Shinzo Abe und Taro Aso Ein alter Skandal gefährdet erneut Japans Regierung

Japans Regierungschef Shinzo Abe hat schon viele Skandale ausgesessen. Nun aber bedroht ein umstrittener Deal den Finanzminister und den Premier.

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Tokio In Japan gibt es ein sicheres Zeichen dafür, dass Regierungsmitglieder um ihren Job fürchten müssen: Wenn sie sich wortreich für einen Skandal entschuldigen müssen, Journalisten sie vor laufenden Kameras fragen, wann sie zurücktreten und der öffentlich-rechtliche Rundfunksender NHK dies auch noch in seinen Hauptnachrichten um sieben Uhr abends der Bevölkerung mitteilt.

Derzeit geschieht dies ausgerechnet dem Spitzenduo Japans Regierung, Finanzminister Taro Aso und Ministerpräsident Shinzo Abe – möglicherweise mit großen Auswirkungen auf Japans Wirtschaftspolitik. Denn plötzlich kocht ein Skandal um vermeintliche Gefälligkeiten für eine ultrarechte Privatschule aus dem vorigen Jahr wieder auf, den Abe nach einem tiefen Fall seiner Popularitätswerte scheinbar erfolgreich ausgesessen hatte.

Damals nahm die Bevölkerung Abe vorübergehend übel, dass dem Schulträger Moritomo Gakuen ein Gelände für den Bau einer Grundschule in der Millionenmetropole Osaka für ein Siebtel des Marktwerts verkauft worden war. Am Montag sorgte das Finanzministerium durch das neue Geständnis, dass ein Amt mehrere Untersuchungsberichte über den umstrittenen Deal in vielen brisanten Punkten umgeschrieben hatte, für neuen Diskussionsstoff.

Die betroffenen Politiker versuchen zwar noch, zu retten, was zu retten ist. Finanzminister Aso wies umzingelt von Journalisten die Rücktrittsforderung zurück. Stattdessen beschuldigte er Untergebene, die Berichte aus eigenem Antrieb geändert zu haben. Der Chef der betroffenen Steuerbehörde, Nobuhisa Sagawa, war vorige Woche bereits zurückgetreten.

Abe versuchte ebenfalls, Distanz zwischen sich und den Skandal zu bringen. „Die Situation hat das Vertrauen der Öffentlichkeit in die gesamte Regierung erschüttert, und ich als ihr Kopf fühle die Verantwortung und bitte aus tiefen Herzen um Entschuldigung“, sagte Abe in einem seiner fast täglichen kurzen Statements vor der Presse. Seine Regierung werde die Untersuchung fortsetzen und er wolle, dass Aso dafür die Verantwortung übernimmt.

Aber nicht nur Aso als verantwortlicher Minister, sondern auch der Regierungschef Abe ist schwer angeschlagen, meint Tobias Harris, Japan-Experte vom Sicherheitsberater Teneo Intelligence. Aso sei kaum noch zu halten. Schon jetzt häuften sich anonyme Rücktrittsforderungen aus der regierenden liberaldemokratischen Partei.

Bei Abe hält Harris zwar einen sofortigen Rücktritt für unwahrscheinlich, nicht aber ein frühes Ende seiner Amtszeit. „Ich denke, dass Abe eher für ein geordnetes Ende am Ende seiner zweiten Amtszeit kämpft als hastig zurücktreten wird.“ Aber er hält es für unwahrscheinlich, dass die Partei ihren bisher unangefochtenen Führer länger als bis zum Ende der Legislaturperiode im Oktober 2021 dulden wird. Denn in diesem Skandal führen die Spuren zu deutlich direkt in Abes Privatgemächer.

Ausgerechnet Abes Ehefrau Akie hatte Gefallen an der Schule gefunden. Sie besuchte die Schule nicht nur mehrere Male, sondern sollte sogar zur Ehrenvorsitzenden des Schulvereins ernannt werden. Und mehr noch: Der inzwischen mitsamt Ehefrau inhaftierte Chef der Schule, Yasunori Kagoike, sagte zudem unter Eid aus, dass Frau Abe im Namen ihres Mannes eine Millionen Yen gespendet hatte. Die Abes dementieren dies allerdings.

