WirtschaftsWoche: Herr Repräsentant, was macht die Situation für Taiwan zurzeit bedrohlicher als sie vorher bereits war?
Jhy-Wey Shieh: Frau Pelosi ist amerikanische Parlamentspräsidentin, sie ist formell dritthöchste Person in den USA. Wenn sie nun Taiwan besucht, ist sie aber nicht an die amerikanische Administration, an die Regierung, gebunden. Bei den Chinesen herrscht allerdings eine Diktatur, sie kennen diese Gewaltenteilung nicht. Sie kennen nur Gewaltanwendung. US-Präsident Biden hat aber Frau Pelosi nicht zu sagen, ob sie einen Besuch macht oder nicht. Da prallen nun zwei Wertesysteme aufeinander.
Aber warum ist das so bedrohlich?
China ist militärisch stark und eine Diktatur. Und wie Russland in der Ukraine sieht China in Taiwan einen Teil des eigenen Territoriums. Das ist aber „Fake News“, weil die Volksrepublik China Taiwan ja keinen einzigen Tag regiert hat seit der Gründung 1949.
Welche Folgen hat das, die bis nach Europa und Deutschland reichen?
Spätestens seit dem Invasionskrieg von Russland in der Ukraine muss man in Europa und Deutschland gelernt haben, dass jedes unnötige Zugeständnis an eine Diktatur diese nur in ihrem Tun bestärkt. Spätestens seit dem 24. Februar müssen Demokratien immer zeigen, dass Freiheit nicht verhandelbar ist und Imperialismus keinen Platz haben darf.
Was erwarten Sie von der deutschen Regierung genau?
Ich muss der Regierung nicht sagen, dass Zeitenwende auch heißt, dass man das Blatt wenden muss. Das Schicksal, unter dem viele Ukrainer heute leiden, hätte man ihnen ersparen können. Dafür hätte man frühzeitig die strategischen Fehler und die eigenen Denkfehler einsehen müssen gegenüber Putin und Russland. Man muss sofort reagieren, wenn die Freiheit einer Demokratie verletzt wird.
Deutschland hat enge Beziehungen nach Taiwan, insbesondere wirtschaftliche. Was würde eine chinesische Invasion auch für deutsche Unternehmen bedeuten?
Es geht nicht nur um Industriechips, um Halbleiter, die zum großen Teil aus Taiwan kommen. Kein deutsches Auto, kein Volkswagen, BMW oder Daimler Benz, auch kein Handy, funktioniert ohne Chips oder andere Komponenten aus Taiwan. Die Halbleiterindustrie ist auch wichtig fürs Funktionieren militärischer und strategischer Ausrüstung. Die Europäer können es sich nicht leisten, dass Taiwan mit der gesamten Halbleiterindustrie und den Lieferketten unter die Kontrolle von China gerät. Die Chinesen würden daraus Erpressungspotenzial entwickeln. Dann müssten die Deutschen und andere niederknien und betteln, um an die Komponenten von China zu kommen.
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Was raten Sie Unternehmerinnen und Unternehmern, die mit Taiwan verbunden sind?
In China sind rund 5000 deutsche Unternehmen tätig, ganz große und kleine….
Worum geht es bei dem Streit um Taiwan?
Der kommunistische Machtanspruch geht auf die Gründungsgeschichte der Volksrepublik China zurück. Nach der Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten zog die nationalchinesische Kuomintang-Regierung mit ihren Truppen nach Taiwan, während Mao Tsetung 1949 in Peking die Volksrepublik ausrief. Der heutige Staats- und Parteichef Xi Jinping sieht eine „Vereinigung“ mit Taiwan als „historische Mission“.
Stand: September 2023
Die Insel zwischen Japan und den Philippinen hat große strategische Bedeutung. US-General Douglas MacArthur bezeichnete Taiwan einst als „unsinkbaren Flugzeugträger“ der USA. Eine Eroberung durch China wäre ein wichtiger Baustein in dessen Großmacht-Ambitionen, weil es das Tor zum Pazifik öffnen würde.
