Start-Up-City Palästinas Silicon Valley

Wasserrutschen, eine Reitschule und ein Safari-Park. Eine neue palästinensische Stadt in der Westbank etabliert sich als Innovationszentrum und zerschlägt Klischees. Doch anfangs war die Bevölkerung skeptisch.

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„Wir wollen eine säkulare, liberale weltoffene Stadt sein“, sagt Bashar Masri. Quelle: Pierre Heumann

Rawabi/Westbank Bashar Masri glaubt an Palästina. Und er arbeitet daran: Als Manager und Investor, als Visionär und Macher. „Wir sind im Staatsaufbau-Modus“, sagt der 56-Jährige, „hier gedeiht der Katalysator für unsere Start-Up-Nation“. Mit „hier“ meint er die Stadt Rawabi, die unter seiner Ägide auf den sanften Hügeln der Westbank entstanden ist. Hier soll der palästinensische Mittelstand ein neues Heim finden, ein Zentrum, in dem moderne Wohnungen, High-Tech-Jobs, Unterhaltung und ein Einkaufszentrum gebündelt sind.

Viele sprechen und träumen vom Staat Palästina: Die einen, indem sie draußen in der Welt für ihre Anliegen werben, die anderen, indem sie Israel terrorisieren. Masri, der aus einer der reichsten palästinensischen Familien stammt, hat sich für eine andere Strategie entschieden: Er schafft Tatsachen, will mit seinem Technologie-Cluster ein palästinensisches Silicon Valley realisieren, wo man, so der Slogan, „leben, arbeiten und wachsen“ kann. Das Zeitalter der „Abus“ sei vorbei, meint Masri und denkt an Abu Abbas (Beiname für den Präsident Palästinas), Abu Amar (nom de guerre von Arafat) oder an Terroristen wie Abu Jihad oder Abu Nidal.

Masri will seinen Landsleuten eine bessere Zukunft ermöglichen und den Beweis antreten, dass Palästinenser Städte bauen können, und zwar qualitativ hochwertige. Das Wasser wird vor Ort aufbereitet, es entstehen Schulen, bald ist die Klinik fertig. In den dereinst sechs Stadtteilen sollen bis zu 40.000 Palästinenser wohnen. In Rawabi wird nicht nur höchste Wohnkultur und Lebensqualität geboten. Es entstehen auch Jobs.

Das Innovationszentrum soll Firmennamen wie Google, Microsoft, Cisco, Intel, Microsoft oder Mellanox anlocken. Palästina werde dann, hofft er, weltweit nicht mehr so sehr als Hotspot für Widerstand, Terror, Armut und Flüchtlingselend bekannt sein, sondern vor allem als Innovationszentrum. In einem ersten Schritt will sich die Stadt als Software-Outsource-Zentrum für internationale Firmen profilieren; dabei sehe er sich in der gleichen Liga wie osteuropäische Länder, sagt Masri.

Sein Ehrgeiz: Die jungen Leuten sollen eine bessere Zukunft haben. Tausende von Palästinensern haben die Stadt gebaut, mit Löhnen, die um 30 Prozent höher sind als als der palästinensische Mindestlohn. Als kleine Sensation, als Novum in der von Männern dominierten arabischen Welt muss gelten, dass rund ein Drittel der Architekten und Ingenieure Frauen sind.

Während Masri an grünen Salatblättern knabbert, schwärmt er vom Innovationspotential Palästinas. Fast alle Unter-30-Jährigen hätten einen Hochschulabschluss, würden Englisch sprechen und seien mit den neuen Technologien bestens vertraut. Masri nutzt dieses Potential als Chance und entwickelt in Rawabi einen Tech-Hub. Das soll, sagt er, die Moral aller jungen Palästinenser heben.

Denn noch seien die Möglichkeiten nicht genutzt, sagt Masri: „Jeder Vierte der 20- bis 30-Jährigen ist arbeitslos.“ Und es werde immer schlimmer: „Jedes Jahr kommen Zehntausende neue Uni-Absolventen hinzu. Das ist entweder eine tickende Zeitbombe – oder eine große Chance“, sagt Masri.

Jammern ist nicht sein Ding. Vor zehn Jahren begann Masri mit der Umsetzung des Projektes, dessen Kosten derzeit auf 1,4 Milliarden Dollar geschätzt werden – doppelt so hoch wie ursprünglich geplant. Die Gelder stammen von Masris Firma Massar und vor allem vom Staatsfond Katars.

Er habe zwar keinen Grund zur Annahme, dass sich die aktuelle Krise am Persischen Golf auf Rawabi auswirken werde, sagt er dem Handelsblatt. Natürlich, so Masri, wolle Doha jetzt in erster Linie die Probleme mit den Nachbarn wieder zurechtbiegen. Er hoffe aber, dass sich die Lage am Golf bald wieder normalisieren werde.

Mit dem Lösen von Problemen kennt sich Masri aus. Beim Bau der palästinensischen Stadt waren immer wieder Hindernisse zu überwinden. Krieg in Gaza und Gewalt in der Westbank verzögerten die Bauarbeiten. Schwierigkeiten musste Masri auch wegen des Standortes überwinden. Die Stadt ist von Territorium umgeben, das Israel kontrolliert. Deswegen musste er mit den israelischen Behörden lange über die Wasserversorgung, den Anschluss ans Stromnetz und Straßenverbindungen verhandeln. Er baue Rawabi, um die schwierigen Bedingungen der Besatzung zu überwinden, indem er für Palästinenser als erstes eine eigene Stadt baue, sagt Masri und fügt hinzu, dass das bloß der Anfang sein solle.


