Singapur Ein Staat erfindet sich neu

Sagenhafte 30 Milliarden Dollar investiert die Regierung direkt in die Digitalisierung der Wirtschaft. Das kleine Land will einer der entscheidenden Spieler in der Welt von morgen sein. Kann das funktionieren?

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Hauptsache, groß Singapur ist eines der reichsten Länder der Welt. Das reicht dem Staat nicht

Wenn Sven Yeo aus den Fenstern des Konferenzraums guckt, in dem der 31-jährige Singapurer gerade einer Gruppe Europäern seine neueste Geschäftsidee erklärt, erblickt er die Hochhaus- und Betonkulisse Singapurs. Insofern ist es einigermaßen erstaunlich, dass ausgerechnet Yeo die Revolution der Landwirtschaft predigt. Wer dem Biologen aber länger zuhört, wie er Chart für Chart seiner Präsentation abarbeitet, lernt: Wer zur Avantgarde des Ackerbaus zählen möchte, muss nicht vom Land kommen.

Denn mit drei Freunden hat Yeo ein datengestütztes System für die städtische Landwirtschaft entwickelt. Die Idee: Im dicht bebauten Singapur müsse sich auf sehr kleinen Flächen der Anbau von Gemüse, Obst und Feldfrüchten betreiben lassen. Schließlich ist der Stadtstaat an der Südspitze Malaysias bisher zu nahezu 100 Prozent auf den Import seiner Lebensmittel angewiesen. Bei Yeos Geschäftsidee nun messen Sensoren in den Minifeldern auf Dächern und Terrassen der Hochhäuser Daten und sorgen für Düngung und Wasserzufuhr. „Das Salatbeet ist ans Internet angeschlossen“, lacht Yeo. Zurzeit verhandeln die Gründer mit einem Risikokapitalgeber über eine Finanzierung. Archisen, eine Kombination aus den englischen Wörtern Architecture und Sensing (abtasten), haben sie ihre Neugründung getauft. Erst vor wenigen Monaten haben sie Büros in einem Gründerzentrum im Südwesten Singapurs bezogen. An der Wand ein Schild: „No Rules here“. Hier soll aus Yeos Idee das große Geschäft werden.

So wollen es der Gründer und seine Partner, so will es vor allem aber die Singapurer Regierung. Gerade mal 5,7 Millionen Einwohner hat der Staat. Jahrelang hat das Land, das seit den Fünfzigerjahren von einer einzigen Partei ebenso autoritär wie wirtschaftlich erfolgreich regiert wird, in der Wirtschaftspolitik auf einen Dreiklang gesetzt: Eine Mischung aus Handel – man baute einen der größten Häfen der Welt –, Industrie – man schuf künstliche Inseln als Produktionsflächen – und Finanzwirtschaft – man errichtete eine der liberalsten Bankengesetzgebungen der Welt – sollte immerwährenden Wohlstand garantieren. Das klappte sechs Jahrzehnte sehr gut, der Staat gehört heute zu einem der reichsten Länder der Welt. Aber nun stockt der Welthandel, das Wachstum der industriellen Produktion in dem Ministaat ist ausgereizt, und die Finanzbranche muss auf internationalen Druck hin immer stärker reguliert werden. Von einer „derzeitigen wirtschaftlichen Schwäche“ spricht etwa Franz-Josef Kleideitert, Berater für Kienbaum in Singapur, mit Blick auf mäßige 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr.

