Staatskrise in Spanien „Ich lebe auch in Katalonien“

Lange haben die Unabhängigkeitsgegner in Katalonien geschwiegen. Heute zogen Hunderttausende von Ihnen durch Barcelona. Der Streit um die Unabhängigkeit offenbart längst Risse zwischen Freunden und Familien.

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Hunderttausende Menschen haben in Katalonien am Sonntag gegen eine Abspaltung von Spanien demonstriert. Quelle: Sandra Louven

Barcelona Es war das erste Mal, dass sie sich so massiv geäußert haben: In Barcelona demonstrierten am Sonntag Hunderttausende auf den Straßen gegen die Unabhängigkeit Kataloniens. An dem Umzug, zu dem auch Spanier aus anderen Teilen des Landes angereist waren, beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter 950.000 Menschen, die städtische Polizei bezifferte sie auf 350.000.

Wie viele es auch immer waren, ihre Mobilisierung hat eine besondere Bedeutung. Bisher haben vor allem die Separatisten mit Demonstrationen und wortreichen Diskursen die Debatte bestimmt. Und das, obwohl sie laut Umfragen nur 40 bis 50 Prozent der katalanischen Gesellschaft repräsentieren. Der Rest wird oft als „schweigende Mehrheit“ bezeichnet.

Doch nachdem sich der Konflikt in den vergangenen Tagen dramatisch zugespitzt hat, treibt es jetzt auch sie auf die Straßen. Am 1. Oktober hatte die separatistische katalanische Regierung ein illegales Referendum über die Abspaltung Kataloniens von Spanien abgehalten. Daran beteiligten sich 43 Prozent aller Katalanen, 90 Prozent stimmten dafür. Ursprünglich hatte die Regierung in Barcelona ihnen versprochen, im Falle eines Sieges der Ja-Stimmen innerhalb von 48 Stunden nach dem offiziellen Endergebnis einen eigenen Staat Katalonien auszurufen. Diese Frist ist am Sonntag verstrichen.

Die Demonstranten tauchten Barcelona in ein Meer aus gelb-roten spanischen Fahnen. „Ich lebe auch in Katalonien“, hatte einer auf ein Schild gemalt. Ein anderer schob einen Kinderwagen auf dem ein Pappkarten mit der Mahnung befestigt war: „Weniger Fahnen, mehr Dialog“. Schon am Samstag waren in ganz Spanien Tausende, in neutralem weiß gekleidet, auf die Straßen gegangen und hatten sowohl die Regionalregierung in Barcelona als auch die Zentralregierung in Madrid zu Gesprächen aufgefordert. Sie stellten der spanischen Politik damit ein Armutszeugnis aus. Es kann nicht angehen dass ein Volk seine Vertreter bitten muss, Probleme in Gesprächen statt in einem gegenseitigen Wettrüsten zu lösen.

Die Proteste verliefen friedlich. Gleichwohl war die Stimmung an einigen Orten angespannt. In der Nähe des zentralen Placa Catalunya etwa belagerten rund 100 Demonstranten zwei Mannschaftswagen der katalanischen Polizei Mossos d’Esquadra. „Ihr seid nicht unsere Polizei“ riefen sie minutenlang und umzingelten die Wagen. Der angrenzende H&M-Laden ließ vorsichtshalber bereits das Gitter am Eingangstor hinunter. „Wir fühlen uns von den Mossos hintergangen“, erklärt José Luis Duran, der etwas abseits des Spektakels steht.

Hintergrund ist die Untätigkeit des Mossos während des verbotenen Referendums am 1. Oktober. Madrid hatte sie beauftragt, die Wahllokale zu schließen, damit keine Abstimmung stattfinden konnte. Doch Hunderte Separatisten hatten sich vor den Wahllokalen versammelt, um deren Schließung zu verhindern. Die Mossos, die meist nur zwei oder drei Beamte pro Lokal entsandten, blieben untätig. Sie hatten zuvor erklärt, ihre vorderste Aufgabe sei, die Sicherheit aller Katalanen zu gewährleisten.

Am heutigen Sonntag, genau eine Woche später, riefen die Demonstranten in Barcelona immer wieder „Viva España“ und „Ich bin Spanier“. Christina und Luis Font waren mit ihren Fahrrädern samt Kindersitzen zur Demo geradelt und beklagten den Keil, den der Streit mitten durch Familien treibt. „In unserer Familie gibt es überzeugte Separatisten und klare Gegner“, sagt Christina. „Wir versuchen das Thema zu vermeiden, aber das geht inzwischen kaum mehr.“ Sie hat ein Schild gemalt, das viele Passanten fotografieren: „Ich will keine Regierung, die meine Familie und meine Freunde entzweit und auch mein Land“ steht darauf.

Ob die katalanische Regierung die Botschaft erhört, wird sich vermutlich am Dienstag zeigen. Da will Regierungschef Carles Puigdemont vor dem Regionalparlament eine Rede halten. Möglich ist, dass er dann die Unabhängigkeit der Region erklärt. Das aber würde wohl eine Gegenreaktion aus Madrid hervorrufen – die Zentralregierung hat das Recht, die katalanische Regierung abzusetzen. Premier Mariano Rajoy hat trotz innerparteilichem Drucks bislang davon abgesehen. Einen solch drastischen Schritt hat es in Spanien noch nie gegeben. Es ist so gut wie sicher, dass er die Separatisten in Scharen auf die Straßen treiben würde.

Alle Augen sind deshalb auf Puigdemont gerichtet. Erklärt er öffentlich, dass er auf die Unabhängigkeit verzichtet, ist Rajoy bereit, zu verhandeln. Zwar nicht die Trennung von Spanien, wohl aber Dinge wie einen neuen Finanzausgleich zwischen den Regionen und Madrid. Das könnte viele Katalanen besänftigen, die meinen, Madrid benachteilige die Region bei staatlichen Investitionen.

Druck auf Puigdemont kommt aber nicht nur von der Straße, sondern auch von den Unternehmen. Die beiden katalanischen Banken Sabadell und Caixa haben Ende der Woche ihre Zentrale in eine andere Region Spaniens verlegt, mehrere Unternehmen sind gefolgt.

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