sein.

Auf Basis der Merkel/Sarkozy-Pläne soll die Euro-Rettung forciert werden. Die Politik steht auch unter Erfolgsdruck, nachdem die US-Ratingagentur Standard & Poor's damit gedroht hat, die Bonität Deutschlands und von 14 anderen Staaten der Euro-Zone sowie des Rettungsfonds EFSF herabzustufen. Nach der Drohung zeigte sich Deutschland fest entschlossen, beim bevorstehenden Krisengipfel weitreichende Reformen durchzusetzen.

Was Merkel und Sarkozy sich vorgenommen haben, zielt auf substanzielle Änderungen des „Lissabon-Vertrags“. Und es klingt ein wenig wie ein Wunschzettel zu Weihnachten. Darauf müssen sich die Euro-Retter einstellen: Vorhaben wie europaweite Schuldenbremsen, automatische Sanktionen bei Verstößen gegen die Defizit-Vorgaben oder einen schnellen Start des dauerhaften Rettungsschirms ESM könnten schnell wieder von der Agenda rutschen – auch wenn die Regierungschefs Italiens, Spaniens, Großbritanniens und vieler anderer EU-Länder schon Einverständnis zu den „Merkozy“-Vorschlägen signalisiert haben.

Die Operation Euro-Rettung könnte gründlich schief gehen, wenn die Regierungen versuchen sollten, am eigenen Volk oder ihren parlamentarischen Vertretungen vorbei etwas zu beschließen. Dann wird aus der Mission, die sich Merkel und Sarkozy vorgenommen haben, eine Mission Impossible. Worin der Kraftakt der Euro-Rettung besteht und wo die Risiken liegen, zeigt folgender Überblick.


Verschärfung der Haushaltskontrolle

Bei der Haushaltskontrolle stützen sich Merkel und Sarkozy auf zwei Elemente. Es soll auf jeden Fall automatische Sanktionen gegen Schuldensünder geben - also Länder, die bei der Neuverschuldung gegen die Defizitregel von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung verstoßen. Alle 17 Euro-Länder sollen zudem bindende Schuldenbremsen in ihre Verfassungen aufnehmen. Deutschland hat bereits eine Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. In anderen Ländern strauchelt der Prozess. Der österreichischen Regierung droht bei ihrem Versuch eine Schuldenbremse festzuschreiben eine Abstimmungsniederlage.

EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy sieht noch viele Stolpersteine auf dem Weg zu mehr Haushaltsdisziplin in der Euro-Zone. Ihm sind Vertragsänderungen auch deshalb ein Dorn im Auge, weil er befürchtet, dass die Länder am Ende doch nicht mitziehen.

Van Rompuys Vorbehalte kommen nicht von ungefähr. Um eine Schuldenbremse in die nationalen Verfassungen zu schreiben, bedarf es zumeist einer Zweidrittelmehrheit; vielerorts könnten gar Volksabstimmungen über die geplante Änderung der EU-Verträge nötig sein. In Irland zittert die Regierung bereits vor einem Referendum.

Ministerpräsident Enda Kenny hatte Merkel bei seinem Besuch in Berlin vor drei Wochen bereits vor den Risiken gewarnt. Zum Entsetzen in Dublin kursierte damals bereits der irische Haushaltsentwurf in Berlin - der erst gestern in Dublin vorgestellt wurde. Wenn die Regierung jetzt ein Referendum zu vermeiden versuchte, würde dies mit Sicherheit vor dem Verfassungsgericht angefochten.
Auf Skepsis stießen die "Merkozy"-Pläne auch im Europäischen Parlament. "Es könnte eine demokratische Kontrolllücke entstehen", sagte Werner Langen, Chef der CDU/CSU-Gruppe. Ähnlich äußerte sich Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen in Brüssel. "Intergouvernementalen Deals, bei dem das Europäische Parlament außen vor bleibt, wird jede demokratische Legitimität fehlen", betonte sie. Das EU-Parlament werde sich "diesem demokratischen Roll-back mit aller Kraft widersetzen".

Angesichts der Risiken plädiert Van Rompuy deshalb dafür, auf die von Berlin und Paris angestrebte Änderung der EU-Verträge zu verzichten und stattdessen auf eine stärkere Selbstverpflichtung der Staaten zu ausgeglichenen Haushalten zu setzen.

