Sierens Welt Der Zehn-Sekunden-Kauf

Die Chinesen sind Weltmeister im Smartphone-Shopping. Beim chinesischen Valentinstag nächste Woche werden sie wieder zu Hochform auflaufen, meint unser Kolumnist.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Beim Online-Shopping für den Liebsten oder die Liebste kann das Wichtigste schon einmal verloren gehen – die Liebeleien. Quelle: Reuters

Peking Für manche ist es das Ende des guten Stils. Für andere einfach nur praktisch. Das große, alte Modehaus Christian Dior bietet pünktlich zum Qixi, dem chinesischen Valentinstag am kommenden Dienstag, zum ersten Mal Handtaschen auf WeChat, dem chinesischen WhatsApp, an. Qixi findet in der siebten Nacht, im siebten Monat des Mondkalenders statt, meist im August.

Nach einer Legende ist Qixi der Abend, an dem zwei getrennte Liebende, ein Hirtenjunge und ein Webermädchen, für eine Nacht zusammen sein können. Ihr Symbol sind zwei am Himmel stehende Sterne, die durch die Milchstraße getrennt sind. Auch der steigende chinesische Konsum hat dazu geführt, dass Liebende die Sterne vor lauter Smog nicht mehr gemeinsam betrachten können. Also ist ein Geschenk wichtiger denn je. Vor zwei Jahren waren es frische Pfirsiche, denen ein Hersteller feine Spitzenunterhöschen übergezogen hat, sodass sie wie ein samtener Popo aussahen.

Dieses Jahr kann es eine besondere Handtasche werden. Über WeChat bietet Dior eine Sonderedition einer Ikone der neueren Zeitgeschichte an: die Lady Dior Tasche. Die Gattin des damaligen französischen Präsidenten Bernadette Chirac ließ sie 1995 für Lady Diana entwickeln. Es wurde ihre Lieblingstasche. Eine schöne Geschichte, die die meisten reichen Chinesen allerdings gar nicht kennen. Sie wissen nur die Tasche ist in, französisch und teuer.

Die Sonderedition der Henkeltasche mit dekorativen „Cannage“-Absteppungen inspiriert von Stühlen im Stil Napoleon III., kostet bei WeChat knapp 3.800 Euro. Sie über ein Smartphone zu kaufen, dauert keine zehn Sekunden. Das ist kein Ereignis mehr, bedauern die Traditionalisten auch bei Dior. Kein Luxusshop. Kein Espresso für den Gatten. Keine Beratung. Die Tasche wird von einem schluffigen Fahrer eines Elektrodreirades an der Tür abgegeben, der auf der gleichen Tour Chinakohl und Bügeleisen ausliefert.

Weil die Profite von Dior jedoch im ersten halben Jahr um 30 Prozent gefallen sind, sind die Franzosen als erste der großen Modemarken über ihren schönen Schatten gesprungen. Denn der chinesische Konsum ist auch im ersten Halbjahr 2016 wieder kräftig gewachsen. Inzwischen trägt er 73 Prozent zum Wachstum bei. Vergangenes Jahr waren es noch 66 Prozent.

Dior Chef Bernard Arnault hat also klug entschieden. Der Markendünkel ist weniger wichtig als die chinesischen Kunden. Und die bezahlen eben den Kleinwagen ebenso wie den Fahrradflicker an der Straßenecke über WeChat. Gut ein Drittel der Chinesen gab im vergangenen Jahr in einer Umfrage zufolge an, auch Luxusgüter online kaufen zu wollen. Ein Anstieg von 25 Prozent. Diese Kunden können die westlichen High-Fashion-Labels nicht mehr links liegen lassen. Einer weltweiten Umfrage mit über 20.000 Teilnehmern zufolge, sind die Chinesen die eifrigsten Smartphone-Einkäufer der Welt. Ein Drittel der chinesischen Onlinekäufer bestellen bereits übers Handy.

Denjenigen, die schon bei Dior über Taschen aus Krokodilleder und Nerz die Nase gerümpft haben und nun angesichts der Taschen bei WeChat einen weiteren Verfall der Sitten befürchten, sei zum Trost gesagt: Das chinesische Qixi-Fest ist viel älter als Dior. Es wird seit der Han-Dynastie gefeiert und die begann 200 Jahre vor Christi Geburt.

Unser Korrespondent, der Bestseller-Autor Frank Sieren („Geldmacht China“), gilt als einer der führenden deutschen China-Spezialisten. Er lebt seit über 20 Jahren in Peking.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%