Spionagevorwurf Verhaftung von zwei Soldaten könnte die Krise zwischen Türkei und Griechenland eskalieren lassen

Nach einem Grenzübertritt wurden zwei griechische Soldaten verhaftet. Die türkische Führung könnte sie als Faustpfand benutzen.

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Am Montag soll ein Haftrichter über das weitere Vorgehen entscheiden. Quelle: dpa

Athen, Istanbul Eine scheinbare Routineangelegenheit an der türkisch-griechischen Grenze könnte zu einem diplomatischen Desaster heranwachsen: Zwei griechische Soldaten sind nach dem unerlaubten Überschreiten der Grenze zur Türkei festgenommen worden. Nun sind sie im Gefängnis. Der Vorwurf: Spionage.

Am heutigen Montag werden die beiden Soldaten vor den Haftrichter gestellt. Dabei dürfte sich zeigen, ob gegen die beiden Soldaten Anklage erhoben wird – und wenn ja, welche Verdachtsmomente gegen die Militärangehörigen vorliegen. Bereits am Freitag hatte ein Gericht in der türkischen Grenzstadt Edirne Untersuchungshaft wegen des Verdachts der versuchten Militärspionage und des Eindringens in ein militärisches Sperrgebiet angeordnet, meldete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu.

Bei den Soldaten handele es sich um einen Leutnant und einen Feldwebel. „Wir sind keine Spione, wir haben die Grenze nicht absichtlich überquert. Es ist wegen des schlechten Wetters passiert“, sagte Leutnant Aggelos Mitretodis am Samstag vor Gericht.

Seit der Festnahme der beiden Soldaten telefonierte der griechische Generalstabschef mehrfach mit seinem türkischen Kollegen. Das griechische Konsulat in Edirne hat den beiden Soldaten Anwälte gestellt. Sie wollten am Montag vor Gericht die Freilassung ihrer Mandaten beantragen. Angehörige der beiden jungen Männer sind am Wochenende nach Edirne gereist und bemühten sich um eine Besuchsgenehmigung.

Es ist nicht der erste Vorfall an der Grenze der beiden Nato-Partner. Gelegentlich verirren sich Soldaten beider Länder in dem unwegsamen Gebiet. Manchmal sind es auch Schäfer, die ihre Tiere auf den Weiden des Nachbars grasen lassen. Solche Zwischenfälle seien bisher immer friedlich gelöst worden, schrieb die Kolumnistin Ariana Ferentinou in der türkischen Tageszeitung Hürriyet. „Das dachte auch bei diesem Vorfall auf der griechischen Seite jeder.“

Doch jetzt könnte es zum Eklat kommen. Die Inhaftierung der beiden Soldaten legt nahe, dass die Türkei Fluchtgefahr vermutet – und die beiden für einen ganz anderen Zweck festgehalten werden könnten: als Faustpfand, um bei anderen Themen Zugeständnisse aus Athen zu erlangen.

In der griechischen Hauptstadt versuchte man zunächst, die Sache herunterzuspielen. Der griechische Regierungssprecher Dimitris Tzanakopoulos beteuerte am Wochenende, es handele sich bei dem jüngsten Grenzzwischenfall um eine „Routineangelegenheit“. Er erwarte die schnelle Rückkehr der beiden festgenommenen Soldaten. Vize-Außenminister Giorgos Katroungalos wies Spekulationen über einen Austausch zurück und erklärte, man befinde sich „schließlich nicht im Krieg mit der Türkei, um Gefangene auszutauschen“.

Kriegszustand herrscht zwar zwischen den beiden historisch verfeindeten Allianzpartnern tatsächlich nicht, aber es gibt es seit einiger Zeit wachsende Spannungen. Athen und Ankara streiten um den Grenzverlauf und die Wirtschaftszonen in der Ägäis. Auch die Hoheitsrechte im Luftraum sowie der militärische Status mehrerer Ägäisinseln sind strittig. 1996 kam es fast zum Krieg, weil Griechenland und die Türkei Ansprüche auf die unbewohnten Imia-Felseninseln in der östlichen Ägäis erheben. In nächtlichen Telefonaten mit Athen und Ankara konnte der damalige US-Präsident Bill Clinton die gefährliche Krise entschärfen.

