Standard & Poor's senkt den Daumen Türkischer Ramsch

Während das Rating der Türkei immer tiefer in den Ramschbereich fällt, verteilt die Regierung Geld an Rentner, um sich Stimmen bei den Wahlen im Juni zu sichern. Quelle: REUTERS

Wieder hat eine Rating-Agentur die Bonität der Türkei gesenkt. Die Regierung verteilt unterdessen Geld an Rentner, um sich Stimmen bei den Wahlen im Juni zu sichern.

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Türkische Rentner dürften sich über die Nachrichten diese Woche gefreut haben: Zwölf Millionen von ihnen sollen bis zum 24. Juni – dem Termin für die Präsidentschaftswahlen – einen Scheck von der Regierung in Höhe von 1000 Lira erhalten. Das sind umgerechnet (noch) 200 Euro. Damit nicht genug: Der türkische Ministerpräsident Yildirim versprach auch noch Schuldenerlasse und ähnliche Zahlungserleichterungen für Ruheständler. Was demokratietheoretisch höchst fragwürdig ist, wird aus ökonomischer Sicht noch absurder. Knapp fünf Milliarden Euro kostet das Helikopter-Geld den türkischen Staat.

Da hilft es auch wenig, wenn Mehmet Şimşek, stellvertretender türkischer Premierminister und letztes Aushängeschild des wirtschaftlichen Sachverstands der Regierung, die Werbetrommel für den Investitionsstandort rührt. Mit den vorgezogenen Wahlen werde auch das Vertrauen der Investoren in die Türkei zurückkehren, das neue Präsidialsystem werde den Reformprozess beschleunigen und die aktuellen Probleme lösen, sagte er einem türkischen Fernsehsender Anfang der Woche.

Anders sieht das die Rating-Agentur Standard & Poor's (S&P). Unerwartet stufte sie am Dienstag die Kreditwürdigkeit der Türkei von BB auf BB- ab. Damit folgt S&P einem Trend – seit Monaten sinkt die Bonität der Türkei herab. Als Gründe nannte S&P die steigende Inflation, die Volatilität der Währung und externe Risiken hinsichtlich der hohen Verschuldung der türkischen Unternehmen. Die türkische Lira, deren Kurs sich in den letzten Wochen gerade etwas stabilisiert hatte, fiel daraufhin abermals unter die Marke von 1:5. Bekam man vor zwei Jahren noch drei türkische Lira für einen Euro, sind es heute fünf. Noch problematischer ist, dass sich dieser Abwärtstrend zu beschleunigen scheint.

Seitens der türkischen Regierung wird gerne argumentiert, die Abstufungen hätten globale Ursachen, auf die man in Ankara keinen Einfluss habe. Tatsächlich leidet die Türkei unter der Zinswende in den USA, und unterscheidet sich darin nicht von anderen Schwellenländern wie Brasilien, Südafrika und Vietnam. Jahrelang flossen Dollars auf der Suche nach Renditen in diese Staaten. Dieser Trend kehrt sich nun langsam um.
Andere Probleme aber sind hausgemacht. Die Inflation liegt bei rund elf Prozent. Das erfordert eigentlich höhere Leitzinsen. Dagegen aber wehrt sich Präsident Recep Tayyip Erdoğan in einer kuriosen Verdrehung der Kausalität: Seiner Meinung nach seien die hohen Zinsen Ursache der Inflation – nicht umgekehrt.

Problematisch dürfte die Lage für türkische Unternehmen werden. Die haben ihre Kredite meist in Dollar aufgenommen, und stehen sich jetzt einer steigenden Schuldenlast gegenüber. 40 Prozent der Privatschulden sind in Fremdwährungen notiert. Der Verfall der Lira zwingt jetzt immer mehr Unternehmen, ihre Kredite umzuschulden, darunter sind der Lebensmittelkonzern Yildiz, der 6,5 seiner 8,5 Milliarden Kredite in US-Dollar umstrukturieren muss und der Dogus-Konzern, der 5,7 Milliarden Dollar Schulden hat.

S&P sieht deswegen eine Gefahr einer „harten Landung“ der türkischen Wirtschaft aufgrund des kredit- und schuldenfinanzierten Wachstums.
Die wirtschaftliche Lage dürfte auch ein Grund gewesen sein, weshalb die türkische Regierung die Präsidentschaftswahlen auf den 24. Juni vorgezogen hat. Geplant waren sie eigentlich für November 2019. Mit seiner Präsidentschaft möchte Erdoğan endgültig mit dem türkischen Staatsgründer Kemal Atatürk gleichziehen und 2023 das hundertjährige Jubiläum der Republikgründung begehen.

Noch kann Erdoğan eine zumindest oberflächlich beeindruckende Wirtschaftsbilanz präsentieren: Im vergangenen Jahr hatte die Regierung einen Kreditgarantie-Fond aufgelegt, der Unternehmen schnell mit billigen Krediten versorgte. Das verhinderte eine Rezession nach dem fehlgeschlagenen Putsch im Juli 2016. Mit 7,4 Prozent wuchs das türkische BIP 2017, auch die Touristen kehren langsam wieder nach Istanbul und an die Stränden von Antalya zurück. Die Arbeitslosigkeit ist mit zehn Prozent zwar hoch, hat aber angesichts starker Familienstrukturen nicht so dramatische Auswirkungen. Den Wertverfall der Lira spürt nur die obere Mittelschicht, die sich hin und wieder eine Europa-Reise leisten möchte.

Nachhaltiges Wachstum aber ist in den letzten beiden Jahren nicht entstanden. Die ausländischen Direktinvestitionen brachen ein, das neue Wachstum kam meist aus der Baubranche. Viele junge gut ausgebildete Türken verließen in den vergangenen zwei Jahren – ein Brain Drain, der mittelfristig der Wirtschaft schaden wird. Eigentlich müsste das Land in Bildung investieren, stattdessen aber wurde die Evolutionstheorie aus den Lehrplänen gestrichen, und kritische Professoren suspendiert.

Sicher ist Erdoğans Wahl trotzdem nicht. Seine Macht innerhalb der AK-Partei ist brüchiger, als es nach außen scheint, und mit der ultrarechten Meral Akşener ist ihm eine Gegnerin entstanden, die reale Chancen auf einen Sieg hat. Auch das dürfte ein Grund sein, weshalb die Regierung jetzt auf Mittel wie Geldgeschenke an Rentner zurückgreifen muss.

Die Rechnung für die Türkei aber könnte hoch ausfallen. Doch wenn die Auswirkungen bei der Bevölkerung in den kommenden Jahren spürbar werden, wird Erdoğan sein Ziel vielleicht schon erreicht haben.

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