Schwellenländer "In China geht ein Zeitalter zu Ende"

Harvard-Ökonom Dale Jorgenson erklärt, wie sich die Wirtschaft in China verändert und warum Indien zwar wächst, aber Chinas Rolle nicht übernehmen kann.

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An diesen Märkten kracht es
Mit Chinas Aktienmarkt fing alles an: Jahrelang propagierte die Regierung in Peking den Einstieg in Aktien – ganz offiziell in den Staatsmedien. Der kleine Mann sollte an der Börse investieren und den chinesischen Unternehmen zu Kapital verhelfen. Doch mit dem stagnierenden Wirtschaftswachstum kamen Zweifel auf. Die Börsen in Schanghai und Shenzhen brachen innerhalb weniger Wochen drastisch ein. Und das Virus China begann, sich auszubreiten. Quelle: dpa
So zog Chinas Schwäche zum Beispiel auch das deutsche Aktienbarometer nach unten. Viele exportorientierte Dax-Unternehmen, vor allem die Autobauer, haben gelitten. Weil am Donnerstag die USA zusätzlich mit guten Konjunkturdaten aufwarten konnten und die Zinswende damit näher zu rücken scheint, ließ der Leitindex am Freitag weiter Federn. Zum Handelsschluss notierte er gut 300 Punkte tiefer bei 10.124 Punkten. Auf Wochensicht verlor der Dax knapp acht Prozent oder 861 Punkte. Quelle: REUTERS
Die voraussichtlich schlimmste Woche des Jahres für Aktien hat am Freitag auch die Wall Street nicht verschont. Nach enttäuschenden Konjunkturdaten aus China lagen die wichtigsten Indizes in New York zur Eröffnung deutlich im Minus. Der Dow-Jones-Index lag mit 16.815 Punkten ein Prozent im Minus. Der breiter gefasste S&P-500 tendierte mit 2.016 Zählern ebenfalls fast ein Prozent tiefer. Quelle: AP
Nicht nur an den Börsen, auch bei den Währungen ging es zuletzt deutlich bergab. Anfang der Woche gab die chinesische Zentralbank überraschend den Yuan-Wechselkurs frei – woraufhin dieser um mehrere Prozent nach unten rauschte. Auch in den Folgetagen konnte die Regierung den Kurs nur mit Mühe über Devisenverkäufe stabilisieren. Grundsätzlich will Peking daran festhalten, den Referenzkurs für den Wechselkurs nach Angebot und Nachfrage zu bestimmen. Quelle: dpa
Nicht nur der Yuan, auch die Schwellenländerwährungen allgemein haben in dieser Woche stark gelitten. Die türkische Lira, zum Beispiel, erreichte einen historischen Tiefstand nach dem anderen. Der Grund: Investoren ziehen ihr Geld aus den Schwellenländern ab und investieren es eher wieder im Dollar und Euro-Raum. Viele Schwellenländer hängen am Tropf Chinas. Das Vertrauen der Investoren schwindet daher. Quelle: REUTERS
Nach unten ging es diese Woche auch für den Ölpreis. Zuletzt kostete ein Barrel Brent noch 45,90 Dollar, ein Barrell der Sorte WTI noch knapp über 40 Dollar. Experten gehen längst davon aus, dass der Preisverfall weitergeht. Der Grund: Die USA hat durch die Schieferölförderung in nur vier Jahren die eigene Ölproduktion nahezu verdoppelt. Das dadurch steigende Angebot will und kann die Opec auch mittelfristig durch eigene Produktionskürzungen nicht kompensieren. Quelle: dpa
Doch nicht nur der Ölpreis leidet: Auch die Aktien der großen Ölunternehmen Exxon Mobil, Chevron, Royal Dutch Shell und Petrochina sind zuletzt deutlich eingebrochen. Experten warnen Anleger derzeit vor einem Wiedereinstieg. Quelle: dpa

Professor Jorgenson, trotz der Niedrigzinspolitik der Notenbanken kommt die Weltwirtschaft nicht richtig in Schwung. Was läuft da schief?

Vor dem Ausbruch der Finanzkrise hat es in vielen Ländern Kreditexzesse gegeben. Regierungen, Unternehmen und Haushalte sind vielerorts noch immer damit beschäftigt, ihre Schulden abzubauen. Das Geld, das in den Schuldendienst fließt, fehlt für Konsum und Investitionen. Das bremst die Konjunktur.

