Siegesrede in Ankara Erdogan feiert „Fest der Demokratie“

Der bisherige und künftige Präsident der Türkei zeigt sich auf dem Balkon des AKP-Hauptquartiers vor jubelnden Anhängern. Die Kritik aus dem In- und Ausland ist aber scharf.

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Wahlsieger Recep Tayyip Erdogan und seine Frau Emine Erdogan bei der Siegesrede in Ankara. Quelle: Reuters

Istanbul Die Präsidenten- und Parlamentswahlen in der Türkei werden das Land nach Einschätzung von Wahlsieger Recep Tayyip Erdogan auf Jahrzehnte hinaus beeinflussen. „Heute habt Ihr bei den Wahlen am 24. Juni, die das künftige halbe Jahrhundert, die das Jahrhundert unseres Landes prägen werden, wieder auf unserer Seite gestanden“, sagte der bisherige und künftige Präsident am frühen Montagmorgen bei seiner Siegesrede in Ankara. „Meine Brüder, die Sieger dieser Wahl sind die Demokratie, der Wille des Volkes und das Volk höchstpersönlich. Der Sieger dieser Wahl ist jeder einzelne unserer 81 Millionen Bürger.“

Mit den Wahlen wurde die Einführung des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems abgeschlossen. Erdogan wird künftig Staats- und Regierungschef und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. Die Opposition hatte für den Fall eines Erdogan-Sieges vor einer „Ein-Mann-Herrschaft“ gewarnt.

Erdogan hatte sich am Sonntagabend während der noch laufenden Auszählung zum Sieger erklärt. Kurz darauf bestätigte der Chef der Wahlkommission, Sadi Güven, dass Erdogan bei der Präsidentenwahl in der ersten Runde die absolute Mehrheit erzielt hat. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu hat das von Erdogans AKP angeführte Parteienbündnis bei der Parlamentswahl außerdem die absolute Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung gewonnen.

Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen bei der Präsidentenwahl komme Erdogan auf 52,55 Prozent. Der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, landete demnach mit 30,67 Prozent auf Platz zwei. Auch die „Plattform für faire Wahlen“ aus Wahlbeobachtern der Opposition sah Erdogan nach Auszählung von mehr als 96 Prozent der Stimmen bei 52,56 Prozent. Ince kam dort auf 31,34 Prozent. Ince wollte sich erst am Montagmittag zum Ausgang der Wahl äußern.

Die CHP rief ihre Anhänger dazu auf, Ruhe zu bewahren. Das Volk solle sich „nicht provozieren lassen“, sagte CHP-Sprecher Bülent Tezcan. Die Opposition hatte bei der Stimmenauszählung Manipulationsvorwürfe erhoben. Vereinzelt kam es zu Protesten von Anhängern der Opposition.

Starke Kritik kam auch aus Deutschland: Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir hat das Wahlverhalten der Türken in Deutschland scharf kritisiert. „Die feiernden deutsch-türkischen Erdogan-Anhänger jubeln nicht nur ihrem Alleinherrscher zu, sondern drücken damit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus. Wie die AfD eben“, sagte der Bundestagsabgeordnete in der Nacht zum Montag der Deutschen Presse-Agentur. „Das muss uns alle beschäftigen.“

Özdemir würdigte vor allem, dass die pro-kurdische HDP die Zehn-Prozent-Hürde übersprungen hat und damit wieder ins Parlament einzieht. „Ihr gutes Abschneiden und die Wechselstimmung der letzten Wochen zeigen, dass viele Menschen in der Türkei die Nase voll haben von Erdogans Angstregime“, sagte der Grünen-Politiker. „Wäre dieser Wahlkampf einigermaßen fair verlaufen, dann hätte Erdogan die Macht abgeben müssen.“ Es bleibe den Oppositionsparteien CHP und HDP nun zu wünschen, dass sie auch über den Wahlkampf hinaus „ein Stachel im Fleisch des Regimes bleiben und das Licht der Demokratie in der Türkei hochhalten“

Auch die stellvertretende Linksfraktionschefin Sevim Dagdelen hat den Ablauf der Präsidenten- und Parlamentswahlen in der Türkei kritisiert. Sie seien „weder frei noch fair“ gewesen, sagte die Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe im Bundestag der Deutschen Presse-Agentur. „Durch Manipulationen lange vor dem Wahltag hat Erdogan sein Ziel erreicht, ein autoritäres Präsidialsystem. Es ist zu befürchten, dass Erdogan die Türkei in eine neue Eskalation treibt.“

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