Städte der Zukunft Shanghai: Vom Paris des Ostens zur Wirtschaftsmetropole

Zur Weltausstellung erstrahlt Shanghai in neuem Glanz. Die Metropole am Huangpu-Fluss knüpft an ihre goldenen Zeiten an und will neben New York und London zur internationalen Drehscheibe für Wirtschaft, Finanzen und Kultur werden.

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China-Pavillon auf der Expo in Quelle: REUTERS

In mehreren Schleifen geht die Fahrt hinauf auf die mächtige Lupu-Brücke. Der Koloss aus Stahl und Beton verbindet die Shanghaier Stadtteile Puxi und Pudong. Puxi, das heißt „westlich des Flusses“; Pudong („östlich des Flusses“) liegt an der Ostseite des Huangpu-Flusses, eines Seitenarms des mächtigen Jangtse-Stroms, der China von West nach Ost durchzieht.

In diesen Tagen gibt es auf der Brücke mit ihren ausladenden Bögen auch zu Fuß kaum ein Durchkommen. Denn von hier eröffnet sich eine einzigartige und spektakuläre Sicht auf das Gelände der Expo 2010. Der Blick fällt auf den niederländischen Pavillon, der sich wie eine gerade geöffnete Tulpe gen Himmel reckt. Ein Sessellift durchzieht den Pavillon der Schweiz mit seiner Fassade aus roten Kugeln und silbernen Bändern, die ein wenig an das gute alte Lametta erinnern. Das rundliche Haus mit den langen, glänzenden Stacheln, in dem die Briten sich präsentieren, gleicht einem überdimensionalen Igel.

Shanghai fesselt

Dazwischen erhebt sich die kantige Konstruktion des deutschen Pavillons „Balancity“. Hier zeigt Deutschland unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums Produkte, die das Land in der Welt bekannt gemacht haben: Kleine Modelle von Windrädern, Küchenmesser aus Solingen oder Fußballschuhe aus Herzogenaurach werden die Expo-Besucher während der kommenden sechs Monate bestaunen können.

Chen A’Che kann mit dem Rummel um die Expo wenig anfangen. Der 25-Jährige ist im Dezember aus einem kleinen Dorf in Chinas Westprovinz Sichuan ins große Shanghai gekommen, zunächst vor allem wegen des Geldes. „Hier gibt es genug Jobs“, sagt der drahtige Mann, „und die Löhne sind viel höher als bei uns im Dorf.“ Seinen Lebensunterhalt verdient Chen zurzeit als Reinigungskraft im deutschen Pavillon. Zurück aufs Land will er auch nach Ende der Weltausstellung vorerst nicht – Shanghai fesselt ihn. „Hier gibt es viel mehr Möglichkeiten“, schwärmt Chen und zeigt auf die Skyline des Finanzviertels von Pudong, die sich hinter ihm im Sonnenlicht abzeichnet, „die Stadt ist großartig.“

Schauspieler und Schriftsteller

Nicht nur Wanderarbeiter wie Chen, immer auf der Suche nach einem halbwegs sicheren Job, fühlen sich von der Metropole am ostchinesischen Meer magisch angezogen. Shanghai ist der neue Magnet für Start-up-Unternehmer, für Banker, Künstler, Schriftsteller, Musiker und Abenteurer. Sie alle eint das Motiv für ihre Wahl: Shanghai, die Stadt „über dem Meer“, ist seit jeher bekannt für ihr weltoffenes und fortschrittliches Klima, wie es sonst in China nirgendwo zu finden ist. Das gemächlichere Peking, Sitz der Regierung und Kommunistischen Partei, gilt als konservativ, prüde und puristisch. Neue Ideen aus dem Ausland bahnen sich von Shanghai aus den Weg in die anderen Landesteile.

Schon einmal, in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, war Shanghai der Nabel der Welt. Handelshäuser aus England und Frankreich eröffneten in der Stadt große Niederlassungen. Viele von ihnen residierten in den klassizistischen Bauten am Bund, der Uferpromenade der Stadt, die rechtzeitig zur Expo aufpoliert wurde. Auch Schauspieler und Schriftsteller fühlten sich vom ungezügelten Leben der Stadt angezogen. Charlie Chaplin lebte zeitweise in Shanghai und drehte dort Filme, ebenso der Schriftsteller George Bernard Shaw. Shanghai, damals als „Paris des Ostens“ bekannt, war außerdem Zufluchtstätte für jüdische Emigranten aus aller Welt. Nachmittags traf sich die feine Gesellschaft zum Tee im altehrwürdigen Cathay Hotel am Bund, das heute Peace Hotel heißt und gerade frisch renoviert eröffnet hat. Manche von ihnen sah man abends in den berüchtigten Opiumhöhlen und Bordellen der Stadt wieder.

Shanghais Führungsrolle

Shanghai Quelle: dpa

Jetzt knüpft Shanghai an seine goldenen Zeiten an. Die Stadt ist das neue Wirtschafts- und Finanzzentrum, Shoppingparadies und schickt sich an, kulturelles Zentrum Asiens zu werden. Einige der besten Hochschulen Chinas haben ihren Campus hier. Die teuren Nachtclubs, Diskotheken und Pubs bilden die Kulisse für die Schönen und Reichen der Welt. Wenn künftig von Weltstädten wie New York, London und Paris die Rede ist, wird immer öfter auch der Name Shanghai fallen.

Denn wirtschaftlich gibt die Stadt mit ihren rund 20.000.000 Einwohnern schon lange den Ton in China an. Große Konzerne wie Baosteel, Chinas größter Stahlhersteller, oder der Autobauer SAIC steuern ihre Geschäfte aus den Zentralen in Shanghai.