Machbar sei dies über eine Ergänzung des Protokoll Nr. 12 des “Lissabon-Vertrags“, schreibt Van Rompuy in einer Analyse. Es befasst sich mit dem Verfahren bei einem übermäßigen Defizit eines Schuldenstaates. „Diese Entscheidung benötigt keine Ratifizierung auf nationaler Ebene“, heißt es in dem Bericht. „Dieses Verfahren könnte somit zu schnellen und bedeutenden Änderungen führen.“ Es genüge ein einstimmiger Beschluss des Rates auf Vorschlag der EU-Kommission, das Europäische Parlament und die Europäische Zentralbank müssten konsultiert werden.
Der zweite Weg laufe auf eine Vertragsänderung hinaus, wie Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatspräsident Sarkozy sie vorschlagen. Für automatische Sanktionen bei Überschreitung der Defizit-Obergrenze müsste Artikel 136 des EU-Vertrages geändert oder ergänzt werden. „Diese Prozedur wäre zeitaufwendiger und müsste von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden, aber dies würde grundlegendere Änderungen am Finanzrahmen erlauben“, heißt es in dem Bericht. Änderungen der EU-Verträge sind aufwendig und dauern mindestens ein Jahr oder länger.


Mehr Feuerkraft für den Rettungsschirm

Zentraler Baustein der Euro-Rettungsbemühungen ist der Rettungsfonds EFSF. Er soll eine Brandmauer um die angeschlagenen Euro-Länder bilden und sie vor einer Ansteckung mit dem Griechenland-Virus schützen. Hierfür hat der Fonds nach seiner Aufstockung ein Garantievolumen von effektiv 440 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist aus Sicht der meisten Experten viel zu wenig, um Länder wie Italien oder Spanien vor einem Bankrott zu schützen.

Daher hatten sich die Euro-Regierungschefs darauf verständigt, die Schlagkraft durch einen Hebel zu vervielfachen. Als Zielvorgabe gab Bundeskanzlerin Merkel eine Wirkung von einer Billion Euro aus. Inzwischen ist klar, dass dies mit den geplanten Mitteln nicht zu erreichen ist. Deshalb geht es am Donnerstag und Freitag erneut darum, die Schlagkraft des Rettungsfonds zu erhöhen.

Die Richtung hierfür haben Merkel und Sarkozy am Montag vorgegeben: Sie wollen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) auf Anfang 2012 vorziehen. Davon erhoffen sie sich vor allem finanztechnische Vorteile. Der ESM unterscheidet sich in mehreren Punkten vom EFSF. Zum einen soll er einen festen Haftungsstock in Höhe 80 Milliarden Euro haben. Dies hätte zur Folge, dass er zur Absicherung seiner Kredite weniger abrufbares Kapital bräuchte als der EFSF, der kein Eigenkapital hat.

Zum anderen soll der ESM rechtlich eine echte Finanzinstitution sein – so wie der Internationale Währungsfonds (IWF).  Dies macht es leichter die finanzielle Feuerkraft des ESM durch Hebelinstrumente zu erhöhen. Außerdem könnte der ESM auch Zugang zu Krediten der EZB bekommen – so wie der IWF. Bislang hat sich Deutschland allerdings immer gegen eine solche Möglichkeit gestellt. Mit dem ESM soll außerdem die Basis für ein geordnetes Verfahren im Fall einer Pleite eines Euro-Landes geschaffen werden.

Nach den neusten Überlegungen könnten die beiden Rettungsfonds EFSF und ESM für einen gewissen Zeitraum gleichzeitig eingesetzt werden. Das berichtete die Financial Times. Zu den 440 Milliarden Euro Kredithilfen, die der EFSF faktisch vergeben kann, kämen dann weitere 500 Milliarden Euro durch den ESM hinzu. Damit würde sich das Volumen des EFSF mehr als verdoppelt. Die Bundesregierung schloss einen „doppelten Rettungsschirm“ jedoch bereits aus. Der EFSF solle auslaufen, sobald sein Nachfolger ESM permanent eingerichtet sei, sagte ein Regierungssprecher am Mittwoch in Berlin.

Ohnehin hat der ESM noch hohe Hürden zu überwinden. Er bedarf eines völkerrechtlichen Vertrages, der in den einzelnen Ländern ratifiziert werden muss. Im Klartext bedeutet das: Alle Parlamente in den Euro-Ländern müssen zustimmen. Das kann dauern.

Darüber hinaus könnte auch der IWF weitere Finanzmittel zur Verfügung stellen. IWF-Chefin Lagarde hat dies nicht ausgeschlossen. Eine Möglichkeit dazu wäre, dass die Zentralbanken der Euro-Zone einen dreistelligen Milliardenbetrag in einen Spezialfonds einzahlen. Aus den Mitteln des Spezialfonds könnten dann Programme für Krisenländer finanziert werden.