Die größten Steueroasen der Welt
Bei der Nichtregierungsorganisation Tax Justice Networks steht die Schweiz an erster Stelle der Steueroasen – trotz aller Abkommen zum Informationsaustausch. Grund für die Top-Platzierung ist für die NGO die nach wie vor hohe Geheimhaltung von Finanzdaten in der Alpenrepublik. Quelle: dpa
Hongkong steht wegen seiner Verschwiegenheit bei der NGO Tax Justice Networks auf Rang zwei der Schattenfinanzplätze. Auch hier spielt der britische Einfluss noch eine große Rolle, da HK über mehr als ein Jahrhundert eine Kronkolonie war, bevor es in den 90er Jahren wieder an China fiel, aber weiter getrennt verwaltet wird. Quelle: AP
Luxemburg hat sich seinen Wohlstand – das Pro-Kopf-Einkommen liegt doppelt so hoch wie in Deutschland – durch eine äußerst wohlwollende Besteuerung erarbeitet, bei dem die Finanzverwaltung in geheimen Vereinbarungen („tax rulings“) gern auch mal nur ein Prozent Steuern verlangt. Quelle: dpa
Der US-Bundesstaat Delaware profiliert sich durch extrem niedrige Unternehmenssteuern. Hunderttausende Firmen sind dort registriert, auch namhafte deutsche. Nicht nur das Steuerklima ist dort günstig; Firmen lassen sich binnen eines Tages gründen. Quelle: dpa
Karibikeilande wie die Cayman Inseln, die Britischen Jungferninseln und die Bermudas zählen zu den echten Paradiesen mit viel Sonne, Strand und keinen Steuern für Unternehmen, Werktätige und Privatiers. Quelle: dpa
Irland ist für Unternehmen ein interessantes Land. Allerdings ist der Klassiker, das Double Irish mit Dutch Sandwich, nicht mehr im Angebot. Statt dessen gibt es nun eine „Knowledge Box“, mit deren Hilfe Unternehmen nur 6,25 Prozent Steuern zahlen müssen. Quelle: dpa
Deutschland gilt ebenfalls für manche als Steueroase, vor allem für reiche Unternehmer, die vererben wollen. Dank großzügiger Verschonungsregeln können selbst Milliardäre steuerfrei übertragen, wenn sich das Vermögen in Unternehmen befindet. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb eine Reform angemahnt. Quelle: dpa

Deswegen treibt die Regierung nichts so sehr um wie die Frage, wovon Singapur in zwei Jahrzehnten leben wird. Ähnliches fragen sich zwar Regierungen in aller Welt – die Schweiz und Luxemburg etwa suchen nach Modellen, seitdem die Finanzbranche stärker reguliert wird, Ölförderländer wie Norwegen oder Saudi-Arabien nach neuen Wohlstandsquellen für ein Post-Carbon-Zeitalter –, aber kein Land der Welt treibt den Wandel politisch so ernst voran wie Singapur, wo man es von jeher gewohnt ist, Erfolge am Reißbrett zu planen. „Wir müssen uns ständig neu erfinden“, ist der mit Abstand meistgehörte Satz, spricht man mit Singapurer Regierungsvertretern.

Der Fall Apple zeigt, dass es selbst in der EU Steueroasen gibt. Während der Normalbürger vom Staat geschröpft wird, können internationale Konzerne ihre Abgabenlast immens reduzieren.

Nun also soll die Digitalisierung neuen Schwung verleihen: Das Internet der Dinge, autonomes Fahren, Sensorik – damit soll Singapur künftig Geld verdienen.

Wettbewerb für mehr Exzellenz

Gabriel Lim ist so etwas wie der Prototyp des Singapurer Karrierebeamten. Das gestreifte Hemd ist perfekt gebügelt, der Scheitel sitzt ebenso perfekt, der Auftritt ist souverän. Lim, 40, ist Geschäftsführer der Infocomm Media Development Authority (IMDA), einer staatlichen Behörde, die die digitale Wirtschaft in Singapur fördern soll. An einem Vormittag im Mai sitzt er in einem Café in der Innenstadt von Singapur. „Es geht darum, dass wir relevant für den Rest der Welt bleiben“, sagt Lim, „und wir müssen ständig neu herausfinden, wie uns das gelingen kann.“

Drehscheibe für Bildung und Forschung

Wichtig für den Rest der Welt sein: Vor 15 Jahren hat das Land begonnen, Universitäten aus Europa und den USA ins Land zu locken. Die Regierung wollte den lokalen Hochschulen Konkurrenten aus dem Westen vor die Nase setzen und so den Wettbewerb anheizen. Das Ziel: Singapur zur Drehscheibe für Bildung und Forschung in Asien zu machen. Aus der Idee wurde ein Erfolg: Die TU München kam und eröffnete einen Campus, die private Hochschule Insead aus Frankreich und auch das MIT aus Boston. Die eigenen Hochschulen nahmen den Wettbewerb an und rangieren inzwischen unter den besten der Welt.

