Streik der Lkw-Fahrer Brasiliens Wirtschaft droht der völlige Stillstand

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Streik der brasilianischen Lkw-Fahrer trifft Ölkonzern Petrobras hart

Nicht nur in der Landwirtschaft, auch sonst in der Wirtschaft beginnt der Streik gewaltige Schäden zu verursachen: Als die Wirtschaftszeitschrift „Valor Econômico“ am Montag in São Paulo ihre jährliche Preisverleihung für die besten Unternehmer nach Branchen abhielt, war die Stimmung gedämpft. Zum Feiern war niemandem zumute. Vom Bildungskonzern Kroton etwa erklärte Rodrigo Galindo, dass inzwischen knapp die Hälfte seiner Universitäten im Land geschlossen hätte, weil weder Lehrer noch Schüler zum Unterricht erscheinen würden.

Die größten Ausfälle meldet die Bauwirtschaft. 40 Prozent der Bauaktivitäten in ganz Brasilien seien gestoppt, heißt es beim Verband. Auch in den Autofabriken des Landes stehen die Bänder still, wegen fehlender Zulieferungen. Die Hersteller von Konsumgütern wie Kühlschränken, Möbel, Kosmetik, Kleidung schicken ihre Mitarbeiter nach Hause und schließen die Fabriken – mit katastrophalen Folgen in der Wertschöpfungskette. Doch derzeit fällt es schwer, das Ausmaß des Schadens genau zu beziffern – weil noch gar nicht absehbar ist, was noch alles passieren könnte: „Das größte Risiko derzeit ist, dass der Streik weiter anhält und auf andere Bereiche der Gesellschaft übergreift“, warnt Candido Bracher, Präsident von Itau, der größten Bank Brasiliens.

Unklar ist jedoch weiterhin, warum die Streikenden nicht die Blockaden beenden, wenn doch ihre Forderungen erfüllt wurden. Zu Beginn des Streiks hieß es, dass ein Teil der brasilianischen Agroindustrie die Streikenden unterstützt: Vor allem die Großfarmer und Händler, denen die hohen Treibstoffpreise die Margen drücken, würden zu den Truckern halten. Auch die Motorradboten in den Großstädten und Betreiber von Schulbussen haben sich den Streikenden angeschlossen und blockieren zusätzlich die Straßen.

Die Regierung vermutet, dass die fünf großen Spediteure Brasiliens hinter den Kulissen den Streik organisieren und die Lkw-Fahrer und ihre Gewerkschaften auffordern, in den Verhandlungen hart zu bleiben – ohne sich selbst daran zu beteiligen. Die Justiz hat angedroht, Strafen zu verhängen, sollten sich Beweise für eine konzertierte Aktion zwischen Gewerkschaften, Fahrern und Transporteuren finden lassen. Doch bisher kam es zu keinen Verhaftungen. Zu Beginn des Streiks zeigte die große Mehrheit der Brasilianer in den sozialen Netzwerken überwiegend Sympathie für die Blockade-Politik. Die Zustimmung schwindet langsam, nachdem die meisten Menschen die Folgen der Versorgungsmängel zu spüren bekommen.

Größter Leidtragender in der Wirtschaft ist der staatlich kontrollierte Ölkonzern Petrobras. Nach den gewaltigen Korruptionsaffären und Missmanagement schien der Ölkonzern wieder auf dem Weg der Besserung zu sein. Doch nun dekretierte die Regierung, dass der Konzern seinen Diesel um zehn Prozent billiger abgeben muss. Auch darf der Konzern die Treibstoffpreise künftig nur noch einmal im Monat an die internationalen Quotierungen für das Fass Öl anpassen, statt täglich wie die letzten zwei Jahre. Für den Eingriff in die Preispolitik des Konzern straften die Investoren den Konzern ab: Petrobras verlor in zehn Tagen rund ein Drittel seines Börsenwertes. Gerüchte halten sich, dass der von der Regierung eingesetzte Manager Pedro Parente zurücktreten könnte, der den Konzern wieder auf Fahrt gebracht hat. Merrill Lynch und Credit Suisse setzen das Risiko von Petrobras wieder eine Stufe herauf. „Die Maßnahmen zeigen, dass Petrobras weiterhin dem direkten Einfluss Brasilia ausgesetzt ist und damit verletzbar bleibt“, sagt Christopher Garman von Eurasia.

Mit dem Absturz der Petrobras-Aktie, dem bisher wichtigsten Blue-Chip in São Paulo, verlor auch die Börse insgesamt seit Streikbeginn rund zehn Prozent. Der Dollar hat sich dieses Jahr bereits ähnlich hoch gegenüber dem Real aufgewertet. Der Streik zeige, wie labil die Lage in Brasilien Wirtschaft und Politik derzeit sei, sagt Analyst Joel Velasco von Albright Stonebridge Group. „Die Regierung ist unfähig, auf die Krise zu reagieren.“ Das gilt jedoch für die gesamte Politik: Abgeordnete, Senatoren, Minister und Gouverneure ducken sich angesichts der schweren Versorgungs-Krise lieber weg. Der Grund: In Brasilien hat der Vorwahlkampf begonnen. Im Oktober werden der Präsident und Teile des Kongresses erneuert. Der geschwächte und unbeliebte Präsident Temer versucht nun, die Krise irgendwie auszusitzen – ihm bleibt kaum etwas anderes übrig, weil er vier Monate vor den Wahlen über keine Mehrheit mehr im Kongress verfügt.

Selbst der vergebliche Versuch, mit dem Ruf nach dem Militär Stärke zu zeigen, erwies sich als Fehlzünder: Es scheint, dass sich die Militärs weigern, die Lkw von den Straßen zu holen. Bisher sind keine Vertreter der Streitkräfte aufgetaucht, um eine der landesweit rund 500 Blockaden aufzulösen. Das Problem: Die Streikenden wissen, dass die schwache Regierung erpressbar ist und noch mehr zu holen ist. Bereits jetzt demonstrieren die Lehrer. Morgen wollen die Ölarbeiter in den Streik gehen. Luiza Trajano, Besitzerin der Einzelhandelskette „Magazine Luiza“ warnt vor einer weiteren Verschärfung des Konflikts: „Brasilien wird nach dem Streik ein anderes Land sein.“

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