Mehr Feuerschutz durch die EZB

Die Lösung der Euro-Krise wird zwar von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy vorangetrieben, bei allen Verhandlungen sitzt aber ein unsichtbarer Dritter immer mit am Tisch, ohne dessen mehr oder weniger willige Kooperation die Euro-Zone rasch am Ende wäre: Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank. Die Bank stützt - unter massiver Überdehnung ihres Mandats - die Anleihemärkte der Krisenländer. Und sie wird auch im kommenden Jahr eine kritische Rolle spielen.

Formal tastet natürlich niemand die Rolle der EZB an. „Wir sind uns außerordentlich einig, dass die EZB unabhängig ist“, erklärten Sarkozy und Merkel nach ihrem Vor-Gipfel am Montag in Paris. Aber das ist bereits ein Verhandlungsergebnis: dahinter steht ein doppelter Nichtangriffspakt. Die Bundesregierung hört damit auf, die hohen Anleihenkäufe der EZB lauthals zu kritisiert – und die Franzosen stellen ihre Angriffe auf den Unabhängigkeitsstatus ein.

Nach den Gesprächen von Sarkozy und Merkel hieß es in Paris, die EZB habe sich mit der Politik auf einen informellen Deal geeinigt. Darin verpflichten sich die Staats- und Regierungschefs der EU, mit einer echten Fiskalunion dafür zu sorgen, dass die Brüsseler EU-Kommission Staaten mit laxer Haushaltspolitik auf Sparkurs zwingen kann. Im Gegenzug versprach die EZB offenbar, mit noch mehr Anleihenkäufen für Stabilität zu sorgen.

Seit Beginn der Krise hat die EZB bereits Staatsanleihen über insgesamt mehr als 200 Milliarden Euro in ihr Bücher genommen. Aktuell schwanken die wöchentlichen Anleihekäufe zwischen rund vier und neuen Milliarden Euro. EZB-Chef Draghi hatte bereits bei einem Auftritt im Europa-Parlament die Richtung vorgegeben: Wenn es klare Schritte der EU-Regierungen gebe, um das Vertrauen der Märkte wieder herzustellen, würden „andere Elemente“ folgen.

Darauf verweist auch Allianz-Chefökonom Michael Heise. „Man wird durch die politischen Entscheidungen die Bereitschaft der EZB zu mehr Staatsanleihenkäufen und anderen Maßnahmen erhöhen“, sagte er am Mittwoch in Frankfurt. Allerdings spekuliert er zugleich darauf, dass im Falle glaubwürdiger Gipfelbeschlüsse ein massiveres Eingreifen der EZB an den Märkten gar nicht mehr nötig wird. „Ich hoffe, dass die Bereitschaft Mario Draghis nicht getestet wird“.

Am Donnerstag muss Draghi seine Linie bei seiner erst zweiten EZB-Ratssitzung verteidigen. Vor allem die Bundesbankvertreter hatten mit Hinweis auf Inflationsgefahren bislang immer heftig gegen die lockere Geldpolitik gewettert. Doch der deutsche EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark scheidet zum Jahresende aus, und ob sich Jens Weidmann, früher Merkelberater und seit kurzem Bundesbank-Chef, ebenso hartnäckig gegen die Kanzlerin stellt, wird bezweifelt.

Rechtlich erlauben die EU-Verträge der EZB eine Rolle als "Lender of last resort" eigentlich nicht. Artikel 123 des EU-Vertrages verbietet es der EZB, Staatsschulden zu finanzieren. Allerdings bewegt sich die Notenbank in einer Grauzone. Die bisherigen Anleihekäufe mit dem Umweg über den Finanzmarkt sind nach den EZB-Statuten möglich. Artikel 18 der EZB-Statuten erlaubt es der Notenbank , zur Erreichung ihrer Ziele am Finanzmarkt jegliche Art von Marktinstrumenten zu kaufen und zu verkaufen - auch Staatsanleihen der Krisenländer.

Faktisch läuft damit alles darauf hinaus, dass die EZB noch stärker als bisher als Rettungsanker agiert. Solang die anderen Rettungsmechanismen noch nicht greifen oder der Ratifizierung in den EU-Mitgliedsländern harren, werden die Frankfurter Notenbanker gegen Angriffe der Märkte auf einzelne Krisenstaaten intervenieren. Die oft geforderte Garantie als "Lender of last resort" einzuspringen und mit allen Mitteln für die Rettung der Euro-Zone einzustehen, musste sie bislang nicht abgeben. Noch nicht.

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