Den Erfolg will das kleine Land nun mit der digitalen Wirtschaft wiederholen. Und wie immer, wenn die singapurische Regierung einen Plan gefasst hat, setzt sie ihn auch gegen Widerstände durch. Das hat dem Stadtstaat zwar ein zweifelhaftes, weil autoritäres, politisches Regime gebracht – aber wirtschaftlich eine unvergleichbare Erfolgsgeschichte beschert. So jedenfalls sehen das große Teile der in- und ausländischen Wirtschaftscommunity vor Ort.

Lim erklärt es am Beispiel der amerikanischen Plattform Uber. Als der Fahrdienstanbieter vor Kurzem in Singapur an den Start gehen wollte, gab es, ähnlich wie in Deutschland, heftige Proteste der Taxifahrer. Sie beriefen sich auf existierende Gesetze und Richtlinien, ähnlich wie die deutschen auf das Personenbeförderungsgesetz von 1961. „Wir haben unsere Gesetze halt angepasst“, sagt Lim, „denn wir wollten Uber nicht die Tür vor der Nase zuschlagen.“ Ähnlich macht es die Regierung mit Start-ups aus der Finanzbranche. Fintechs brauchen erst ab einer kritischen Größe eine Zulassung der Finanzaufsicht.

In diesen Städten ist das Leben am teuersten
Kopenhagen Quelle: dpa
New York City. Quelle: dpa
Paris Quelle: dpa
Genf Quelle: dpa
Seoul Quelle: REUTERS
Platz 5Ebenfalls eine asiatische Stadt landet auf Platz fünf: Osaka in Japan. Die drittgrößte Stadt Japans ist auch die drittteuerste Stadt Asiens. Hier kostet eine Flasche Wein im Schnitt 13,33 Dollar. Quelle: REUTERS
Tokio Quelle: dpa

Ausländische Unternehmen begrüßen solche Erleichterungen. Inzwischen unterhält Uber in Singapur seine Zentrale für die Region Asien-Pazifik, genauso wie der amerikanische Filme- und Serienanbieter Netflix und der Streamingdienst Spotify. Google steuert aus dem Inselstaat sein Marketing für den gesamten Fernen Osten. Auch Facebook beschäftigt 500 Mitarbeiter in Singapur. Die Schwergewichte aus dem Westen sind schon mal da.

Milliarden vom Staat

Der große Unterschied zu Europa und den USA aber ist: Während im Silicon Valley oder in Berlin findige Tüftler und Internetpioniere auf eigene Faust und oft mit wenig eigenem Geld in leer stehenden Fabrikhallen ihre ersten Firmen gründen, steuert in Singapur der Staat in großen Teilen die Gründerszene, gibt die Richtung vor – und ebnet vielversprechenden Start-ups wie dem von Sven Yeo mit großen Summen den Weg ins Geschäft.

Die fast unvorstellbare Summe von 30 Milliarden Dollar liegt in staatlichen Töpfen und öffentlich kontrollierten Risikokapitalfonds bereit, um junge Unternehmen mit vielversprechenden Geschäftsideen auf dem Feld der Digitalisierung zu unterstützen. Vor allem Fintechs sowie Unternehmen mit digitalen Lösungen für die Medizintechnik, die Robotik und städtische Mobilität will der Staat fördern.

Einer der großen Fonds für Wagniskapital in Singapur heißt Infocomm Investments Pte Ltd (IIPL). Der Topf ist mit 200 Millionen Dollar gefüllt und untersteht der IMDA, der Behörde von Gabriel Lim. Ein Viertel des Geldes ist bereits platziert, 150 Millionen Dollar kann Lim noch vergeben. Vielversprechende Geschäftsideen, sagt er, gebe es in Singapur reichlich, und verweist auf inzwischen etwa 5500 Technologie-Start-ups im Land.