Ist das ein genereller Befund für die großen Industriestaaten?

Nein. Jedes Land hat seine eigene Krisen-Story. Man kann die Länder nicht über einen Kamm scheren.

Zur Person

In Japan etwa sind die Banken vergleichsweise wenig mit dem US-Finanzmarkt verbunden. Die Notenbank in Tokio reagierte daher zunächst nicht auf die Lehman-Pleite. Die Folge war, dass der Wechselkurs des Yen in die Höhe schoss und die Exporte einbrachen.

Zurzeit sorgen sich die Finanzmärkte vor allem um die Schwellenländer. Zu Recht?

Auch hier gilt: Schwellenland ist nicht gleich Schwellenland. Während es mit Indiens Wirtschaft bergauf geht, lässt die Dynamik in China nach ...

... was erhebliche Folgen für die Weltwirtschaft hat.

Ohne Zweifel. In China geht ein ökonomisches Zeitalter zu Ende. Der wirtschaftliche Aufholprozess, der dadurch geprägt war, dass viele Unternehmen aus dem Westen und aus Asien Teile ihrer Produktion nach China verlagerten, läuft aus. Die Löhne in China steigen rasant, das Land ist kein attraktiver Standort mehr für das Outsourcing von Wertschöpfungsprozessen.

Die nächsten 15 Giganten aus China

Die zweistelligen Wachstumsraten gehören der Vergangenheit an. Derzeit wächst die Wirtschaft nur noch mit Raten um die sieben Prozent. In den nächsten Jahren werden sie auf fünf bis sechs Prozent fallen.

Das erinnert an die Entwicklung in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg ...

... mit dem Unterschied, dass die Phase des hohen Wachstums in Japan nur rund 13 Jahre dauerte. In China währte sie doppelt so lang. Das ist darauf zurückzuführen, dass der Aufholprozess in China von einem deutlich niedrigeren Niveau startete als in Japan.

"China hat Indien abgehängt"

Kann Indien die Rolle Chinas als globaler Konjunkturmotor übernehmen?

Anfang der Neunzigerjahre lagen China und Indien in etwa auf dem gleichen Entwicklungsniveau. Dann fiel Indien zurück. Jetzt holt die Wirtschaft des Subkontinents wieder auf.

In der nächsten Dekade dürften die Wachstumsraten zwischen sechs und sieben Prozent und damit höher als in China liegen. Ich glaube, Indien hat sein Wachstumspotenzial noch nicht ausgeschöpft. Gleichwohl kann das Land nicht die Rolle der globalen Konjunkturlokomotive von China übernehmen.

So benehmen Sie sich in China richtig

Warum nicht?

China ist ein exportorientiertes Land, das in den vergangenen Jahrzehnten viele Direktinvestitionen angelockt hat. Indiens Wirtschaft hingegen lebt von der Binnennachfrage, große Teile der Wertschöpfung und der Beschäftigung entfallen auf den Agrarsektor. Dazu kommt, dass China schon vor 20 Jahren erkannt hat, dass die Bildung der Menschen wichtig für das Wachstum ist.

Seither genießt Bildung einen hohen Stellenwert im Zielkatalog der Regierung in Peking. Indien hat hingegen erst 2009 begonnen, die Bildungspolitik zu verbessern. Vergleicht man den Bildungsstand gleicher Jahrgänge, zeigt sich, dass China Indien abgehängt hat.

Was bedeutet das steigende Humankapital für die Wirtschaft? Wird China den Westen technologisch bald einholen?

China hat es bisher nicht geschafft, sich in die innovationsgetriebenen globalen Wertschöpfungsketten einzuklinken, anders als etwa Taiwan und Südkorea. Viele Geschäftsleute in Taiwan, die heute in ihrem Land zur Speerspitze bei Innovationen zählen, haben ihre Ausbildung in den USA erhalten und anschließend mehrere Jahre im Silicon Valley gearbeitet. Wenn sie nach Taiwan zurückkehren, nutzen sie ihre Kontakte und Netzwerke, um eigene Unternehmen zu gründen. Auf diese Weise hat sich Taiwan in globale Wertschöpfungsketten integriert.

Und China?

In China ist dieser Prozess nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 für eine Dekade zum Erliegen gekommen. Bis das Land dem Westen bei der Innovationskraft das Wasser reichen kann, wird es noch mindestens eine Generation dauern.

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