Sicherheitskonferenz Afrika – das unterschätzte Risiko für den Weltfrieden

Entwicklungsminister Müller verlangt von den USA und Europa mehr Aufbauhilfe in Afrika, dem „Kontinent mit großem Kriegspotenzial“.

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München Kritik an der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) ist selten zu hören von deutschen Regierungsmitgliedern. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) jedoch mag in das verbreitete Lob des alljährlichen Treffens von Regierungen und Militärs nicht einstimmen: „Die Münchner Sicherheitskonferenz unterschätzt die Risiken total, die von der Armut Afrikas ausgehen“, sagte Müller am Rande der Konferenz.

Krisen, Konflikte, Kriegspotenzial fänden sich überall auf dem Kontinent. Und anschwellende Flüchtlingsströme seien ein Sicherheitsrisiko auch für die Demokratien Europas, so Müller: „Es ist doch eine komplette Fehleinschätzung, dass die MSC Afrika erst auf Platz 10 der weltgrößten Risiken für den Weltfrieden sieht.“

Regierungsvertreter afrikanischer Staaten gehörten ins Hauptprogramm der Sicherheitskonferenz, und nicht, wie am Samstagnachmittag, in den Nebensaal. „In einem Jahr werde ich zu einer Weltfriedenskonferenz einladen, um die Lücke der MSC zu schließen“, sagte Müller – wenn er denn Minister auch der nächsten Bundesregierung sein wird.

MSC-Chef Wolfgang Ischinger hingegen war vor Beginn der Konferenz stolz, dass erstmals überhaupt anderthalb Stunden Debatte als „Side-Event“ Afrika gewidmet sind, konkret den Risiken der Sahel-Region. „Die Sahel-Zone ist eines der schlimmsten Sicherheitsrisiken für die Welt“, eröffnete Weltbank-Präsident Jim Yong Kim die Diskussionsrunde. Im Sahel kämen drei Großrisiken für Entwicklungsländer zusammen.

Erstens der Klimawandel mit Anstieg des Meeresspiegels, der bereits heute breite Küstenstreifen Afrikas versenke und im Landesinneren Ackerland in staubtrockene Wüste verwandele: mit der Folge, dass Familien ihre Dörfer und ihren Lebensunterhalt verlieren. Zweitens das enorme Bevölkerungswachstum, das die Gefahr von Hungersnöten für den Einzelnen verschärft.

Und drittens die veränderten Erwartungen durch die schnelle Zunahme der Smartphones auch in Afrika: Der Vergleichsmaßstab für immer mehr Menschen sei der Lebensstandard im Westen, der vor Ort unerreichbar sei. Mit mehr Flüchtlingen nach Europa sei deshalb zu rechnen.

Eine unzufriedene, hoffnungslose, sehr junge Bevölkerung sei anfällig, sich von Islamisten anwerben zu lassen, so Kim. Das sehen die Regierungen der fünf muslimischen Sahel-Staaten Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad genauso, die vor einem Jahr ihre Truppen zusammenlegten und verabredeten, bei Armutsbekämpfung, Infrastrukturausbau, Landwirtschaft und Sicherheit zusammenarbeiten zu wollen.

Doch die Ursache, dass Terrorgruppen immer wieder in den Sahel vorstoßen, sei ein ganz anderer, sagte Roch Marc Christian Kaboré, Präsident von Burkina Faso: der Staatszerfall in Libyen. „Stoppen Sie den Staatszerfall in Libyen“, appellierte Kaboré dringlich an die USA und die EU. Denn erst seit dem Ende von Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi sickerten immer mehr Terroristen in den Sahel ein. Die instabile Region drohe zudem zum Rückzugsgebiet des militärisch geschlagenen IS zu werden.

Der Außenminister Malis, Téman Coulibaly, findet es zwar richtig, dass die USA, Frankreich und Deutschland in seinem Land mit Truppen versuchen, die Sicherheit zu erhöhen. „Es wurde aber bisher nicht viel erreicht“, sagte er: Zum militärischen Engagement müsse wirtschaftliche Entwicklung kommen – sonst werde sich die Lage der Menschen nicht verbessern, ein echter Frieden nicht einkehren.