Eines davon hat Anthony Tan gegründet. Tan ist im Nachbarland Malaysia geboren und hat in Harvard studiert. Vor vier Jahren hat der 34-Jährige das Unternehmen Grab gegründet – ein asiatisches Pendant zu Uber. Im Vergleich zum großen Konkurrenten aus den USA ist Grab noch klein: Das Start-up wird mit 1,6 Milliarden Dollar bewertet, Uber mit fast 70 Milliarden. Doch Grab wächst rasant. Das Unternehmen, das auch Kurierdienste anbietet und in den staugeplagten Metropolen der Region außerdem Motorradtaxis vermittelt, hat in 30 südostasiatischen Städten Fahrer auf den Straßen. Bei Uber sind es nur halb so viele.

Das sind die innovativsten Länder der Welt
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Grab kennt den südostasiatischen Markt mit seinen 600 Millionen Konsumenten viel besser als der große Konkurrent aus Amerika. „Für Uber ist es schwer, maßgeschneiderte Angebote für die asiatischen Kunden zu entwickeln“, meint denn auch Florian Hoppe, Berater bei Bain & Company. So bietet Grab in der Grenzregion zwischen Singapur und Malaysia einen Carsharing-Service an. Ein lohnendes Geschäft: Viele Menschen, die in Singapur arbeiten, wohnen im preiswerteren Malaysia und müssen täglich pendeln.

Das Ziel: globale Champions

Dass Tan sich mit seinem Unternehmen, das bereits 1600 Mitarbeiter beschäftigt, nicht in seiner Heimat Malaysia, sondern in Singapur niedergelassen hat, ist kein Zufall. Der Staat konnte mit günstigen Büroräumen, exzellenter Infrastruktur, vor allem aber Zugang zu Kapital ködern: Grab hat bei Risikokapitalgebern bislang 700 Millionen Dollar eingesammelt. Für die Regierenden in Singapur ist das Unternehmen ein Topaushängeschild. „Südostasien kann auch eigene globale Champions schaffen“, sagt Gründer Tan mit Blick auf die Stars aus dem Westen wie Uber oder Airbnb.

Geht es nach den Regierenden in Singapur, wird auch das Changi General Hospital (CGH), mit 5500 Mitarbeitern eines der größten Krankenhäuser im Land, ein globaler Champion der digitalen Revolution. Lautlos schieben sich dort digital gesteuerte Roboter durch die Krankenhausflure. Sie transportieren Blut- und Urinproben. Treffen die Roboter auf einen Arzt oder eine Krankenschwester, bitten sie höflich darum, vorbeigelassen zu werden. Die Patienten im CGH liegen auf speziellen, mit Sensoren ausgestatteten Matten. Diese senden permanent Patientendaten auf einen Server. Pfleger und Ärzte können die Informationen über ihre Tablets abrufen.

„Schon seit Jahren investieren wir jährlich fünf Prozent unseres Umsatzes in den Ausbau der IT-Infrastruktur“, sagt Lee Chien Earn, CEO des Hospitals. Zuletzt lag der Umsatz des CGH bei umgerechnet knapp 470 Millionen Euro. Doch das ist nicht alles. Von staatlichen Stellen und Forschungseinrichtungen bekommt Lee noch einmal jedes Jahr einen hohen zweistelligen Millionenbetrag, um das Krankenhaus fit fürs digitale Zeitalter zu machen. Außerdem sucht das CGH gezielt die Zusammenarbeit mit Unternehmen. „Wir publizieren künftig unsere Probleme und Herausforderungen“, sagt Lee, „und fragen die Unternehmen, was sie uns zur Lösung entwickeln können.“

