Seekorridor von Wladiwostok nach Chennai Ist die Indien-Russland-Connection wirklich hilfreich für Putin und Modi?

Narendra Modis

Trotz des Angriffs auf die Ukraine hält Indien weiter zu Russland. Nun wollen beide Länder ihre Beziehungen deutlich ausbauen. Eine besondere Rolle kommt dabei Russlands rohstoffreichem Fernen Osten zu.

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Er bewundere Präsident Putins Vision, schmeichelte Indiens Premierminister Narendra Modi. Es ging um Russlands Fernen Osten und Putins Entwicklungspläne für die Region. Modi überbrachte seine Lobhudelei per Videobotschaft auf dem Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok im September 2021. Die Freundschaft zwischen den beiden Ländern habe sich bewährt, betonte Modi – und Indien werde ein zuverlässiger Partner für Russland sein, um diese Vision zu verwirklichen.

Ein halbes Jahr später führt Wladimir Putin, „mein lieber Freund“, wie Modi sagte, Krieg gegen die Ukraine, mehr als zwei Millionen Menschen sind bereits vor den russischen Truppen geflohen. Die indische Regierung aber steht trotz allem weiter an der Seite Russlands: Der indische Vertreter enthielt sich, als der UN-Sicherheitsrat über eine Resolution gegen Russlands Krieg in der Ukraine abstimmte. Premier Modi hütet sich, den Angriff zu verurteilen.

Indien verbindet seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien 1947 eine besondere Partnerschaft mit Russland. Die Sowjetunion unterstützte Indien schon im Kaschmirkonflikt, politisch auch im Krieg gegen Pakistan. Indien kritisierte umgekehrt den Partner kaum, nicht beim Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan, nicht, als Russlands Präsident Wladimir Putin 2014 die ukrainische Halbinsel Krim annektierte – und auch bislang nicht wegen der Invasion der Ukraine.

von Malte Fischer, Julian Heißler, Bert Losse, Jörn Petring, Christian Ramthun

Für Deutschland und Europa mag das ernüchternd sein. Als größte Demokratie gelte Indien als Wertepartner und Mitstreiter für eine regelbasierte internationale Ordnung sowie als zukunftsträchtiger Markt, analysiert Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Indien braucht Russland als Waffenlieferanten

Indiens Selbstverständnis allerdings zielt auf Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Zudem braucht das Land Russland als Waffenlieferanten sowie als Unterstützer bei politischen Konflikten: dem lange schwelenden in Kaschmir und mit Pakistan sowie bei neuen Konflikten wie mit China. Auch planen die Partner, ihren Warenaustausch untereinander bis 2025 auf einen Wert von 30 Milliarden US-Dollar zu steigern – ein ambitionierter Plan.

Denn bislang haben die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und Russland mit ihrer außenpolitischen und rüstungsbezogenen Partnerschaft nicht mitgehalten, schreiben Wissenschaftlerinnen der Denkfabrik Observer Research Foundation (ORF) aus Neu-Delhi. Der Handel zwischen beiden Ländern stagniere seit einigen Jahren in der Größenordnung zwischen zehn und elf Milliarden US-Dollar.

Wenn Russland nun von vielen Ländern dauerhaft durch Sanktionen wirtschaftlich isoliert wird, könnte das Land sich allerdings stärker seinen verbliebenen Partnern zuwenden – wodurch für Indien wirtschaftliche Chancen entstehen.

Das konnte Premierminister Modi bei seiner Schalte nach Wladiwostok nicht voraussehen. Sein Lob und seine Versprechungen waren allerdings auch schon damals nicht ganz uneigennützig: Das Eastern Economic Forum ist eines der wichtigsten internationalen Treffen auch zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Russland und Staaten des asiatisch-pazifischen Raums. Modi und Putin wollen zudem einen Seekorridor zwischen den Häfen in Chennai in Ostindien und Wladiwostok wiederbeleben, der zu Zeiten der Sowjetunion für wenige Jahre bestanden hatte.

Ein Projekt, bei dem es vor allem um Rohstoffe geht, die in Russlands Fernem Osten vorkommen: besonders Gas und Öl, aber auch Kohle und Diamanten. Allerdings sollen indische Unternehmen vor Ort auch in die Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse einsteigen – und der Tourismus gefördert werden. Die indische Regierung hat eine Kreditlinie in Höhe von einer Milliarde Dollar angekündigt, um heimische Firmen zu unterstützen, sich im östlichsten Russland niederzulassen.

Deutlich verkürzte Transportwege

Die geplante Route zwischen Chennai und Wladiwostok würde den Transportweg deutlich verkürzen. Derzeit seien Güter durch Europa im Schnitt 40 Tage zwischen den beiden Städten unterwegs, schreiben die ORF-Wissenschaftlerinnen. Über den Seeweg würde dies nur 24 Tage dauern. Einige Projekte in der Region sind bereits angelaufen: Indische Arbeiter seien an Gasprojekten in der russischen Amur-Region an der Grenze zu China beteiligt, erwähnte Premier Modi in seiner Videobotschaft; eine der größten indischen Werften werde gemeinsam mit der russischen Zvezda-Werft nahe Wladiwostok einige der wichtigsten Handelsschiffe weltweit bauen.

von Henryk Hielscher, Annina Reimann, Jürgen Salz

Die Wissenschaftlerinnen sehen allerdings Hindernisse für den Seekorridor, vor allem die Frage, ob er sich wirtschaftlich lohnt. Denn an der Ostküste Indiens fehlten beispielsweise die Raffinerien, um Rohöl aus Russland weiterzuverarbeiten. Auch für Flüssigerdgas fehle es dem Land vor allem in den südlichen und östlichen Regionen an effizienter Infrastruktur. Nach dem Einbruch der Wirtschaft aufgrund der Coronapandemie könne es auch Jahre dauern, bis ausreichend investiert werde.

Russland suche vor allem Ersatz für Investoren aus dem Westen, die sich aufgrund der Sanktionen seit der Annexion der Krim 2014 aus dem Fernen Osten zurückgezogen hatten. Für indische Unternehmen stelle sich aber die Frage, ob die Region nicht zu schlecht angebunden und mit Infrastruktur ausgestattet sei, zu wenige Arbeitskräfte habe und umgekehrt überhaupt viele indische Exporte aufnehmen könne, geben sie zu Bedenken.



Es könnte also sein, dass sich für Indien der Ferne Osten Russlands ähnlich entpuppt wie Indien selbst sich für die deutsche Wirtschaft. Das oft wiederholte Lob für die guten Wachstumsaussichten ist schon mehrfach getrübt worden durch den zunehmenden Protektionismus in dem Land. Ein Beispiel, das Europa indirekt betrifft: Kurz vor Abschluss der Verhandlungen zog sich Indien vor zwei Jahren aus der größten Freihandelszone der Welt, der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) zurück – aus Angst vor schärferem Wettbewerb beispielsweise für Landwirte und Textilunternehmen.

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