Staatsbesuch in Berlin Kiew muss jetzt liefern!

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Die Ukraine wird im neuen Jahr nicht sogleich wieder wachsen

Kiew indes will mit Verweis auf den Krieg den Reformdruck mildern. Doch das gelingt kaum mehr. Patriotismus und Nationalismus helfen nur für kurze Zeit, die Unterstützung für die Politik hoch zu halten. Auf lange Sicht muss jede Regierung gute wirtschaftliche Resultate präsentieren – was in der Ukraine freilich ebenso gilt wie in Russland.

Vom Krieg im fernen Osten der Ukraine ist schon in der vier Stunden entfernten Industriemetropole Dnjepropetrowsk nichts zu spüren. Die Straßen sind belebt, die Betriebe laufen. Noch ferner ist der Krieg in der Hauptstadt Kiew. Im Alltag der meisten Ukrainer gibt es keinen Grund, weshalb das ganze Land darunter leiden sollte, dass in einem kleinen Gebiet im Osten ein paar tausend Separatisten ihren eigenen Staat aufbauen wollen.

Gerade jetzt muss Kiew liefern! Die Ukraine braucht ein schlüssiges Konzept, welche Rolle das Land in Zukunft als Wirtschaftsstandort in Europa spielen will. Das könnte vorerst die einer günstigen Werkbank sein, denn im Westen der Ukraine liegen die Lohnnebenkosten bei 200 Euro und darunter.

Sanktionsfolgen für Branchen in Deutschland

Aber in Kiew und in den großen Industriestädten entlang des Dnjepr findet sich auch ein gutes Ausbildungsniveau, sicher würden Investoren dort gutes Personal für Forschung und Entwicklung finden. Bevor es zu irgendwelchen Investitionen kommt, muss das Investitionsklima jedoch drastisch verbessert werden – und das ist die Aufgabe, die die Regierung im neuen Jahr anpacken muss. Egal ob mit oder ohne Krieg.

Die Ukraine braucht ein modernes Steuersystem mit niedrigen Sätzen. Und eine transparente Zollpolitik. Eine Anlaufstelle muss her für Investoren, die bei der Ansiedlung für einige Jahre Steuerfreiheit erhalten könnte. Der Kampf gegen Korruption und Bürokratie muss endlich beginnen, denn in der Ukraine fließen heute mehr Schmiergelder als in Russland. Das Justizsystem und die Polizei müssen im Kern reformiert werden – am besten nach georgischem Vorbild. Dort wurde ein Großteil der Verwaltung entlassen, nur die „sauberen“ und loyalen Beamten stellte eine Kommission wieder ein.

Auch solch eine Rosskur wird nicht dazu führen, dass die Ukraine im neuen Jahr sogleich wieder wächst. Aber die Ukrainer sind leidensfähig. Wenn sie sinnvolle Reformen sehen, können sie auf die Zähne beißen. Solange das nicht der Fall ist, besteht die Gefahr einer neuen Protestbewegung.

Im Westen weiß man unterdessen, dass die Stabilisierung der Ukraine viel Geld kosten wird. Es sollte allerdings nicht die Aufgabe der EU oder ihrer Mitgliedsländer sein, das makroökonomische Aufrichten zu bezahlen – denn dafür gibt es den Internationalen Währungsfonds (IWF), der bereits 17 Milliarden Dollar zugesagt hat und seine Kredithilfen eines Tages zurückfordern wird. Die EU-Länder können vielmehr über ihre Entwicklungszusammenarbeit konkret bei den Reformen helfen.

Sie wie in Griechenland könnte es in der Ukraine laufen: Vertreter des Bundesfinanzministeriums beraten ihre Kollegen beim Aufbau von Finanzbehörden. Auch die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) hilft bei Verwaltungsreformen mit und bastelt an einer Gesundheitsreform. In Moldawien, einem Nachbarland der Ukraine, sind GIZ -Helfer seit langem mit der Steigerung der Attraktivität des Landes als Investitionsdestination beschäftigt. Nur die Ukraine selbst war bislang kein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit – von jener anderer EU-Länder mal ganz zu schweigen. Hilfe zur Selbsthilfe sollte Kiew im neuen Jahr aus Brüssel erwarten, keine pauschalen Milliardenhilfen.

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