Neusortierung der Wirtschaftsmächte
„Das ist kluge Finanzpolitik.“An einem Vormittag Mitte September sitzt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in seinem Büro an der Berliner Wilhelmstraße und weiß nicht so recht, ob er nun schlecht- oder gutgelaunt sein soll. Gerade hat seine CDU in Berlin das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten eingefahren. Es wäre also Zeit für einen schlecht gelaunten Schäuble. Und so geht das Gespräch auch los. Dann aber, das Thema Wahlkrise der CDU und Aufstieg der AfD ist mittlerweile erschöpfend behandelt, bessert sich die Laune des Finanzministers. Es geht nun um den Standort Deutschland, um Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und plötzlich ist Schäuble nicht mehr zu stoppen: Der Bundeshaushalt? Seit Jahren ausgeglichen. Ausgaben für Bildung und Forschung? In Schäubles Amtszeit um sieben Prozent gestiegen. Investitionen in Infrastruktur? So hoch, dass Bund und Länder mit ausgeben gar nicht hinterherkämen. „Das“, endet Schäuble schließlich begeistert von sich selbst, „ist kluge Finanzpolitik.“ Deutschland, das lässt sich zwischen diesen Schäuble-Zeilen lesen, ist Wirtschaftswunderland. Quelle: dpa
Exportweltmeister, wachsende Wirtschaft, sinkende ArbeitslosigkeitUnd, es stimmt ja auch: die Stimmung ist, Flüchtlingskrise hin, Zinskrise her, gut. Gerade wurde das Land wieder Exportweltmeister, die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt. Und doch, das wird dieser Tage klar werden: Alles ist relativ. Wenn das Weltwirtschaftsforum, bekannt durch sein jährliches Winterspektaktel der Mächtigen in Davos, an diesem Mittwoch seinen Bericht über die globale Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften vorstellt, wird Deutschland einen Platz abgerutscht sein. Zwar schneidet die größte Wirtschaft der Eurozone noch immer gut ab, andere Länder machen es aber besser als der selbst ernannte Musterknabe der Eurozone; und zwar auch Euro-Partnerländer. So ziehen ausgerechnet die Niederlande an Deutschland vorbei und belegen in dem weltweiten Ranking, für das die Schweizer Nichtregierungsorganisation 138 Länder nach zwölf Kriterien vergleicht, vor Deutschland Platz vier. An der Spitze des Rankings stehen in unveränderter Reihenfolge die Schweiz, Singapur und die USA. Was Deutschlands Rückschlag auslöst, wie Chancen und Risiken in der Welt verteilt  sind – und was das größte Risiko für die Weltwirtschaft ist: Quelle: dpa
DeutschlandEin Grund zur Panik ist der Rückfall Deutschlands um einen Platz nicht. Allenfalls ein kleiner Warnschuss gegen das allzu selbstbewusste Auftreten manches Standortpolitikers und Ökonoms angesichts der deutschen Erfolgssträhne in den vergangenen Jahren. Vor allem in Sachen Innovation sehen die Schweizer Forscher Deutschland besser aufgestellt, damit einher geht eine Verbesserung beim technologischen Entwicklungsgrad. Hier rückt die Bundesrepublik um zwei Ränge auf Platz zehn vor. Schlecht sieht es dagegen bei zwei Kriterien aus: Im Bereich institutionelle Stärke rutscht ausgerechnet Effizienz-Weltmeister Deutschland um zwei Ränge auf Platz 22 abn und in Fragen der von Schäuble so gelobten Infrastruktur auf Platz acht. Quelle: dpa
Die Top 10Auf Deutschland folgen unter den zehn besten Ländern der Welt nun Schweden und Großbritannien. Beide Länder haben sich verbessert, allerdings beziehen sich die Ergebnisse Großbritanniens auf die Vor-Brexit-Zeit. Wer den Bericht und seine Beschreibung von Chancen und Risiken richtig liest, ahnt: bei der guten Performance des Vereinigten Königreichs wird es nicht bleiben. Schließlich nennen die Schweizer Forscher vor allem Abschottungstendenzen als eines der größten Risiken für Volkswirtschaften. Japan (8), Hongkong (9) und Finnland (10) komplettieren die Top-Ten. Quelle: dpa
Das Euro-GefälleWährend es den Ländern im Norden Europas vergleichsweise gut geht, manifestiert sich das Nord-Süd-Gefälle des Euro-Raums auch in der Rangliste der Wettbewerbsfähigkeit. Während Spanien, das seit einem dreiviertel Jahr ohne Regierung vor sich hin werkelt, immerhin noch um einen Platz auf Rang 32 kletterte, fällt Italien weiter zurück. Das drittgrößte Land der Eurozone rangiert nunmehr auf Platz 44. Auch Portugal auf Platz 46 und Griechenland auf Platz 86 rutschten weiter ab. Dass die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank da hilft, bezweifelt der Bericht im Übrigen. Quantitative Lockerungen der Geldpolitik kämen gerade nicht den schwachen sondern eher den starken Ländern des Währungsraums zu Gute. Quelle: dpa
Aufstieg der SchwellenländerWährend Euro-Land also weiter auseinanderdriftet, streben die großen Schwellenländer weiter nach oben. China  bleibt auf Platz 28 und damit Klassenprimus dieser Gruppe. Große Fortschritte macht Indien. Das um 16 Ränge auf Platz 39 klettert. Auch Russland und Südafrika verbessern sich um je zwei Ränge auf 43 bzw. 47. Ist das die Rückkehr der schon totgesagten BRICS-Länder? Wohl ehr das Comeback der RICS. Denn Brasilien kann vom Aufwärtstrend nicht profitieren. Das politisch gebeutelte Land fällt trotz Olympia um sechs Ränge auf Platz 81. Quelle: REUTERS
Asien-KriseDie zweite Reihe der Schwellenländer im Osten dagegen kriselt: Malaysia verliert seinen Platz in den Top 20 und fällt um sieben Ränge auf Platz 25, Thailand rutscht um zwei Ränge auf Platz 34, Indonesien um vier auf Platz 41 und die Philippinen verschlechtern sich um zehn Ränge auf Platz 57. „Ein Dauerthema für die Entwicklungsländer der Region ist die Notwendigkeit, Fortschritte in den komplexeren Bereichen der Wettbewerbsfähigkeit zu machen, die mit dem Entwicklungsstand der Unternehmen und Innovation zusammenhängen“, schreiben die Experten aus Genf. Passiere das nicht, würden die Länder auf dem jetzigen Niveau verharren – relativ also absteigen. Quelle: dpa

