Als Chinas Präsident Xi Jinping das letzte Mal Putin in Moskau besuchte, war die Welt noch eine andere. Der letzte Staatsbesuch des chinesischen Staats- und Parteichefs im Juni 2019 liegt fast vier Jahre zurück. Das war, bevor China wegen der Corona-Pandemie seine Türen für den Rest der Welt schloss. Es war vor allem auch vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine.
Am Montag reiste Xi nun erneut nach Moskau. Dass sich an den Beziehungen zwischen Russland und China trotz der drastisch veränderten Weltlage nicht viel geändert hat, versuchten Xi und Putin schon kurz vor Beginn ihrer Gespräche herauszustellen. Beide betonten am Wochenende in Gastbeiträgen für Zeitungen die enge Zusammenarbeit und Freundschaft beider Staaten. Während Xis dreitägigem Besuch sollen auch zahlreiche neue bilaterale Abkommen unterzeichnet werden, hieß es.
Aber was ist mit dem Ukraine-Konflikt? Einerseits hat Peking in den vergangenen Wochen im Westen viel Spott für seinen so genannten Ukraine-Friedensplan geerntet. Tatsächlich ist das Zwölf-Punkte-Papier wenig konkret. Andererseits: In einem ganz anderen Teil der Welt ist China gerade ein diplomatischer Erfolg gelungen, den man Xi und seiner Mannschaft ebenfalls nicht zugetraut hätte.
Die seit Jahren verfeindeten Staaten Saudi-Arabien und Iran haben sich darauf geeinigt, an einer Normalisierung ihrer Beziehungen zu arbeiten. Möglich wurde dies durch die Vermittlung Chinas. Peking hat gezeigt, dass es versteht, wie stille Diplomatie funktioniert. Ohne den Besuch vorher an die große Glocke zu hängen, trafen sich die Parteien in der zweiten Märzwoche in Peking und unterzeichneten am Ende ein Abkommen.
Und tatsächlich gibt es Parallelen zum Russland-Ukraine-Konflikt: Ähnlich wie jetzt in der Ukraine-Krise legte die chinesische Führung bereits vor zwei Jahren einen Friedensplan für den Nahen Osten vor: „Initiative zur Erreichung von Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten“ hieß der Fünf-Punkte-Plan, der ebenfalls sehr allgemein gehalten war.
Es gibt also Ähnlichkeiten. Ist der Zwölf-Punkte-Plan für die Ukraine vielleicht auch nur Pekings Türöffner für weitergehende Verhandlungen? Xi reist nicht nur für drei Tage nach Russland. Nach seiner Rückkehr soll es laut Medienberichten auch ein Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geben. Bisher wurde China dafür kritisiert, zwar Friedensverhandlungen zu fordern, aber kein einziges Mal mit Selenskyj gesprochen zu haben.
Allerdings ist offenbar nun auch nur ein Videogespräch zwischen den Staatschefs Chinas und der Ukraine geplant. Ein Termin also, den Xi möglicherweise nur anberaumt hat, um den Schein der Neutralität zu wahren. Wäre es ihm ernst mit den Verhandlungen, müsste er nach Moskau eigentlich direkt nach Kiew weiterfliegen, meinen Kritiker.
Worum geht es bei dem Streit um Taiwan?
Der kommunistische Machtanspruch geht auf die Gründungsgeschichte der Volksrepublik China zurück. Nach der Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten zog die nationalchinesische Kuomintang-Regierung mit ihren Truppen nach Taiwan, während Mao Tsetung 1949 in Peking die Volksrepublik ausrief. Der heutige Staats- und Parteichef Xi Jinping sieht eine „Vereinigung“ mit Taiwan als „historische Mission“.
Stand: September 2023
Die Insel zwischen Japan und den Philippinen hat große strategische Bedeutung. US-General Douglas MacArthur bezeichnete Taiwan einst als „unsinkbaren Flugzeugträger“ der USA. Eine Eroberung durch China wäre ein wichtiger Baustein in dessen Großmacht-Ambitionen, weil es das Tor zum Pazifik öffnen würde.
