Als Arseni Jazenjuk kurz vor Weihnachten in Brüssel um Kredithilfen bat, blitzte der ukrainische Ministerpräsident noch an. Zu zaghaft schienen den EU-Beamten die Reformbemühungen der pro-westlichen Regierung in Kiew, die gleichzeitig mit einer schweren Wirtschaftskrise und den pro-russischen Separatisten im eigenen Land zu kämpfen hat.
Berlin erwies sich am Mittwoch indes großzügiger. Eine Kreditbürgschaft über 500 Millionen Euro gewährte die Bundesregierung dem krisengeschüttelten Land; die Mittel sollen für den Wiederaufbau der zerstörten Ost-Ukraine zweckgebunden sein. „Deutschland wird die Ukraine auf ihrem schwierigen Weg der politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung auch weiterhin unterstützen“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Dafür seien allerdings weitere Reformen notwendig.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine
Das flächenmäßig nach Russland größte europäische Land besitzt jede Menge davon: Eisenerz, Kohle, Mangan, Erdgas und Öl, aber auch Graphit, Titan, Magnesium, Nickel und Quecksilber. Von Bedeutung ist auch die Landwirtschaft, die mehr zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt als Finanzindustrie und Bauwirtschaft zusammen. Etwa 30 Prozent der fruchtbaren Schwarzerdeböden der Welt befinden sich in der Ukraine, die zu den größten Weizenexporteuren gehört. In der Tierzucht spielt das Land ebenfalls eine führende Rolle.
Sie ist gering. Das Bruttoinlandsprodukt liegt umgerechnet bei etwa 130 Milliarden Euro, in Deutschland sind es mehr als 2700 Milliarden Euro. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt nicht einmal 3900 Dollar im Jahr. Wuchs die Wirtschaft 2010 um 4,1 und 2011 um 5,2 Prozent, waren es 2012 noch 0,2 Prozent. 2013 dürfte es nur zu einem Plus von 0,4 Prozent gereicht haben.
Exportschlager sind Eisen und Stahl, gefolgt von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und chemischen Produkten. Wichtigstes Importgut ist Gas. Auch Erdöl muss eingeführt werden. Die Ukraine könnte aber vom Energie-Importeur zum -Exporteur werden, weil sie große Schiefergasvorkommen besitzt.
Sie ist von der Schwerindustrie geprägt, besonders von der Stahlindustrie, dem Lokomotiv- und Maschinenbau. Ein Grund ist, dass die Sowjetunion einen Großteil der Rüstungsproduktion in ihrer Teilrepublik Ukraine angesiedelt hatte. Eine Westorientierung und die Übernahme von EU-Rechtsnormen könnte das Land zunehmend zum Produktionsstandort für westliche Firmen machen.
Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner der Ukraine. Gemessen an der Größe des Landes ist das deutsche Handelsvolumen aber unterdurchschnittlich. Zu den wichtigsten deutschen Exportgütern zählen Maschinen, Fahrzeuge, Pharmaprodukte und elektrotechnische Erzeugnisse. Wichtigste ukrainische Ausfuhrgüter sind Textilien, Metalle und Chemieprodukte. Nach Angaben des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft sind knapp 400 deutsche Unternehmen in der Ukraine vertreten. Bei den Direktinvestitionen liegt Deutschland auf Platz zwei hinter Zypern.
Chancen ergeben sich für die deutsche Wirtschaft vor allem im ukrainischen Maschinen- und Anlagenbau. Zudem ist die frühere Sowjetrepublik mit ihren rund 45 Millionen Einwohnern ein potenziell wichtiger Absatzmarkt für Fahrzeuge. Korruption und hohe Verwaltungshürden stehen Investitionen indes im Wege.
Rund ein Drittel der ukrainischen Exporte fließt in die EU. Eine engere wirtschaftliche Verknüpfung durch ein Handels- und Assoziierungsabkommen liegt auf Eis, nachdem Präsident Viktor Janukowitsch auf russischen Druck seine Unterschrift verweigerte. Für die EU ist die Ukraine für die Versorgung mit Erdgas von Bedeutung. Rund ein Viertel ihres Gases bezieht die EU aus Russland, die Hälfte davon fließt durch die Ukraine.
