Spanische Schuldeneintreiber Das Geschäft mit der Scham

Wenn in Spanien die Schuldeneintreiber im Frack auftauchen, weiß jeder: Hier hat jemand seine Rechnung nicht beglichen. Derart bloßgestellt, zücken viele das Scheckbuch. Kritiker warnen vor psychologischen Schäden.

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Schuldeneintreiber Pedro Dediós steht in ungewöhnlicher Arbeitsverkleidung neben seinem Auto. Quelle: dpa

Madrid Sorgfältig bereitet sich Pedro Dediós auf seinen Arbeitstag vor. Schwarze Hose, blütenweißes Hemd, Fliege und Frack-Jacke mit Schwalbenschwänzchen - seine „Uniform“ ist zwar elegant, aber will so gar nicht zur morgendlichen Uhrzeit passen. Dann setzt er sich auch noch einen Zylinder auf, blättert schnell durch seine Unterlagen und klappt den Aktenkoffer zu. Auf dem steht in großen weißen Lettern „El Cobrador del Frac“ - auf Deutsch etwa: Der Schuldeneintreiber im Frack.

„Meinen ersten Termin habe ich heute im Zentrum von Madrid bei einer Unternehmerin, die uns 4214 Euro schuldet“, sagt Dediós, rückt sich die dunkle Sonnenbrille zurecht und braust in einem schwarz-weißen Kleinwagen davon, auf dessen Türen ebenfalls der Name seiner Firma prangt. Er ist unterwegs zu den Geschäftsräumen der Frau. Dort wird er sich - für jedermann sichtbar - in Stellung bringen. Denn jedes Kind in Spanien kennt die befrackten Männer und weiß: Wo sie auftauchen, da hat jemand Schulden. Das Geschäft mit der Scham blüht.

Das Inkasso-Unternehmen wurde vor rund 30 Jahren gegründet. „Die spanische Justiz war einfach zu langsam und zu teuer. Da war die Firmenidee eine gute, pragmatische Lösung für die Gläubiger, um schnell an ihr Geld zu kommen“, erklärt der Anwalt Mariano Fernández im Hauptsitz des Cobradors unweit des Madrider Bernabeu-Stadions. „Heute ist der Cobrador del Frac eine landesweit bekannte Marke.“

Auf einem Tisch stehen zwei wuchtige Elefanten-Stoßzähne, an den Wänden hängen ausgestopfte Jagdtrophäen mit mächtigen Hörnern. Irgendwie passen diese leblosen, in Todesangst starrenden Tierköpfe zum Unternehmenskonzept. „Unser Chef ist ein passionierter Jäger“, versucht Fernández eine Erklärung.

Auch in Portugal und Frankreich sei man mittlerweile aktiv, erzählt der smarte 57-Jährige - in anderen Ländern allerdings nicht, weil die Gesetzeslage dort schwierig sei. In Deutschland etwa hatte das Landgericht Leipzig bereits 1994 derartige Praktiken verboten: „Die Schuldeneintreibung durch „Schwarze Schatten“, die in der Öffentlichkeit dem Schuldner folgen, ist aufgrund Verletzung des Persönlichkeitsrechts wettbewerbswidrig“, hieß es zur Begründung.

In Spanien aber ist das Ganze legal. Zunächst werden dabei Briefe mit einer Zahlungsaufforderung verschickt. Oft werde man sich daraufhin schon über eine Ratenzahlung einig, sagt Fernández. Nur wenn die Schuldner überhaupt nicht reagierten und keinen guten Willen zeigten, ihre Rechnung zu begleichen, kämen die Männer im Frack ins Spiel.


Warum ausgerechnet dieses Kostüm?

„Ein Frack ist eine äußerst elegante Art, sich zu kleiden. Wir wollten damit zeigen, dass wir es nicht darauf angelegt haben, die Würde der Schuldner zu verletzen“, sagt Fernández. Für die zahlreichen Nachahmer, die als Clowns, rosarote Panther oder Toreros verkleidet vor den Wohnungen oder Büros der Schuldner rumlungern, hat er nur Verachtung übrig.

„Viele von denen haben früher für uns gearbeitet und sich dann selbstständig gemacht. Aber oft bedrohen sie die Leute, und das ist schlicht illegal.“ Selbst beim „Cobrador del Frac“ seien schon Mitarbeiter entlassen worden, weil sie zu rabiat vorgegangen seien. Denn jeder, der hier seine Arbeit aufnimmt, bekommt zunächst ein Schriftstück mit dem moralischen Verhaltenskodex überreicht.

Auf der anderen Seite: Neben dem Grundgehalt bekommen die Cobradores einen Bonus, wenn sie erfolgreich kassiert haben - für viele mag das ein Anlass sein, etwas „nachzuhelfen“, wenn die Einschüchterung durch den Frack allein nicht ausreicht.

Kein gutes Haar lässt denn auch der Anwalt Pablo Camacho an seinem früheren Arbeitgeber. „Ich habe die Firma verlassen, weil ich es illegal und unmoralisch finde, Menschen mit solcher Verachtung zu behandeln“, sagt er. Gemeinsam mit zwei weiteren Ex-Cobradores habe er eine Kanzlei eröffnet, die für die Rechte der Schuldner kämpfe.

Jedoch glaubt auch Camacho, dass die Nachahmer im Clowns- oder Stierkämpfer-Kostüm wesentlich rücksichtsloser vorgehen als das Original. „Die sind sehr viel gefährlicher als der Cobrador del Frac, denn sie sind weniger bekannt und haben somit auch weniger Arbeit.“ Seien die Leute früher noch amüsiert über die fantasievollen Outfits gewesen, so lache heute niemand mehr. Denn eine derartige öffentliche Bloßstellung löse immer eine Form von Trauma aus. „In extremen Fällen mussten die Schuldner sogar in psychologische Behandlung.“

Das sieht Mariano Fernández anders. Scham sei es, die die Cobradores erzeugen wollten, mehr nicht. Denn viele Schuldner seien höchst kriminell, lebten in teuren Villen und meldeten gleichzeitig Insolvenz an. „Die wissen genau, wie sie das System umgehen können.“

Zudem lebten auch seine Mitarbeiter gefährlich: Unter den „Kunden“ seien etwa auch Mafiosi, die gleich eine Waffe zückten, wenn der Mann im Frack auftauche, betont der Anwalt. Andere seien mit Fäusten auf die Cobradores losgegangen oder hätten Hunde auf sie gehetzt. Fernández schmunzelt verschmitzt: „Dann lassen wir es sein, denn unsere Mitarbeiter sind ja nicht lebensmüde.“

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