China zwingt jedes Land, das diplomatische Beziehungen mit Peking haben will, keine offiziellen Kontakte mit Taiwan zu unterhalten. Es ist vom „Ein-China-Grundsatz“ die Rede. Danach ist Peking die einzige legitime Vertretung Chinas. Auf chinesischen Druck wurde Taiwan aus den Vereinten Nationen und internationalen Organisationen ausgeschlossen. Nur wenige kleinere Länder unterhalten noch diplomatische Beziehungen. Deutschland oder die USA betreiben nur eine inoffizielle Vertretung in Taipeh.
Die Taiwaner verstehen sich mehrheitlich längst als unabhängig und wollen zumindest den Status quo wahren. Auch wollen sie als Demokratie international anerkannt werden und sich keinem diktatorischen System wie in Festlandchina unterwerfen. Die frühere Kuomintang-Regierung hatte einst selber einen Vertretungsanspruch für ganz China, was sich bis heute im offiziellen Namen „Republik China“ widerspiegelt. Dieser Anspruch wurde 1994 aufgegeben. Damals wandelte sich Taiwan von einer Diktatur zu einer lebendigen Demokratie. Jede Veränderung des Status quo müsste aus Sicht der Regierung heute demokratisch von den 23 Millionen Taiwanern entschieden werden.
Experten gehen davon aus, dass ein Krieg um Taiwan massive und größere Auswirkungen hätte als der Angriff Russlands auf die Ukraine - auch auf Deutschland. Taiwan ist Nummer 22 der großen Volkswirtschaften, industriell weit entwickelt und stark mit der Weltwirtschaft verflochten. Ein Großteil der ohnehin knappen Halbleiter stammen von dortigen Unternehmen. Wegen der großen Abhängigkeit vom chinesischen Markt wären deutsche Unternehmen massiv betroffen, wenn ähnlich wie gegen Russland wirtschaftliche Sanktionen gegen China verhängt werden sollten.
Stand: September 2023
Beim Deal zwischen dem Iran und Saudi-Arabien war die Situation für Peking eine andere. Durch die Friedensverhandlungen konnten die Chinesen nur gewinnen. Beide Länder sind für Peking in erster Linie Wirtschaftspartner. Beide liefern Öl, was China hilft, seine Energieversorgung zu diversifizieren.
Auch die Ukraine-Krise ist für China wirtschaftlich kein Gewinn. Zwar kann es nun ebenfalls sehr günstig Gas und Öl aus Russland beziehen. Andererseits haben sich seit Beginn des Krieges auch die Beziehungen Pekings zur EU verschlechtert, die für China einer der wichtigsten Absatzmärkte ist.
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Geopolitisch ist es für China höchst problematisch, dass der Ukraine-Krieg die europäischen Staaten noch mehr als bisher in Richtung USA driften lässt. Gleichzeitig kann Xi nicht zulassen, dass Putin über den Ukraine-Konflikt stolpert – und am Ende womöglich Chaos im Nachbarland Russland ausbricht oder schlimmer noch: eine prowestliche Regierung im Kreml die Macht übernimmt.
China hätte durchaus das nötige Gewicht, um Putin unter Druck zu setzen. Doch die Chinesen scheinen weiter abwarten zu wollen, in welche Richtung sich der Konflikt entwickelt. Am Rande der Einigung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien machte Chinas oberster Außenpolitiker Wang Yi eine interessante Bemerkung: Die Ukraine-Frage sei nicht „das einzige Problem“, sagte er. Es gebe viele andere „heiße Themen“, die die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft erforderten. Die Botschaft dahinter: Nicht nur im Nahen Osten wird China künftig eine aktivere Rolle spielen. Allerdings wird Peking sein Augenmerk auf Krisen richten, die es selbst und nicht der Westen für wichtig hält.
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