Mit kräftiger staatlicher Unterstützung kann auch das Start-up Nutonomy, eine Ausgründung des Bostoner MIT, rechnen. Das Unternehmen, das inzwischen 40 Mitarbeiter beschäftigt, entwickelt Software für das autonome Fahren. Nach Singapur gingen die Tüftler, weil die Regierung ihnen dort den roten Teppich ausrollte. „Mit bis zu 100 Millionen Dollar Förderung“ könne man rechnen, sagt einer der Nutonomy-Gründer. „Nirgendwo auf der Welt unterstützen die Behörden Technologie-Start-ups so wie in Singapur“, ergänzt Nutonomy-Chef Karl Iagnemma. Die Regierung hat sich das Ziel gesetzt, weltweit führende Nation bei Testprojekten zum autonomen Fahren zu werden. Gerade hat das singapurische Verkehrsministerium eine Partnerschaft mit den Gründern aus Boston unterschrieben. Auch Uber und BMW haben bei den singapurischen Behörden Vorschläge für Pilotversuche zum autonomen Fahren eingereicht.

Geld hat Singapur reichlich, um die digitale Revolution voranzutreiben. An ausreichend Know-how dagegen fehlt es trotz großer Fortschritte im Bildungswesen noch immer. Der Staat setzt darum auch auf Kooperationen mit dem Ausland.

