Um Missverständnisse vorzubeugen: Derzeit entfallen rund drei Viertel des Einkommenssteueraufkommens auf das reichste Viertel der Deutschen. Sie sind der Rückgrat des deutschen Staatshaushaltes.
Allerdings wurden die Superreichen durch die Steuerreform vor mittlerweile zwölf Jahren überproportional stark entlastet. Sie treten im Schnitt 34 Prozent ihres Einkommens an den Fiskus ab. Vor der Reform waren es noch 48 Prozent, schreiben die Wissenschaftler Stefan Bach, Giacomo Corneo und Viktor Steiner in einer Studie für das "German Economic Review". Zudem gebe es einen "Werkzeugkasten an legalen Steuertricks", mit dem sie ihr zu versteuerndes Einkommen drücken konnten.
Die internationalen Spitzensteuersätze
Die Griechen haben einen vergleichsweise niedrigen Spitzensteuersatz von 40 Prozent. Die Abgabenquote, also der Anteil an Steuern und Sozialabgaben des Bruttosozialprodukts, betrug im Jahr 2010 nach OECD-Erhebungen 30,9 Prozent.
Noch weniger zahlen die reichen Amerikaner. Der höchste Steuersatz beträgt 35 Prozent - und der Wert ist seit zehn Jahren konstant. Auch in puncto Abgabenquote ist Amerika mit 24,8 Prozent mehr als bescheiden.
Frankreich hat derzeit noch einen mittleren Spitzensteuersatz von 41 Prozent. Ab Herbst 2012 will die Regierung jedoch einen Höchstsatz von 75 Prozent durchsetzen. Das wäre der höchste Satz in ganz Europa. Die Abgabenquote der Franzosen betrug vor zwei Jahren 44,4 Prozent. Das heißt, dass 44,4 Prozent des BIPs aus Steuern und Sozialabgaben bestanden.
Italien hat seinen Spitzensteuersatz zuletzt im Jahr 2005 verändert. Damals wurde der Satz von 45 auf 43 Prozent gesenkt. Genauso hoch, also 43 Prozent, ist auch die italienische Abgabenquote im Jahr 2010 gewesen.
Im Jahr 2011 betrug der Höchststeuersatz in Spanien 45 Prozent. So hoch war er bis zum Jahr 2006 schon einmal, wurde dann aber auf 43 Prozent gesenkt. Im Zuge der Sparmaßnahmen setzte die spanische Regierung den Satz vergangenes Jahr dann wieder herauf. Nur die Abgabenquote ist mit 31,7 Prozent vergleichsweise niedrig.
Wie auch in Spanien beträgt der deutsche Spitzensteuersatz 45 Prozent. Im Jahr 2003 betrug er noch 57 Prozent. Die deutsche Abgabenquote liegt mit 38,2 Prozent (Stand 2011) allerdings über der der Spanier.
Die Schweden sind, was den Höchststeuersatz angeht, ganz weit vorne. Reiche Schweden müssen 56,6 Prozent ihres Einkommens versteuern, 2003 waren es noch 57 Prozent. Allgemein zahlen die Schweden recht viel Steuern: Die Abgabenquote betrug im vergangenen Jahr 45,8 Prozent.
Die Folge: Immer mehr Deutsche empfinden das Steuersystem als ungerecht. In einer Allensbach-Umfrage äußerten 78 Prozent der Befragten ihre Zweifel, dass die Abgabenlast in Deutschland fair verteilt ist. "Was die Bürger umtreibt, ist der berechtigte Verdacht, dass es in unserem Steuersystem eine Vielzahl von Sondervergünstigungen für unterschiedlichste Gruppen gibt – zum Beispiel für Hoteliers, Landwirte oder Aktionäre. Es schleicht sich das Gefühl ein, dass der einfache Lohn- und Mehrwertsteuerzahler der Dumme ist", sagt Scherf.
"Ich glaube, dass niemand gerne Steuern bezahlt", fügt Rixen hinzu. "Deswegen gibt es einen Impuls, das System aus der eigenen Perspektive zunächst einmal als ungerecht zu empfinden – auch wenn das vielleicht gar nicht so ist. Das ist ein nachvollziehbarer Reflex."
Kalte Progression wird billigend in Kauf genommen
Objektiv ungerecht und leistungshemmend – darüber herrscht in Politik und Gesellschaft Einigkeit – ist die kalte Progression. Sie beschreibt das Phänomen, dass Lohnerhöhungen zu einer höheren Abgabenquote führen. Lohnerhöhungen kommen so beim Arbeitnehmer kaum an. Eine Indexierung könnte das Problem beheben. So könnte der Steuertarif automatisch dem jährlichen Wirtschaftswachstum angepasst werden. Andere Länder machen es vor, doch die deutsche Politik verharrt im Stillstand.
Der Verdacht liegt nahe, dass das Gerechtigkeitsproblem durch die kalte Progression von der Politik billigend in Kauf genommen wird. Schließlich führt die kalte Progression automatisch zu Mehreinnahmen. Rixen erklärt: "Den so genannten Mittelstandsbauch wegzunehmen, würde zu massiven Einnahmeausfällen des Staates führen. Das wird wahnsinnig teuer."