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Standard & Poor’s War Frankreichs Herabstufung ein Test und kein Fehler?

Standard & Poor’s erklärt die irrtümliche Herabstufung Frankreichs mit einem Computerfehler. Doch einzelne Analysten argwöhnen, dass die Agentur die Marktreaktion testen wollte. S&P bleibt Antworten schuldig.

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Breakdancer vor dem Eiffel Turm. Nach der Fehlmeldung von S & P stand auch Frankreichs Finanzwelt und Politik Kopf. Quelle: AFP

Paris Noch immer wird in Frankreich gerätselt, wie es dazu kommen konnte, dass das Land sein Top-Rating vergangene Woche verloren hat – für eine Stunde und 43 Minuten. So viel Zeit verging am Donnerstag, zwischen einer Falschmeldung der Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) um 15.57 Uhr an einige Kunden per E-Mail, wonach sie Frankreich herabgestuft habe, und der Korrektur um 17.40 Uhr. Besonders pikant daran: Seit Wochen werden immer wieder Zweifel an Frankreichs AAA laut.

Sercan Eraslan, ein Anleiheanalyst der WestLB, sagt: „In meinen Augen war das entweder ein Test, wie die Märkte auf eine Herabstufung Frankreichs reagieren würden oder tatsächlich ein signifikanter Fehler, wie er eigentlich nicht passieren darf.“ Jean-Pierre Jouyet, Chef der französischen Finanzaufsicht, pflichtet bei, Akteure wie S&P „müssen in der Lage sein, einen derartigen Vorfall zu vermeiden“. Eraslan sagt: „Ich kann mir gut vorstellen, dass es ein Test war.“

Der Fehler treibt nicht nur Politiker auf die Barrikaden. Er hat trotz aller nachträglichen Dementis die ohnehin vorhandenen Zweifel an der Kreditwürdigkeit Frankreichs genährt. So sprach der einstige Chef der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, Jacques Attali, das aus, was viele denken: „Machen wir uns keine Illusionen: Auf den Märkten haben die (französischen) Staatsanleihen kein AAA mehr.“ Und „Le Journal du Dimanche“ berichtete, selbst französische Banken und Versicherer hätten in den vergangenen Tagen für mehrere Milliarden Euro Frankreich-Bonds verkauft, darunter das größte Geldhaus des Landes, BNP Paribas.

Die EU-Kommission stellte indirekt den vergangene Woche präsentierten neuen Sparplan infrage, indem sie Frankreich für 2012 ein Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent prognostiziert und für 2013 von 1,4 Prozent. Die Planungen der Regierung basieren auf einer (mit ein respektive zwei Prozent) deutlich optimistischeren Wachstumsannahme. Der französische Finanzaufseher Jouyet sagte zur EU-Prognose: „Das ist eine andere Art, um uns zu sagen, dass die von Frankreich angekündigten Maßnahmen nicht ausreichen, um das Ziel zu erreichen, 2013 wieder zu einem Defizit von drei Prozent zurückzukehren.“ Behielte die EU-Kommission recht, läge der Wert dann rund zwei Prozentpunkte höher.


Die Ausrede: Programmierfehler

Frankreichs Finanzminister François Baroin forderte von der französischen und der europäischen Finanzmarktaufsicht, „Ursachen und mögliche Konsequenzen“ der S&P-Panne zu untersuchen. Eine Herabstufung würde das Land wohl Jahr für Jahr eine Milliardensumme kosten. Dementsprechend drastisch bezeichnen manche den möglichen Verlust der Top-Bonität als „finanzielles Stalingrad“. Ein Regulierer warf der Ratingagentur vor, einen „Atomkrieg ausgelöst“ zu haben.

Der aus Frankreich stammende EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier sprach von einem „schwerwiegenden Vorfall“. Und der deutsche Bundestag stimmte für eine Resolution zur schärferen Kontrolle und stärkeren Haftung der Ratingagenturen.

Die brisante Betreffzeile der E-Mail von S&P am Donnerstag lautete: „Frankreich (Republik) (unbeauftragtes Rating): Herabstufung“. Zwar passte der Rest der Nachricht gar nicht dazu, doch schlagartig lagen die Kreditzinsen Frankreichs um 1,7 Prozentpunkte über dem Zinsniveau, das Deutschland zahlen muss – ein historischer Rekord.

Später korrigierte sich S&P in einer fünfzeiligen Mitteilung und bekräftigte die Top-Bonität Frankreichs. Am Freitag erholten sich die Bonds des Landes zwar, doch weder Kreditzinsen noch Kreditausfallversicherungen sind auf das Niveau vor der Panne gesunken. Abends meldete sich die Ratingagentur erneut zu Wort: Ein Programmierfehler soll schuld an der Panne gewesen sein.


S&P beantwortet offene Fragen bislang nicht

S&P hatte nicht das Staatenrating Frankreichs auf eine Prüfliste gesetzt - sondern die Risiko-Klassifizierung für die Bankensysteme von insgesamt 86 Ländern (BICRA-Ratings). Das führte nur im Falle Frankreichs zu einem folgenschweren Irrläufer.

Als die Ratingagentur dann die Überprüfung aller 86 Banken-Länderratings beschloss und die Ratings deswegen als „nicht verfügbar“ einbuchte, „interpretierte das System das fälschlicherweise als Herabstufung“, so S&P. Wieso in der Betreffzeile des Irrläufers aber die Republik Frankreich auftaucht, erklärt das nicht unbedingt.

Denn die ursprüngliche Falschmeldung, die dem Handelsblatt vorliegt, ist eine Mischung aus Staatenrating und dem Banken-Länderrating. Die Betreffzeile ist so ausgefüllt, wie es bei einer echten Herabstufung Frankreichs auch wäre, sagte einer der Empfänger dem Handelsblatt. Doch der Text der E-Mail sehe anders aus.

Es ist nicht die erste Panne, die sich S&P im Umgang mit Staatenratings erlaubt hat. Als die Agentur im August die Top-Bonität der USA herabstufte, musste sie sich von der US-Regierung vorwerfen lassen, dass sie sich in ihrer Begründung um zwei Billionen Dollar verrechnet hatte. Bald darauf nahm S&P-Chef Devan Sharma seinen Hut – offiziell hatte das ganze selbstverständlich nichts mit der Kritik zu tun.

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