Das sieht prinzipiell auch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) so: „Der Soldat braucht den Entwicklungshelfer und umgekehrt“, sagte sie in ihrer MSC-Eröffnungsrede am Freitag. Auch Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) warb für diese Kombination aus Sicherheit und Entwicklungshilfe, mit der die Bundesregierung Afrika stabilisieren und Fluchtursachen bekämpfen will.


„Es gibt keine Sicherheit ohne wirtschaftliche Entwicklung“

Die Regierungen der Sahel-Länder sehen die Furcht Europas vor Flüchtlingen. „Deshalb sind sie ja alle inzwischen da“, sagt Coulibaly. Nur: Erreichen würden sie wenig, waren sich alle Vertreter der Region in München einig. Zu wenig koordiniert seien die Einsätze der jeweiligen EU-Staaten und der zahlreichen Hilfsorganisationen, die sich am Südrand der Sahara tummelten.

„Enorm viel Geld“ würden Amerikaner, Franzosen und Deutsche ausgeben; nur leider nicht effizient, sagte Paul Kagame, Präsident Ruandas und aktuell auch der Afrikanischen Union. „Warum schaffen wir es nicht, einen Weg zu finden, die Ressourcen zu bündeln und effizient einzusetzen?“ fragte er.

Die ganze Region sei gefangen in einem Teufelskreis aus Unterentwicklung, mangelnder Sicherheit und Terrorgruppen, die gezielt um Mitglieder werben. Mousse Faki Mahamat, früher Außenminister des Tschad, verlangte, mehr Geld des Westens für die Sahel-Truppen, damit diese den Terror bekämpfen könnten.

Coulibaly erinnerte allerdings auch an die Eigenverantwortung der Regierungen des Sahel. Er habe einmal eine Frau kennengelernt, die sich den Terroristen angeschlossen hatte, um zu sterben: Sie war zwangsverheiratet worden, und glaubte den Versprechen der Islamisten, dass sie sich im Himmel einen Mann aussuchen dürfe.

Viel genauer hinschauen auf das, was wirklich passiert in Afrika: Das verlangt auch Entwicklungsminister Müller von den Nato- und EU-Staaten. „Kriegspotenzial“ sieht er im Südsudan und Somalia, genauso wie im zerfallenen Staat Libyen. „Es gibt keine Sicherheit ohne wirtschaftliche Entwicklung“, sagt auch Müller.

Seit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Jahr 2016 die Fluchtursachen-Bekämpfung zur Querschnittsaufgabe für Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungsministerium erklärt hat, setzt Müller darauf, im Schulterschluss mit der deutschen Wirtschaft Ausbildungs- und Arbeitsplätze auf dem Nachbarkontinent zu schaffen. „Afrika ist ein Chancenkontinent, die Chinesen haben das begriffen und investieren“, sagte auch Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) in seiner Rede auf der MSC.

Bisher allerdings findet die wirtschaftliche Fluchtursachenbekämpfung erst im Kleinen statt: Siemens, begleitet vom Entwicklungsministerium, schafft 5000 Ausbildungsplätze in Ägypten. Beim Wiederaufbau des Iraks im Nahen Osten zeigen deutsche Firmen Interesse, auch in Marokko seien deutsche Investoren interessiert, etwa am Energiesektor.

Gemeinsam mit dem neuen Innenminister Horst Seehofer (CSU) will Müller ein „Programm Heimat“ starten: Flüchtlinge sollen nicht in Handschellen abgeschoben, sondern mit Jobangeboten zur Rückkehr motiviert werden. Zuerst allerdings nicht nach Nordafrika, sondern in den Irak: 10.000 Flüchtlinge wollen die beiden CSU-Politiker in den nächsten 18 Monaten bewegen, sich am Wiederaufbau ihres Landes zu beteiligen.

Aus dem Sahel allerdings sind bisher fast gar keine Flüchtlinge nach Europa gekommen: Diese Länder sind so bitterarm, dass sich Familien, anders als in Nordafrika, die illegale und teure Migration nicht leisten können.

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