Jetzt flammte der Imia-Streit wieder auf: Im Februar rammte die türkische Küstenwache vor Imia ein griechisches Patrouillenboot. Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu droht sogar mit der Eroberung von 18 Ägäisinseln, wenn er an die Regierung kommen sollte. Auch vor Zypern trumpft die Türkei auf: Vergangenen Monat hinderten fünf türkische Kriegsschiffe ein italienisches Bohrschiff daran, vor der Küste des EU-Staates Zypern nach Erdgas zu suchen. Die Türkei will erreichen, dass sie bei eventuellen Ölfunden nicht ins Hintertreffen gerät.

Die Landgrenze zwischen den beiden Nachbarländern ist 206 Kilometer lang und folgt in Westthrazien größtenteils dem Verlauf des Grenzflusses Evros / Meric. Westlich der Stadt Edirne verläuft die Grenze jedoch auf zwölf Kilometern Länge durch Wälder, Felder und Marschland. Hier ereignete sich der aktuelle Zwischenfall.

In einem Waldstück östlich der kleinen griechischen Ortschaft Kastanies waren die beiden Soldaten am Donnerstagmittag auf Patrouille. Es hatte zuvor stark geschneit, dichter Nebel lag über der Landschaft. Sie seien Fußspuren im Schnee gefolgt, um illegale Migranten aufzuspüren, die hier häufig die Grenze überqueren, sagen die Soldaten. Am 13. Februar waren mindestens drei Migranten beim Überqueren eines Grenzflusses ums Leben gekommen.

Wegen der schlechten Sichtverhältnisse übersahen sie dabei offenbar die Grenzmarkierungen und gerieten auf türkisches Gebiet. Gegen 14.30 Uhr wurden sie von zwei türkischen Grenzern gestellt, entwaffnet und festgenommen.

Die Türkei verfolgt derzeit eine Außenpolitik, die manche als selbstbewusst, andere als aggressiv bezeichnen würden. Seit dem vereitelten Putschversuch im Juli 2016 ist die Führung in Ankara auf der Suche nach den Hintermännern des gewaltsamen Aufstandes, bei dem über 250 Zivilisten getötet wurden. Einige der mutmaßlichen Rädelsführer werden in Europa vermutet, darunter auch in Deutschland; ein Grund für die äußerst angespannten Beziehungen beider Länder in den vergangenen zwei Jahren.

Auch mit den USA legt sich Ankara immer häufiger an. Dort lebt der türkische Prediger und Sektenführer Fetullah Gülen, den nahezu die gesamte Türkei für den Putschversuch verantwortlich macht. Gleichzeitig unterstützt Washington im Syrienkrieg eine kurdische Separatistengruppe, die Ankara als Terrororganisation sieht. Vor einem Treffen der Außenminister beider Länder erklärte der türkische Vertreter, die Beziehungen mit den USA seien am Scheideweg angekommen.

So erklärt sich, dass der jüngste Vorfall in Athen die Alarmglocken klingeln lässt. Eigentlich könnte man eine solches Vorkommunis an Ort und Stelle aufklären, zumal an einer Grenze zwischen zwei Nato-Partnern. Aber die Berichte, wonach die Landsleute auch wegen Spionage vor Gericht gestellt werden könnten, sorgten daher in Griechenland für viel Aufregung.

Türkische Medien spekulierten bereits über mutmaßliche Motive Ankaras. Von einem möglichen Austausch der beiden griechischen Soldaten gegen die acht geflohenen türkischen Offiziere ist die Rede. Die türkische Regierung wirft ihnen vor, sie seien an dem Putschversuch beteiligt gewesen, was die Männer aber bestreiten. Das Oberste Gericht Griechenlands entschied bereits Anfang 2017, dass sie nicht in die Türkei überstellt werden dürfen, weil sie dort kein faires Verfahren erwarte. Die acht Soldaten haben in Griechenland Asyl beantragt. Über ihre Anträge in dem Nachbarland ist noch nicht endgültig entschieden worden.

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