Vom Traum, eine palästinensische Stadt zu gründen

Aufgewachsen ist Masri, Spross einer der reichsten Familien Palästinas, in der Westbankstadt Nablus. Er ist sechs Jahre alt, als Nablus während des Sechs-Tage-Kriegs von Israel erobert wird, was die jordanische Herrschaft beendet. Als Teenager ist er immer wieder mit israelischen Soldaten konfrontiert, die in Nablus patrouillieren. In seiner Kindheit habe er an Gewalt geglaubt, sagt Masri, während er in seinem Büro seine Zukunftsstadt beschreibt. Er organisierte in seinem Gymnasium den Widerstand, plante Demonstrationen oder protestierte in Briefen an den damaligen UN-Generalsekretär Kurt Waldheim gegen die Besatzung.

Weil der junge Masri Gewalt anwendet und Steine gegen israelische Soldaten wirft, muss er ins Gefängnis, erstmals als 14-Jähriger, dann nochmals zwei Jahre später. Als 1987 die Intifada ausbricht, beteiligt er sich wieder aktiv in planenden Gremien am Widerstand. Nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis schreibt er sich in einem amerikanischen College ein und studiert an der Fakultät für Chemieingenieure und Management, arbeitet dann in den USA, gründet seine eigene Investitionsfirma Massar International und heiratet eine Amerikanerin.

Früh habe er realisiert, erzählt er, dass sich die Palästinenser nicht auf die arabischen „Brüder “ verlassen können, (er setzt das Wort Brüder mit zwei Fingern in der Luft in Anführungszeichen). Sich ständig als bemitleidenswertes Opfer zu bejammern, schloss er als Zukunftsmodell indessen aus.

Und so wuchs in ihm im Laufe der Jahre sein Traum, eine palästinensische Stadt zu gründen. 1994, als der israelisch-palästinensische Schulterschluss für Optimismus sorgt, kehrte er aus den USA in seine Heimat zurück. Doch als er mit dem Bau einer palästinensischen Stadt beginnen will, bricht die zweite Intifada aus. Deshalb weicht Masri mit seinem Investitionsprojekt nach Marokko aus.

Rawabi, Arabisch für „Hügel“, ist inzwischen eine stolze Stadt, die zu erschwinglichen Preisen Wohnungen in einem modernen Ambiente anbietet. Das Amphitheater, das bis zu 20.000 Zuschauern Platz bietet, ist bereits gebaut, eine Klinik praktisch bezugsfertig. Geplant sind zudem sieben Kinos, ein Hotel, ein Schwimmbad mit Wasserrutschen, eine Reitschule, eine Safari-Anlage. Als Magnet werde sich auch das Einkaufszentrum Q-Center (Q steht für den ersten Buchstaben Katars, englisch Qatar) erweisen, ist Masri überzeugt. Internationale Labels wie Timberland, North Face, McGregor, Wrangler, Max Mara, Nine West sind schon hier, Mango hat ebenfalls eine Niederlassung angekündigt.

„Wir sind begeistert, dass all diese klingenden Namen zu uns kommen“, meint eine junge modebewusste Frau in einem dieser High-End-Geschäfte. Sie habe bisher ihre Kleider in Amman oder in Istanbul gekauft. Das letzte Mal habe sie in der Türkei für Schuhe, Taschen und Modeartikel 3.000 Dollar gezahlt. Jetzt werde sie das Geld zu Hause ausgeben und zudem die Reisekosten sparen können.

Das Gerüst der Moschee steht schon, eine Kirche wird es ebenfalls geben, der Grundstein wurde bereits gelegt, begleitet von einer kleinen Feier. „Wir wollen eine säkulare, liberale weltoffene Stadt sein“, sagt Masri. Die Radikalen würden sich hier nicht wohl fühlen, meint der Stadtplaner Ibrahim Natour auf die Frage, ob er nicht befürchte, dass sich auch Islamisten und Fanatiker hier niederlassen und den Aufbau stören könnten.

Anfänglich stieß Rawabi bei Teilen der Bevölkerung auf Skepsis. Vor allem unter den Konservativen sah man sein Projekt kritisch, als etwas Fremdes, als etwas Modernes, mit dem man sich nicht identifizieren konnte. Doch es ging nicht nur darum, dass eine westliche Stadt auf palästinensischer Erde entstehen sollte. Masri wurde zudem vorgeworfen, er kollabiere mit der Besatzungsmacht Israel. Um alle Bewilligungen für den Bau der Stadt zu erhalten, musste er nämlich mit israelischen Offizieren, Beamten und Politikern verhandeln.

Das „normalisiere die Besatzung“, warfen ihm Palästinenser vor, die Kontakte mit Israeli strikte ablehnen. Zu den Kritikern gehören auch Vertreter der Palästinensischen Befreiungsfront und der Regierung. Präsident Mahmoud Abbas hat sich in Rawabi, dem ökonomischen Erfolgsmodell Palästinas, noch nie blicken lassen. Die palästinensische Regierung unterstützt das Projekt nicht.

Masri lässt sich dadurch indessen nicht beirren. Was in Rawabi mit privaten Geldern bisher und künftig realisiert werde, das sei „das neue Palästina, mit dem wir uns befassen müssen“.

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