Mit Abstand wichtigster Handelspartner der Ukraine ist Russland. Ein Drittel der Importe stammt aus dem Nachbarland, ein Viertel der Exporte gehen dorthin. Der Regierung in Moskau ist eine Orientierung der Ukraine nach Westen ein Dorn im Auge. Stattdessen drängt sie das Land zum Beitritt zur Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland.
Streit flammt zwischen beiden Ländern immer wieder über Gaslieferungen auf. Die Ukraine importiert fast ihr gesamtes Gas aus Russland, muss dafür aber einen für die Region beispiellos hohen Preis zahlen. Der Konflikt über Preise und Transitgebühren hat in der Vergangenheit zu Lieferunterbrechungen geführt, die auch die Gasversorgung Europas infrage stellten.
Immer größer wird der Druck auf die politische Elite in Kiew. Die Geldgeber in Brüssel vermissen ernsthafte Reformen, nachdem das Gesetz gegen Korruption geschleift wurde und eine Strategie zur Anziehung neuer Investitionen auf sich warten lässt. Kurz vor Inkraftsetzung steht zudem eine pauschale Erhöhung der Zollsätze um fünf bis zehn Prozent, was den darbenden Außenhandel gänzlich abwürgen dürfte.
Es liegt an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die aus der Maidan-Bewegung hervorgegangene pro-europäische Regierung um Arseni Jazenjuk auf Reformen zu drängen: Scheut Kiew den Kampf gegen Korruption, den Abbau der Bürokratie und Subventionen, wird das Land zum Fass ohne Boden für die EU. Brüssel hat sich schließlich früh zur Unterstützung der pro-europäischen Bewegung bekannt und so zumindest moralisch die Verantwortung für die Stabilisierung des Anrainers mit über 40 Millionen Einwohnern übernommen.
Die Lage ist denkbar dramatisch: Um ein Zehntel ist die Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr eingebrochen. Eine Inflation von 25 Prozent lastet auf der Bevölkerung. Die Staatsanleihen kosten bis zu 50 Prozent und damit so viel wie die griechischen in besonders prekären Zeiten. Und wenig weist derzeit auf eine ökonomische Entspannung hin. Stoisch verweisen Regierungsvertreter auf den Krieg im Osten. Solange die „russische Aggression“ dort nicht beendet sei, so die offizielle Lesart, wird sich das gesamte Land nicht positiv entwickeln können.
Kriegerisch mutet besonders die Rhetorik des Regierungschef Jazenjuk an. Er vertraut auf Geld aus dem Westen, die Lieferung von Waffen, härteste Sanktionen gegen Russland – und begibt sich damit auf den Holzweg. Brüssel deeskaliert auf Betreiben von Berlin, jedenfalls solange die Russen oder ihre Separatisten in der Ost-Ukraine auf weitere Eroberungen verzichten. Auch auf russischer Seite deutet im Moment alles auf Abrüstung hin; wegen der Wirtschaftskrise kann sich auch Moskau eine Verschärfung seines „hybriden Kriegs“ in der Nachbarschaft nicht leisten.
Die Ukraine wird im neuen Jahr nicht sogleich wieder wachsen
Kiew indes will mit Verweis auf den Krieg den Reformdruck mildern. Doch das gelingt kaum mehr. Patriotismus und Nationalismus helfen nur für kurze Zeit, die Unterstützung für die Politik hoch zu halten. Auf lange Sicht muss jede Regierung gute wirtschaftliche Resultate präsentieren – was in der Ukraine freilich ebenso gilt wie in Russland.
Vom Krieg im fernen Osten der Ukraine ist schon in der vier Stunden entfernten Industriemetropole Dnjepropetrowsk nichts zu spüren. Die Straßen sind belebt, die Betriebe laufen. Noch ferner ist der Krieg in der Hauptstadt Kiew. Im Alltag der meisten Ukrainer gibt es keinen Grund, weshalb das ganze Land darunter leiden sollte, dass in einem kleinen Gebiet im Osten ein paar tausend Separatisten ihren eigenen Staat aufbauen wollen.
Gerade jetzt muss Kiew liefern! Die Ukraine braucht ein schlüssiges Konzept, welche Rolle das Land in Zukunft als Wirtschaftsstandort in Europa spielen will. Das könnte vorerst die einer günstigen Werkbank sein, denn im Westen der Ukraine liegen die Lohnnebenkosten bei 200 Euro und darunter.
