Spezielle Soldaten Israels Militär-Geheimdienst setzt Autisten ein

Soziale Kontakte fallen Autisten schwer, gleichzeitig sind sie oft hochbegabt. Israels Armee will von ihren Fähigkeiten profitieren, unter anderem bei der Aufklärung. Eine ihrer Eigenschaften ist dabei besonders nützlich.

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Autisten brauchen häufig mehr Unterstützung als andere Soldaten, um sie in die Gruppe zu integrieren (Archvifoto). Quelle: Reuters

Tel Aviv Der junge Mann in olivgrüner Uniform sitzt am Bildschirm, in einem Büro in einem verspiegelten Tel Aviver Hochhaus. Schai kann Stunden damit verbringen, akribisch nach Fehlern in einem Computerprogramm zu suchen. Der Soldat in einer Einheit des israelischen Militär-Geheimdienstes ist Autist – soziale Kontakte fallen ihm schwer, gleichzeitig ist er technisch hochbegabt. Was ihn besonders macht, ist also Stärke und Schwäche zugleich. „Ich finde mich eigentlich ganz normal, und ich glaube, andere sehen das genauso“, sagt Schai. Gleichzeitig fällt es ihm sichtbar schwer, länger Blickkontakt mit Gesprächspartnern zu halten.

Israels Armee beschäftigt Dutzende solcher Soldaten mit Autismus-Spektrum-Störungen und profitiert dabei von Sonderbegabungen, über die Autisten häufig verfügen. Am Welt-Autismus-Tag am Samstag soll für die Entwicklungsstörung sensibilisiert werden, deren Ursachen noch nicht geklärt sind.

Schai ist für die Qualitätssicherung von Computerprogrammen zuständig, die Experten des Militärgeheimdienstes entworfen haben. Er arbeitet dabei mit Noam zusammen, der ebenfalls Autist ist. Ausgebildet wurden die beiden jungen Männer mit einem Kurs, den die Armee zusammen mit einem College in Kiriat Ono bei Tel Aviv ausrichtet.

Dem 19-jährigen Noam merkt man die Kommunikationsstörung im Gespräch kaum an. Doch er sagt, er müsse mehr auf sich achten als andere Soldaten. „Ich kann nicht gut mit Stress umgehen“, sagt er und lächelt. „Ich brauche mehr Stunden zuhause, um mich wieder zu beruhigen. Wenn ich nicht die Diagnose Autist hätte, würde die Armee mir das nicht erlauben.“

Kapitän Oded leitet in der Einheit das Programm „Roim Rachok“, hebräisch für „in die Ferne sehen“. Ziel des Pilot-Projekts ist es, auch Autisten den Militärdienst zu ermöglichen. Die Diagnose Autismus wird in Israel immer häufiger gestellt, sie betrifft mittlerweile eines von 100 Kindern. Menschen mit körperlichen Behinderungen oder psychischen Störungen sind vom Militärdienst befreit, der sonst obligatorisch ist, knapp drei Jahre für Männer und zwei Jahre für Frauen. Sie können sich aber freiwillig melden. 2014 haben sich insgesamt 1031 Israelis freiwillig zum Armeedienst gemeldet, fast doppelt so viel wie 2010.

Eine für Autisten typische Liebe zum Detail sei für den Geheimdienst besonders nützlich, erklärt Kapitän Oded. Teilnehmer des Programms werden vor allem zur Auswertung von Luftbildern und im Computerbereich eingesetzt. „Sie achten auf jede kleine Veränderung und sind extrem gründlich“, sagt er. Autisten hätten auch wenig Probleme mit Routineaufgaben und häufigen Wiederholungen. „Es ist eine Sisyphusarbeit, die nicht jeder leisten kann.“

Auch die Geheimdiensteinheit 9900 – bekannt als „die Augen des Landes“ – verlässt sich bei der Satellitenüberwachung auf Autisten. Ihre hohe visuelle Sensibilität macht es ihnen leicht, auch minimale Veränderungen zu erkennen – und so etwa Truppenbewegungen, Raketen-Abschussrampen oder Waffenlager zu entdecken.

Doch nicht alles ist rosig. Es sei nicht immer einfach, die Autisten in die Gruppe zu integrieren, erklärt Kapitän Oded. „Sie brauchen mehr Unterstützung als andere Soldaten.“ Das Programm werde auch von Therapeuten begleitet. „Sie sind hier, weil sie der Armee einen Dienst erweisen, nicht aus Mitleid“, betont der Militär aber. Gleichzeitig helfe es den Soldaten, schon während der Armeezeit einen Beruf zu lernen, der ihnen später auch ein unabhängiges Leben ermöglichen könne. „Es ist eine Win-Win-Situation.“

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