Paul Samuelson war ein Wunderkind: Schon mit 25 Jahren wurde er Assistenzprofessor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Mit Anfang 30 veröffentlichte er sein berühmtes Buch „Foundations of Economic Analysis“, mit dem er neue statistische Werkzeuge für die ökonomische Analyse einführte. Es brachte ihm 1970 den Nobelpreis ein.
Ist Samuelson eine Ausnahme? Das wollten die Ökonomen Bruce Weinberg (Universität Ohio) und David Galenson (Universität Chicago) wissen und analysierten die Karrieren von 31 Nobelpreisträgern. Dafür ordneten sie die Ökonomen zunächst in zwei Kategorien ein: Theorieforscher, die ihr Feld mit einer neuen Theorie überraschten (wie Samuelson), und Experimentalökonomen, die vor allem mit empirischen Daten arbeiten und daraus Erkenntnisse ableiten. Anschließend werteten sie aus, in welchem Alter die Nobelpreisträger in den jeweiligen Gruppen ihre großen Ideen hatten. Als Maßstab verwendeten sie die Zitationen der Studien, die die Ökonomen veröffentlichten: Je öfter eine Arbeit von anderen Forschern aufgegriffen wurde, desto bedeutender war sie, so die Annahme von Weinberg und Galenson.
Dabei fanden die beiden Ökonomen ein interessantes Muster: Theorieforscher sind tatsächlich oft Wunderkinder und haben ihre besten Ideen zwischen 23 und 29 Jahren. Bei Experimentalökonomen ist das anders: Sie blühen erst spät in ihrer Karriere auf und veröffentlichen ihre einflussreichsten Arbeiten oft mit Mitte 50.
Zehn Mythen über den Nobelpreis
Richtig. Adolf Hitler wurde 1939 von dem schwedischen Abgeordneten E.G.C. Brandt für den Preis nominiert, der „Brüderlichkeit unter den Nationen“ und weltweite Abrüstung vorantreiben soll. Brandt zog die Nominierung später zurück und erklärte, sie sei satirisch gemeint gewesen. Die Episode zeigt, dass praktisch jedermann nominiert werden kann. Über die Aussichten, den Preis tatsächlich zu bekommen, sagt eine Nominierung nichts aus.
Falsch. Der Friedensnobelpreis wird, wie von Alfred Nobel verfügt, in Oslo verkündet und verliehen. Warum Nobel das so wünschte, ist nicht bekannt.
Richtig. Der Preis für Wirtschaftswissenschaften zählte nicht zu den fünf Auszeichnungen, die Alfred Nobel in seinem Testament für die Kategorien Medizin, Physik, Chemie, Literatur und Frieden forderte. Er wurde 1968 zu Ehren Nobels von der schwedischen Zentralbank gestiftet. Er wird gemeinsam mit den anderen Preisen bekanntgegeben, ist mit demselben Preisgeld in Höhe von acht Millionen schwedischen Kronen (878.000 Euro) dotiert und wird bei der jährlichen Nobelpreiszeremonie im Dezember verliehen. Doch formal ist er kein Nobelpreis. Der offizielle Name lautet „Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank“.
Richtig. Das Geschlecht spiele bei ihrer Entscheidung über die Preisträger jedoch keine Rolle, sagen die Nobel-Juroren. Das Verhältnis spiegele nur die historische Dominanz von Männern in vielen Forschungsbereichen wider.
Falsch. Seit 1974 werden von den Preiskomitees nur lebende Personen berücksichtigt. 2011 machte die Nobelstiftung allerdings eine Ausnahme: Erst unmittelbar nach der Bekanntgabe des Preises für Medizin hatte sich herausgestellt, dass einer der Geehrten, der kanadische Immunforscher Ralph Steinman, wenige Tage zuvor gestorben war. Die Stiftung beließ es bei der Entscheidung, Steinmans Anteil am Preisgeld ging an seine Hinterbliebenen.
Falsch. Die Französin Marie Curie gewann 1903 den Preis für Physik und 1911 den für Chemie. Der US-Chemiker und Friedensaktivist Linus Pauling erhielt 1954 den Nobelpreis für Chemie, acht Jahre später wurde er mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Falsch. Der redegewandte, konservative britische Politiker Winston Churchill erhielt zwar einen Nobelpreis, allerdings in der Kategorie Literatur. Er wurde damit 1953 „für seine meisterlichen historischen und biografischen Schilderungen sowie für brillante Rhetorik bei der Verteidigung erhabener menschlicher Werte“ ausgezeichnet.