Sanktionsfolgen für Branchen in Deutschland
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: Importstopp
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: Umsatzeinbußen, Preisverfall droht und Geschäftsverlust an Konkurrenten
Sanktionsfolgen insgesamt: 3/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: -
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: Umsatzeinbußen, drohende Importbeschränkungen
Sanktionsfolgen insgesamt: 2/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: -
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: Umsatzeinbußen
Sanktionsfolgen insgesamt: 1/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: -
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: Umsatzeinbußen
Sanktionsfolgen insgesamt: 1/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: -
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: Probleme mit Lieferkette
Sanktionsfolgen insgesamt: 1/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: -
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: strategischen Investments droht Wertverlust
Sanktionsfolgen insgesamt: 1/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: -
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: keine Geschäfte mit russischen Banken
Sanktionsfolgen insgesamt: 1/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: -
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: Umsatzeinbußen
Sanktionsfolgen insgesamt: 1/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: Einschränkungen bei Dual-Use-Gütern
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: Umsatzeinbußen
Sanktionsfolgen insgesamt: 2/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: -
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: Umsatzeinbußen
Sanktionsfolgen insgesamt: 1/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: Embargo für Rüstungsgüter
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: Umsatzeinbußen
Sanktionsfolgen insgesamt: 1/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: Einschränkungen bei Dual-Use-Gütern
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: Umsatzeinbußen
Sanktionsfolgen insgesamt: 2/3
Sanktionen behindern Geschäft unmittelbar: -
Sanktionen behindern Geschäft mittelbar oder perspektivisch: geringere Frachttransporte, Verbot von Überflugrechten droht
Sanktionsfolgen insgesamt: 1/3
Aber in Kiew und in den großen Industriestädten entlang des Dnjepr findet sich auch ein gutes Ausbildungsniveau, sicher würden Investoren dort gutes Personal für Forschung und Entwicklung finden. Bevor es zu irgendwelchen Investitionen kommt, muss das Investitionsklima jedoch drastisch verbessert werden – und das ist die Aufgabe, die die Regierung im neuen Jahr anpacken muss. Egal ob mit oder ohne Krieg.
Die Ukraine braucht ein modernes Steuersystem mit niedrigen Sätzen. Und eine transparente Zollpolitik. Eine Anlaufstelle muss her für Investoren, die bei der Ansiedlung für einige Jahre Steuerfreiheit erhalten könnte. Der Kampf gegen Korruption und Bürokratie muss endlich beginnen, denn in der Ukraine fließen heute mehr Schmiergelder als in Russland. Das Justizsystem und die Polizei müssen im Kern reformiert werden – am besten nach georgischem Vorbild. Dort wurde ein Großteil der Verwaltung entlassen, nur die „sauberen“ und loyalen Beamten stellte eine Kommission wieder ein.
Auch solch eine Rosskur wird nicht dazu führen, dass die Ukraine im neuen Jahr sogleich wieder wächst. Aber die Ukrainer sind leidensfähig. Wenn sie sinnvolle Reformen sehen, können sie auf die Zähne beißen. Solange das nicht der Fall ist, besteht die Gefahr einer neuen Protestbewegung.
Im Westen weiß man unterdessen, dass die Stabilisierung der Ukraine viel Geld kosten wird. Es sollte allerdings nicht die Aufgabe der EU oder ihrer Mitgliedsländer sein, das makroökonomische Aufrichten zu bezahlen – denn dafür gibt es den Internationalen Währungsfonds (IWF), der bereits 17 Milliarden Dollar zugesagt hat und seine Kredithilfen eines Tages zurückfordern wird. Die EU-Länder können vielmehr über ihre Entwicklungszusammenarbeit konkret bei den Reformen helfen.
Sie wie in Griechenland könnte es in der Ukraine laufen: Vertreter des Bundesfinanzministeriums beraten ihre Kollegen beim Aufbau von Finanzbehörden. Auch die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) hilft bei Verwaltungsreformen mit und bastelt an einer Gesundheitsreform. In Moldawien, einem Nachbarland der Ukraine, sind GIZ -Helfer seit langem mit der Steigerung der Attraktivität des Landes als Investitionsdestination beschäftigt. Nur die Ukraine selbst war bislang kein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit – von jener anderer EU-Länder mal ganz zu schweigen. Hilfe zur Selbsthilfe sollte Kiew im neuen Jahr aus Brüssel erwarten, keine pauschalen Milliardenhilfen.