WHO-Team besucht Markt in Wuhan Wer trägt die Schuld am Corona-Desaster?

Peter Ben Embarek, Mitglied des WHO-Teams besucht den Huanan-Markt in Wuhan, der von chinesischen Sicherheitskräften abgeschirmt wird. Quelle: REUTERS

102 Millionen Infizierte, über 2 Millionen Tote, die Wirtschaft am Boden: Corona wirkt verheerend. Ursprungsort ist Wuhan – heißt es. WHO-Experten wollen das klären. Doch die politische Stimmung verheißt nichts Gutes.

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Noch vor gut einem Jahr war die zentralchinesische Metropole Wuhan außerhalb der Volksrepublik wahrscheinlich nur China-Kennern ein Begriff. Mit dem Ausbruch des Coronavirus hat sich das schlagartig geändert. Der Name der Stadt wird für immer mit der Coronapandemie verbunden sein, so wie Tschernobyl und Fukushima mit Reaktorkatastrophen, Pearl Harbour mit einem Schlüsselmoment im zweiten Weltkrieg und der Berliner Breitscheidplatz mit einem Weihnachtsmarkt-Terroranschlag.

Fällt der Name Wuhan, ist der nächste Gedanke „Coronavirus“. Rund um die Welt dürfte es Menschen so gehen, besonders in den kommenden Wochen, wenn Wuhan wieder viel mediale Aufmerksamkeit erfahren wird. Nach langer Wartezeit durfte jetzt ein Team der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach China reisen, um den Beginn der Coronapandemie zu ergründen. Experten der WHO waren am Sonntag zu sehen, wie sie durch Abschnitte des Markts liefen, der während des 76-tägigen Lockdowns von Wuhan im vergangenen Jahr zum Verteilzentrum von Lebensmitteln in der Stadt wurde. Das WHO-Team wurde begleitet von einer Schar chinesischer Beamter und Vertreter.

Die Wissenschaftler begeben sich auf eine heikle Mission, da dass Thema politisch aufgeladen ist. Angesichts von mehr als 102 Millionen Infizierten und über 2,2 Millionen Toten weltweit will Peking nicht der Sündenbock sein, der am Ende womöglich noch andere Staaten entschädigen soll, wie es etwa der ehemalige US-Präsident Donald Trump gefordert hat.

WHO-Experten besichtigen Markt in Wuhan
Der Huanan-Markt im chinesischen Wuhan ist abgeriegelt, überall steht Security. Den zweiten Tag infolge besichtigen Experten der Weltgesundheitsorganisation Orte in Wuhan, die mit den Anfängen der Pandemie verknüpft sind. Quelle: REUTERS
Die Frage „Woher kommt das Virus?“ hat politische Brisanz. China will unbedingt vermeiden, dass ihm Schuld an Fehlern zu Beginn des Virusausbruchs gegeben wird. Quelle: REUTERS
Peter Ben Embarek ist Teil des WHO-Teams, blickt durch das Tor des Huanan-Markt in Wuhan Quelle: REUTERS
Ein Fotograf auf einer hohen Leiter versucht, Bilder des WHO-Trosses auf dem ringsum abgesperrten Markt zu ergattern. Quelle: AP
Die Spezialisten der Weltgesundheitsorganisation antworteten nicht auf Fragen von Journalisten, die am Eingang des abgeriegelten Marktes warteten. Der Markt war Anfang vergangenen Jahres geschlossen worden. Quelle: REUTERS
Wuhan: Die Autokolonne mit den WHO-Experten an Bord verlässt den Markt wieder. Quelle: REUTERS
Eine Theorie rund um das Virus lautet, ein Wilderer könne das Virus auf Händler übertragen haben, die es dann nach Wuhan brachten. Die chinesische Regierung hat unter Verweis auf nur wenige Beweise nahegelegt, zu dem Ausbruch könne es nach dem Import von tiefgefrorenen, mit dem Virus verseuchten Meeresfrüchten gekommen sein. Internationale Wissenschaftler und Behörden haben diese Vermutung zurückgewiesen. Quelle: AP

Kein Wunder, dass Chinas Regierung hart daran arbeitet, zumindest im eigenen Land das Narrativ der Virus-Verbreitung zu kontrollieren. „Auch wenn China als erster das Coronavirus berichtet hat, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass das Virus auch aus China stammt“, antwortet etwa Chinas Außenamtssprecher Zhao Lijian abwehrend, wenn man ihn zum Ursprung des Virus befragt.

