Sierens Welt Subversive Gedanken

Die jüngsten Urteile gegen Dissidenten zeigen: Die Kommunistische Partei stellt strikte Ordnung über rechtstaatliche Transparenz. Dabei übersieht der Staat die Interessen der eigenen Bevölkerung.

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Die Frau eines inhaftierten chinesischen Anwalts fordert seine Freilassung. Quelle: AP

Es ist nun eine Woche her und es fällt schwer zur Tagesordnung überzugehen. Zhou Shifeng, der Chef der Pekinger Kanzlei Fengrui, wurde wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Er war der Anwalt von Ai Weiwei, vertrat aber zum Beispiel auch Familien, deren Kinder durch verunreinigtes Milchpulver erkrankt waren.

Ein weiterer Anwalt und das Oberhaupt einer Untergrundkirche, der schon einmal 16 Jahre im Gefängnis saß, wurden ebenfalls zu langen Haftstrafen verurteilt. Ein Geschäftsmann und weiterer Aktivist bekamen überraschenderweise nur Bewährungsstrafen.

Alle sollen zu den „Anti-China-Kräften“ einer christlichen Untergrundkirche gehören, die von US-amerikanischen NGOs finanziert worden sei. Es habe „Trainings“ in Taiwan gegeben. Zhus Anwaltskanzlei habe als „Plattform“ gedient. Ziel der Kirche sei es gewesen, „Proteste zu organisieren“ und „subversive Gedanken zu verbreiten“.

Die vier gehören einer Gruppe von 300 Aktivisten an, die im Juli 2015 verhaftet worden sind. Erstaunlicherweise war Mo Shaoping, der Anwalt des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, nicht unter ihnen. Bis heute vertritt er öffentlich kritische Fälle. Auch kamen die meisten der verhafteten Aktivisten inzwischen wieder frei. Einige sitzen jedoch noch immer in U-Haft.

Die Verurteilten haben ihre Taten vergangene Woche öffentlich gestanden und bereut. Aus taktischen Gründen, sagen ihre Freunde. Was an den Vorwürfen dran ist, wird leider auch mit ein wenig zeitlichem Abstand nicht klarer, denn Chinas Justiz hat kurzen Prozess gemacht.

Es gibt christliche Gruppen, die nicht zimperlich sind, wenn es darum geht, Gesellschaftsordnungen von Andersgläubigen subversiv oder auch mit Gewalt zu untergraben. Gleichzeitig haben Christen eine lange, beindruckende Geschichte, sich mutig gegen Unrecht aufzulehnen. Um was es in diesem Fall ging, lässt sich nicht nachvollziehen. Wo ihre verhafteten Angehörigen sind, erfahren die Familien erst Wochen später. Die Angeklagten können sich ihre Verteidiger nicht aussuchen. Die Anklageschrift ist nicht öffentlich. Die Angeklagten dürfen sich öffentlich nicht frei äußern. Das Urteil wurde nach einem Prozesstag gefällt. Ein Einspruch ist theoretisch möglich, jedoch nicht ratsam.

Sicherlich hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren viel verbessert im chinesischen Rechtssystem. Aus westlicher Sicht jedoch erscheinen diese Verfahren als Schauprozesse. Sie sollen die große Mehrheit der Chinesen in dem Glauben halten, dass sie bekommen, was sie wollen: einen starken Staat. Diese Rechnung kann leider sogar aufgehen: Kaum jemand in China sehnt sich nach einem Umsturz.

Anderseits wünschen sich immer mehr Menschen, vor allem in den großen Küstenstädten, eine Balance zwischen Transparenz und Stabilität. Und eigentlich müsste der Staat ja selbst ein großes Interesse an Offenheit haben, wenn er fürchtet, unterwandert zu werden. Tatsächlich jedoch pfeifen die Kommunisten auf Transparenz, wenn es darum geht, die gegenwärtige Ordnung zu zementieren.

Unser Korrespondent, der Bestseller-Autor Frank Sieren („Geldmacht China“), gilt als einer der führenden deutschen China-Spezialisten. Er lebt seit über 20 Jahren in Peking.

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