Voller Chancen

Auch die deutsche Wirtschaft zieht es traditionell in die Stadt mit einem der größten Containerschiff-Häfen der Welt. Etwa die Hälfte der rund 5000 deutschen Firmen in China haben sich im Einzugsgebiet Shanghais niedergelassen. ThyssenKrupp betreibt in Shanghai sein weltweit größtes Joint Venture mit einem chinesischen Unternehmen. Volkswagen baut seit 1984 in der Stadt Autos. In letzter Zeit wird die Metropole aber auch immer mehr zur internationalen Drehscheibe für die IT-Industrie.

Die Zentrale des Unternehmens CDC Software liegt in einem der vielen High-Tech-Parks der Stadt. Im vierten Stock des Gebäudes residiert Edmund Lau, Vizepräsident bei CDC. Mehr als 20 Jahre hat der gebürtige Shanghaier im Silicon Valley gelebt. Wie viele Aufsteiger in China legte er sich einen englischen Namen zu. Vor drei Jahren ist er an den Huangpu zurückgekehrt, nichts hielt ihn mehr in Kalifornien. „Diese Stadt ist voller Chancen“, sagt Lau. „Es sind die Menschen, die den Unterschied zu anderen chinesischen Städten ausmachen“, sagt er.

Auf dem gleichen Niveau wie New York und London

Doch nicht nur das große Geld und der Hunger nach schnellen Geschäften, auch die Abwechslungen nach einem langen Bürotag locken Menschen wie Lau nach Shanghai. Noch vor 20 Jahren war es fast unmöglich, in Shanghai eine Tasse Kaffee zu bekommen. Inzwischen hat die Metropole am Jangtse bei der Lebensqualität mit anderen Weltstädten gleichgezogen. „Wir befinden uns auf dem gleichen Niveau wie New York und London“, findet Lau.

An ausgefallenen Adressen zumindest fehlt es nicht. Im M1NT-Club empfängt den Gast ein 18 Meter langes Aquarium. Hinter der Scheibe ziehen Haie ihre Runden. Acht Millionen US-Dollar hat ein australisches Unternehmen in den M1NT-Club, eine der exklusivsten Adressen Shanghais, investiert. Das Engagement hat sich gelohnt. Restaurant und Bar sind jeden Abend voll besetzt. Preise von 50 Euro für einen Steinbutt oder ein Steak schrecken die Gäste nicht ab. Nirgendwo in China ist die Dichte an Millionären größer als in Shanghai.

Verkehr in Shanghai bei Nacht Quelle: REUTERS

Nur einen Steinwurf entfernt, im G-Club, trifft sich die junge Generation Shanghais. Der DJ und Hip-Hop-Künstler Tim Mu ist Amerikaner chinesischer Abstammung. Aufgewachsen ist der 25-Jährige in New Jersey. Inzwischen moderiert der Amerikaner zwei TV-Shows, in denen er den Chinesen westliche Musik nahebringt. Seinen Wechsel von New York an den Huangpu-Fluss hat Mu bislang nicht bereut. „Bei der Mode, aber auch was Theater angeht, ist Shanghai inzwischen auf Augenhöhe mit New York“, sagt der Musiker.

Menschen wie Mu machen Shanghai wieder zu dem, was die Stadt einmal war: Chinas Tor zur Welt, ein Marktplatz der Ideen und eine Drehscheibe zwischen Ost und West – aber auch ein Tummelplatz für schillernde Figuren.

Yin Baohua ist Fondsmanager, so etwas wie Chinas Börsengott und mehrfacher Dollar-Millionär. Seine Geschäfte betreibt der 59-Jährige vorzugsweise von einer schlichten Hotelsuite unweit des historischen Bund aus. Seine Prognosen haben dem ehemaligen Elektriker, der Mitte der Neunziger durch ein paar geschenkte Aktien zur Börse kam, Ruhm beschert. Regelmäßig ziert sein Foto die Titelseiten der großen Magazine des Landes, Yin hat eine eigene Fernsehsendung und gibt in allen großen Städten Chinas Seminare, gerne auch in Overalls der US-Army. „Die Börse ist wie eine Schlacht“, sagt er.

Das hätten inzwischen auch die meisten Shanghaier verstanden. „Noch vor zehn Jahren waren die Menschen in Shanghai behäbig und langsam im Denken“, sagt Yin, „das hat sich aber radikal geändert.“ Nirgendwo in China ist das Aktienfieber so ausgeprägt wie in Shanghai, wo selbst Hausmädchen in ihrer Freizeit an der Börse zocken.

Schönes Leben in Shanghai

Und ausgeben wollen sie ihr Geld auch. Das zeigt sich in der Huaihai-Straße, der Heimstatt der Kathedralen des Luxus von Cartier bis Rolex. Doch wohl nirgendwo wird der Reichtum so anschaulich wie hinter der Hausnummer 796. Zwei goldene Säulen bilden den Eingang zu dem Grundstück. Kopfsteinpflaster, links und rechts von dichten Bambusbüschen gesäumt, führt zu zwei prächtig restaurierten Villen. In den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts leitete ein Shanghaier Unternehmer von hier sein Imperium. Heute stellt die Schweizer Uhrenmanufaktur Vacheron Constantin in einem der Häuser ihre Kostbarkeiten aus. Der Einstiegspreis der Uhren liegt bei rund 10.000 Euro. Trotzdem kann sich die Shanghaier Vacheron-Niederlassung vor Kunden kaum retten.

Der Arbeiter Chen A’Che, der für Sauberkeit im deutschen Expo-Pavillon sorgt, wird sich solch ein Schmuckstück vermutlich nie leisten können. Doch er ist felsenfest davon überzeugt, dass es ihm in Zukunft besser gehen wird als heute. Shanghai biete die besten Voraussetzungen dafür. „Hier kann jeder etwas werden.“

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