Sozialdemokraten-Treffen in Wien „Wir schauen jetzt in einen Abgrund“

Führende Sozialdemokraten aus Deutschland, Österreich und Schweden unterzeichnen einen „Europäischen Pakt für sozialen Fortschritt“. Dahinter steckt die Angst, von Europas Rechtspopulisten links überholt zu werden.

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Sigmar Gabriel, Christian Kern und Stefan Loefven (v.l.): „Wir müssen Arbeitsplätze schaffen und Wachstum fördern, aber auch eine faire Weise“. Quelle: dpa

Wien Der Siegeszug des Populismus und die Ängste in der Bevölkerung nehmen Sozialdemokraten und Gewerkschaft zum Anlass, in der EU einen Kurswechsel zu verlangen. SPD-Chef Sigmar Gabriel: „Mit der Binnenmarktidee sind wir an unsere Grenze gestoßen.“ Immer mehr Menschen würden durch den freien Verkehr von Personen, Waren und Dienstleistungen unter Druck geraten.

Der deutsche Vizekanzler forderte nach einem Treffen mit dem österreichischen Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern sowie den schwedischen Premier und Chef der Schwedischen Arbeiterpartei Stefan Löfven in Wien verstärkte Anstrengungen für ein soziales Europa. „Unser Ziel ist Europa eine neue Richtung zu geben“, sagte Gabriel, der wegen der Spekulationen um die SPD-Kanzlerkandidatur alles andere als in guter Laune war.

Die Sozialdemokraten Deutschlands, Österreich und Schwedens beschlossen zusammen mit den Gewerkschaften der drei EU-Länder in Wien einen „Europäischen Pakt für sozialen Fortschritt“. „Wir brauchen ein starkes und soziales Europa“, heißt es in dem Papier. Es gehe darum, das Wachstum zu stärken, aber auch Sozialdumping zu bekämpfen. Die Unterzeichner fordern, den europäischen Einigungsprozess um eine soziale Säule zu erweitern. „Wir brauchen ein Europa der Menschen und nicht nur des Marktes“, lautet die Formel der verabschiedeten Resolution.

Angesichts des Zuwachses populistischer Parteien in vielen EU-Ländern versuchen die Sozialdemokraten ihr Profil zu schärfen. „Wir schauen jetzt in einen Abgrund“, sagte Österreichs Kanzler Kern. Der SPÖ-Chef steht unter besonderen Druck. Dem in dem Alpenland drohen vor Ablauf der Legislaturperiode Neuwahlen in der ersten Hälfte des nächsten Jahres.

Am Sonntag wählt Österreich im dritten Anlauf einen neuen Bundespräsidenten. Dem Rechtspopulisten Norbert Hofer (FPÖ) werden die größten Chancen für das höchste Amt der Alpenrepublik gegeben. Bei einem Sieg des gelernten Flugzeugtechnikers aus dem Burgenland würde erstmals ein Rechtspopulist zum Staatsoberhaupt in Westeuropa aufsteigen.


„Arbeitsplätze schaffen, Wachstum fördern“

Kern warnte vor einem „Steuerwettlauf nach unten“ für Unternehmen in der EU. Als negative Beispiele nannte er Großbritannien und Ungarn, die mit einer Senkungen der Firmenabgaben Investitionen anlocken wollen. Der SPÖ-Vorsitzender forderte auch einen stärken Kampf gegen Steuerbetrug. „Wir müssen Arbeitsplätze schaffen und Wachstum fördern, aber auch eine faire Weise“, verlangte der schwedische Premier Stefan Löfven.

In dem verabschiedeten Pakt wollen die Unterzeichner eine „einseitige Sparpolitik“ überwinden. Sie wollen Steuerhinterziehungen verhindern und Steuerparadiese austrocknen. Gabriel attackierte Irland, das sich gegen eine Milliarden schwere Steuernachzahlung von Apple an die EU wehrt.

Der DBG-Vorsitzende Reiner Hoffmann sagte: „Wenn Europa weiter macht wie heute, können wir ein Scheitern nicht ausschließen.“ Selbstkritisch ergänzte er: „Wir haben vergessen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.“ Mit Sorgen sehen Sozialdemokraten und Gewerkschafter, dass europäische Werte durch Populisten und Rechtsextremisten angegriffen werden.

Ein Hauptaugenmerk des Sozialpaktes gilt auch dem Kampf gegen das Sozialdumping im EU-Binnenmarkt, der vor allem Arbeitnehmer mit kleinen und mittleren Einkommen betrifft. Es müsse der Grundsatz angewandt werden, die gleiche Arbeit am gleichen Ort gleich zu bezahlen. Die derzeitige EU-Entsenderichtlinie müsse überprüft werden. Die Sozialdemokraten drängen darauf, Scheinselbstständigkeit, Briefkastenfirmen und Unterauftragsvergabe genau unter die Lupe zu nehmen

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