China zwingt jedes Land, das diplomatische Beziehungen mit Peking haben will, keine offiziellen Kontakte mit Taiwan zu unterhalten. Es ist vom „Ein-China-Grundsatz“ die Rede. Danach ist Peking die einzige legitime Vertretung Chinas. Auf chinesischen Druck wurde Taiwan aus den Vereinten Nationen und internationalen Organisationen ausgeschlossen. Nur wenige kleinere Länder unterhalten noch diplomatische Beziehungen. Deutschland oder die USA betreiben nur eine inoffizielle Vertretung in Taipeh.
Die Taiwaner verstehen sich mehrheitlich längst als unabhängig und wollen zumindest den Status quo wahren. Auch wollen sie als Demokratie international anerkannt werden und sich keinem diktatorischen System wie in Festlandchina unterwerfen. Die frühere Kuomintang-Regierung hatte einst selber einen Vertretungsanspruch für ganz China, was sich bis heute im offiziellen Namen „Republik China“ widerspiegelt. Dieser Anspruch wurde 1994 aufgegeben. Damals wandelte sich Taiwan von einer Diktatur zu einer lebendigen Demokratie. Jede Veränderung des Status quo müsste aus Sicht der Regierung heute demokratisch von den 23 Millionen Taiwanern entschieden werden.
Experten gehen davon aus, dass ein Krieg um Taiwan massive und größere Auswirkungen hätte als der Angriff Russlands auf die Ukraine - auch auf Deutschland. Taiwan ist Nummer 22 der großen Volkswirtschaften, industriell weit entwickelt und stark mit der Weltwirtschaft verflochten. Ein Großteil der ohnehin knappen Halbleiter stammen von dortigen Unternehmen. Wegen der großen Abhängigkeit vom chinesischen Markt wären deutsche Unternehmen massiv betroffen, wenn ähnlich wie gegen Russland wirtschaftliche Sanktionen gegen China verhängt werden sollten.
Stand: September 2023
… ich hatte nach Taiwan gefragt und Sie antworten mit China ….
Ja. Sie alle sollten sich klar machen, dass die Chinesen mindestens so abhängig sind von deutschen Unternehmen wie umgekehrt. Die Chinesen haben Deutschland und die Unternehmen immer wieder erfolgreich unter Druck gesetzt. Leider. Auch chinesische Unternehmen sind aber abhängig von der deutschen Industrie.
Wo sehen Sie den Einfluss?
Alles was Maschinenbau angeht, bei Werkzeugmaschinen oder in der Autoindustrie, auch in der Chemie, da ist Deutschland stark. Da werden gute Geschäfte gemacht. Die Deutschen sollten beherzigen, nicht alle Eier in einem Korb zu tragen. Und wenn die Lieferketten vielfältiger werden, kann Taiwan auch eine entscheidende Rolle spielen. Bei uns sind die Leute gut ausgebildet und fleißig. Man muss uns die Möglichkeit zur Zusammenarbeit geben.
Da steht doch die Maßgabe aus Peking entgegen, dass es nur ein China geben darf und Taiwan international nicht vollständig anerkannt ist, oder?
Bis heute liefert Taiwan 40 Prozent seiner Ausfuhren nach China, durch Hongkong hindurch. China macht dann daraus seine Produkte und verdient gut daran. Würden sie diese Verbindung kappen, schnitten sie sich ins eigene Fleisch. Wir haben aber immer gesagt, wir stehen für Freiheit und unsere Demokratie geben wir nicht her. Seit dem 24. Februar müssten alle wachgerüttelt sein, dass Frieden, Sicherheit und Stabilität verteidigt werden müssen. Der Westen würde seinen Fehler wiederholen, wenn er nun Taiwan im Stich lässt.
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