Eine andere Darstellung, die oft von chinesischen Diplomaten zu hören ist: Wuhan sei zwar die erste Stadt mit einem großen Ausbruch gewesen, aber sicher nicht der Ursprungsort.

Beobachter erwarten keine schnellen Ergebnisse vom WHO-Besuch. Nach zwei Wochen in chinesischer Quarantäne durften die Experten der WHO zwar nach Wuhan reisen, wo im vergangenen Dezember die ersten Infizierten gemeldet wurden. Dabei deutet schon jetzt viel darauf hin, dass der dortige Großmarkt wahrscheinlich nicht der Ursprungsort des Erregers war. Denn nicht alle der ersten Infektionen wurden auf den Huanan-Markt in Wuhan zurückgeführt. Von diesem Markt wollen sich die WHO-Experten in der Zeit zurückarbeiten. Dass China bereitwillig jede Tür öffnen wird, darf dabei bezweifelt werden. Bisher haben die WHO-Mitarbeiter zwei Krankenhäuser besucht, die zu Beginn des Corona-Ausbruchs in Wuhan im Zentrum standen und außerdem eine Museumsausstellung über Covid-19. Das Team besteht aus Experten mit Fachwissen über Tiermedizin, Virologie, Lebensmittelsicherheit und Epidemiologie. Dass Wissenschaftler bei einem einzigen Besuch den Ursprung eines Virus ermitteln können, gilt als unwahrscheinlich. Normalerweise braucht eine solche Ursprungsforschung Jahre.

Wegen der milden Symptome werde es so etwa „schwierig bis unmöglich sein“, die erste Infektion, also „Patient Null“, zu identifizieren, heißt es bei der WHO. Es soll bestätigt werden, dass der ursprüngliche Wirt eine Fledermaus war. Dann muss noch geprüft werden, welche Art es sei, wo diese vorkomme und ob ein anderes Tier als Zwischenwirt involviert gewesen sei. Führt die Spur in eine südchinesische Höhle, oder doch, wie es Peking hofft, ins Ausland?

Peking will schon jetzt lieber nichts dem Zufall überlassen. Staatsmedien verweisen seit Monaten bei jeder Gelegenheit prominent auf Berichte über mögliche Sars-CoV-2-Infektionen in anderen Ländern schon vor der Entdeckung der ersten Fälle Anfang Dezember 2019 in Wuhan.

Auch wurden Spuren des Virus auf importierten Tiefkühlwaren gefunden. Wobei strittig ist, ob diese Spuren für eine Ansteckung ausreichen. Trotzdem schreibt das Parteiorgan „Volkszeitung“ unter Hinweis auf „alle verfügbaren Beweise“, dass die Tiefkühlketten schuld sein könnten: „Covid-19 begann nicht in Wuhan.“



Schon auf dem Höhepunkt der Krise im Frühjahr arbeitete Chinas Propaganda- und Zensurmaschine auf Hochtouren, wie die „New York Times“ enthüllte. Für Bestürzung sorgte damals der Tod des Arztes Li Wenliang, der früh vor dem Ausbruch gewarnt hatte, aber gezwungen wurde, diese „Gerüchte“ nicht weiter zu verbreiten. Dann starb er selbst an Covid.

Chinas Zensoren sahen in der Empörung über den Tod eine „beispiellose Herausforderung“, wie es laut „New York Times“ in internen Dokumenten heißt. Befürchtet wurde ein „Schmetterlingseffekt“ in der Gesellschaft. So machten sich die Zensoren an die Arbeit, um die unbequemen Nachrichten zu unterdrücken. Schließlich änderte sich das Narrativ erneut und Doktor Li wurde von den staatlichen Medien als Held gefeiert.

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Wie wichtig es China ist, seine ganz eigene Version des Geschehens unter die Leute zu bringen, bekam auch schon der deutsche Virologe Alexander Kekulé zu spüren. Ende 2020 wurde er von Chinas Staatsmedien mit der Aussage zitiert, dass „Wuhan nicht der Ausgangspunkt der Pandemie“ sei. Dabei hatte der Experte darauf verwiesen, dass der Ursprung in China liege und sich die in Italien gefundene Mutation des Virus weltweit verbreitet habe. Auf Twitter stellte Kekulé klar: „Die Coronaviruspandemie begann in China und der Ausbruch wurde anfangs möglicherweise sogar vertuscht.“

Mit Material von AP

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