Dank seiner Partei, die schon allein in beiden Kammern des Parlaments die absolute und mit ihrem Koalitionspartner sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit hat, konnte Abe seiner Ehefrau einen Auftritt vor dem Parlament ersparen. Doch im ursprünglichen Bericht des Finanzministeriums wurde erwähnt, dass sie sich gegenüber Beamten positiv über die Schule geäußert haben soll.

Den Beamten war demnach bewusst, dass der Schulchef Mitglied im ultrakonservativen Verband Nippon Kaigi ist, der in der liberaldemokratischen Partei Abes tief verankert ist. So stand auch im Bericht, dass Abe und Aso derzeit als Sonderberater des Bundes wirken. Doch in der überarbeiteten Fassung fehlten die inkriminierenden Passagen.

Noch ist nicht genau klar, wer geschützt werden sollte und warum. Schließlich wurde bisher nicht einmal geklärt, ob die Beamten damals den Deal auf direkte politische Weisung durchgewinkt oder eher in vorauseilendem Gehorsam versucht hatten, Abes Absichten zu deuten.

Als eine Möglichkeit diskutieren Japans Medien nun, dass vielleicht die Untergebenen von Steueramtschef Sagawa ihren Boss schützen wollten. Denn der war damals an anderer Stelle für den Landverkauf zuständig und hatte vor dem Parlament erklärt, nichts von Akie Abes Verwicklung gewusst zu haben. Doch der ursprüngliche Bericht schien dies zu widerlegen.

Doch selbst wenn dies stimmt, wird Finanzminister Aso nun zur Belastung. Die sechs Oppositionsparteien fordern bereits seinen Rücktritt. Sie sehen sogar die Grundfesten der parlamentarischen Demokratie durch die Berichtsfälschung gefährdet. Dementsprechend nutzen sie den Skandal, um Abes Regierungsarbeit zu lähmen.

So wollen sie bis auf weiteres wichtige Parlamentsausschüsse boykottieren. Außerdem verlangen sie, dass der Finanzbeamte Sagawa und Abes Ehefrau als vereidigte Zeugen vor dem Parlament aussagen müssen.

Noch lehnt Abes Partei diesen Wunsch ab. Aber die Frage ist, wie lange sie ihrem Chef dieses Mal Treue hält. Im vergangenen Jahr war die Zustimmungsrate zu Abes Kabinett nahe an die 30 Prozent-Marke gefallen, unter der in Japan Regierungschef traditionell zu wackeln beginnen. Auch jetzt schadet der Skandal ihm bereits.

In einer Umfrage der regierungsnahen konservativen Tageszeitung Yomiuri vom Wochenende sackte Abes Zustimmungsrate bereits um sechs Prozentpunkte auf 48 Prozent ab. Und dies ist womöglich erst der Beginn. Denn Abe sitzt in einer gefährlichen Zwickmühle.

Selbst wenn er einen neuen Anfang wagen wollte, kann er seinen Finanzminister nicht einfach aus dem Kabinett werfen, ohne sich selbst zu schaden. Denn Aso ist kein Vasall, sondern ein Anführer eines Parteiflügels und damit einer der Königsmacher bei den Liberaldemokraten. Zudem ist er sich seiner Macht bewusst. „Wenn ich zurücktrete, wird das Kabinett fallen“, orakelte Aso vorige Woche.

Doch verliert Abe wieder massiv an Popularität, droht der Parteitag von der Liberaldemokraten im September doch noch unerwartet spannend zu werden. Bisher schien Abes Wiederwahl zum Parteivorsitzenden eigentlich reine Formsache zu sein. Nun ist es möglich, dass seine parteiinternen Rivalen Abe schon jetzt angreifen. Auf einmal müssen sich Investoren womöglich nicht nur in den USA und Europa, sondern auch im bisher so stabilen Japan wieder innenpolitische Unsicherheit einstellen.

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