Steve Leonard wurde in Großbritannien geboren, lebt aber seit mehr als zehn Jahren in Asien. In der internationalen Techszene kennt er sich aus wie kaum ein anderer. Seit dem Frühjahr dieses Jahres reist Leonard im Auftrag von Lims Behörde, der IMDA, unermüdlich um den Globus: Der Brite soll Ausschau halten nach möglichen Partnern für singapurische Start-ups. „In Boston suche ich nach Kooperationen mit Leuten aus der Biotechszene“, sagt Leonard, „in London schaue ich mir vor allem Fintechs an, und Berlin ist gut beim Künstlerisch-Kreativen.“

Wo der Chef am meisten für den Auslandseinsatz zahlen muss
AuslandsentsendungenImmer mehr Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter - von der Fachkraft bis zum Manager - ins Ausland. Mal für ein paar Wochen, mal für einige Jahr. „Die Globalisierung steht für viele Unternehmen ganz oben auf der Agenda und müssen deshalb ihre Mitarbeiter und Führungskräfte entsprechend darauf vorbereiten. Ein wichtiges Mittel dafür sind Entsendungen ins Ausland“, sagt Ilya Bonic, Senior Partner und Präsident des Bereichs Career bei der US-Beratung Mercer. Das Unternehmen erstellt jedes Jahr das sogenannte Cost-of-Living-Ranking der beliebtesten 209 Städte für Expats. Dafür vergleichen die Berater die Preise für mehr als 200 Produkte und Dienstleistungen, darunter Lebensmittel, Miete und öffentliche Verkehrsmittel. Das Ergebnis:Auslandsentsendungen sind in der Regel nicht billig. Besonders in Asien und der Schweiz müssen Expats einiges bezahlen. Quelle: dpa
Platz 10: Bern Quelle: REUTERS
Platz 9: New York City Quelle: AP
Shanghai Quelle: dpa
Genf (Schweiz) Quelle: REUTERS
Platz 6: Seoul Quelle: dpa
Singapur Quelle: AP

Sicher, sagt Leonard, anders als in anderen Ländern, wo ungewöhnliche Ideen und Eigeninitiative Neues hervorbrächten, treibe in Singapur vor allem der Staat die Gründerszene. Aber: „Die Regierung versucht, sich bei jedem Projekt so früh wie möglich zurückzuziehen.“ Probleme sieht der Brite an anderer Stelle: Es fehle in Singapur eine Kultur des Scheiterns. Leonard sagt: „Die Leute haben Angst, sich auf die Bühne zu stellen und zu sagen ‚ist halt schiefgegangen‘.“

Bei Weitem nicht alle Vorstöße Singapurs für internationale Kooperationen sind erfolgreich. So versuchten die Behörden etwa mit dem Zentrum für Innovation und Gründung der TU München ins Gespräch zu kommen. Doch die Asiaten holten sich eine Abfuhr – die Münchner orientieren sich Richtung Silicon Valley. Auch weil dort oftmals die vielversprechenderen Ideen geboren werden.

Der Mittelstand setzt große Hoffnungen in die wirtschaftlich dynamischste Region der Welt. Doch die Eroberung der Märkte in Fernost ist schwierig, längst nicht immer gelingt sie.
von Matthias Kamp

Sicher, Singapur ist längst nicht mehr der gefürchtete Nanny-Staat, der seine Bürger rund um die Uhr bevormundet und vom Kaugummi bis zur Aktfotografie so ziemlich alles verbietet, was aus dem Westen kommt. Doch Kreativität, die Lust am Umbruch – all das sind Dinge, die nur staatlich gesteuert passieren. Frei entfaltet sich in dem Staat selten etwas. Symptomatisch dafür ist der Unterricht an Singapurs (Hoch-)Schulen, wo Auswendiglernen noch immer wichtigste Disziplin ist. Und so ist der Stadtstaat auch ein Gegenmodell zur liberalen, ungesteuerten Digitalisierung im Westen. Die Frage ist, welcher Ansatz sich besser entfaltet.

Archisen-Gründer Sven Yeo etwa hat die Schattenseiten der staatlich verordneten Digitaloffensive kennengelernt: In Singapur wuchere die Bürokratie. Yeo: „Die Vorschriften zum Brandschutz und zum Zugang zu Dächern sind wahnsinnig kompliziert.“

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