Falsch. Die Nobelstatuten besagen, dass die Auszeichnungen unter mehreren Preisträgern aufgeteilt werden können, doch in keinem Fall „darf eine Preissumme unter mehr als drei Personen aufgeteilt werden“.
Richtig. Die Nobelstatuten sind diesbezüglich eindeutig. Wer einen Nobelpreis bekommen hat, behält ihn für immer. Paragraf 10 lautet: „Gegen die Entscheidung eines Preisgremiums dürfen keine Einsprüche bezüglich der Zuerkennung eines Preises erhoben werden.“ Online-Petitionen, die zum Entzug eines bestimmten Preises aufrufen, sind daher wirkungslos.
Falsch. Es gibt keine Obergrenze, wie oft jemand mit einem Nobelpreis geehrt werden kann. Der US-Wissenschaftler John Bardeen gewann den Preis für Physik zweimal, 1956 und 1972. Der britische Biochemiker Frederick Sanger erhielt zwei Preise für Chemie, 1958 und 1980.
Die nicht wirklich erstaunliche Erklärung von Weinberg und Galenson: Bei der Entwicklung neuer Theorien hilft die Unbekümmertheit der Jugend. Ökonomen, die gerade mit dem Studium fertig sind, gehen mit frischem Blick an alte Probleme heran und finden innovative Lösungen. Bei der Erforschung von komplizierten ökonomischen Zusammenhängen hilft dagegen eher Erfahrung und das mühsame und langwierige Zusammentragen von Daten.
Doch egal, ob Theorie-Wunderkind oder erfahrener Experimentalforscher: Nach der Erkenntnis müssen alle erst mal geduldig sein. Das Nobelpreis- Komitee will sehen, ob die Idee aufgegriffen wird und wirklich etwas verändert. Auch deswegen ist das Durchschnittsalter der Preisträger 67 Jahre. Ausnahmen gibt es nur wenige: Paul Krugman etwa war erst 55 Jahre, als er den Preis erhielt. Der bisher jüngste Preisträger war mit 51 Jahren der Amerikaner Kenneth Arrow (1972).
Regel 4: Seien Sie bereit, nach der Preisverleihung weniger zu forschen
Ein Nobelpreis kann ganz schön anstrengend sein. Darauf deutet eine Studie der Informatiker und Mathematiker Santo Fortunato und Raj Kumar Pan (beide Aalto Universität Espoo) hin. Sie haben die Produktivität von zwölf Nobelpreisträgern untersucht – darunter allerdings keine Ökonomen, sondern ausschließlich Physiker, Chemiker und Mediziner. Fortunato und Kumar Pan verglichen, wie viele einflussreiche Arbeiten die Wissenschaftler vor und nach ihrem Preis in Fachzeitschriften veröffentlichten. „Die Publikationen von Nobelpreisträgern sinken nach dem Preisgewinn“, schreiben sie in ihrer Studie. „Das könnte daran liegen, dass sie plötzlich mehr Verpflichtungen haben und viel reisen müssen.“ Eine ähnliche Studie für Wirtschaftswissenschaftler hat der Ökonom Jean-Charles Bricongne (Universität Tours) 2014 veröffentlicht. Er untersuchte die Produktivität von Gewinnern bei gleich mehreren Ökonomie- Preisen: dem Nobelpreis, der John-Bates-Clark-Medaille, der Frisch-Medaille und dem IZAPreis. Seine Ergebnisse zeigen, dass Ökonomen sich nicht so stark zurücklehnen wie Physiker, Chemiker oder Mathematiker und auch nach einem Preisgewinn weiter publizieren.
Allerdings fand auch Briconge Anzeichen dafür, dass es Preisträger alles in allem ruhiger angehen lassen. Sie veröffentlichen etwa weniger Working Paper als vorher, „scheinen sich auf einige wichtige Arbeiten zu konzentrieren“, schreibt Bricongne. Auch er vermutet, dass die Preisträger vor allem durch Interviewanfragen und neue Aufgaben an ihren Universitäten von ihrer Forschung abgehalten werden. Der zusätzliche Stress scheint den Stars aber gut zu tun. Die Ökonomen Matthew Rablen (Brunel-Universität London) und Andrew Oswald (Universität Warwick) zeigten in einer Studie, dass ein Nobelpreis die Lebenserwartung verlängert. Dafür verglichen sie Preisträger aus den Jahren 1901 bis 1950 mit ähnlich renommierten Wissenschaftlern, die nie den Nobelpreis bekamen. Das Ergebnis: Die Gewinner lebten im Durchschnitt rund zwei Jahre länger als ihre Kollegen, die leer ausgingen.