Streit mit Türkei eskaliert Erdogan wirft Deutschland „Nazi-Praktiken“ vor

Im Streit mit Deutschland gießt der türkische Präsident Erdogan neues Öl ins Feuer: Er wirft Deutschland „Nazi-Praktiken“ vor. Die Empörung lässt nicht lange auf sich warten. Die Zeichen stehen weiter auf Konflikt.

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Der türkische Staatspräsident hat mit einem Nazi-Vergleich den Streit mit Deutschland weiter verschärft. Quelle: AFP

Istanbul, Berlin Mit einem Nazi-Vergleich hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den hitzigen Streit mit Deutschland um Wahlkampfauftritte seiner Minister weiter verschärft. „Eure Praktiken machen keinen Unterschied zu den Nazi-Praktiken in der Vergangenheit“, sagte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntag in Istanbul. Erdogan reagierte damit auf mehrere Absagen für geplante Wahlkampfauftritte türkischer Politiker hierzulande. Auch der Fall des inhaftierten deutsch-türkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel belastet das Verhältnis beider Ländern weiter schwer.

Deutschland habe nichts mit Demokratie zu tun, sagte Erdogan weiter. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner reagierte empört. Der Nazi-Vergleich sei ein „neuer Höhepunkt der Maßlosigkeit“, sagte sie der „Bild“-Zeitung. „Es ist schlicht unverschämt.“

Erdogan konterkarierte damit auch Bemühungen um eine Verständigung zwischen Ankara und Berlin. Ministerpräsident Binali Yildirim sprach am Samstag in einem einstündigen Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch über die Wahlkampfauftritte, wie Anadolu meldete. Die Türkei werde ihre „Taktik beim Wahlprogramm etwas ändern“, sagte Yildirim demnach. Das Gespräch wurde in Berlin bestätigt, Details aber nicht genannt.

In dieser Woche will sich Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit seinem deutschen Kollegen Sigmar Gabriel treffen. Der SPD-Politiker warnte vor einer weiteren Eskalation der Lage. „Wir dürfen das Fundament der Freundschaft zwischen unseren Ländern nicht kaputt machen lassen“, schrieb er in der „Bild am Sonntag“.

Mit Spannung wurde am Sonntag ein Auftritt des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci in NRW erwartet. In Leverkusen wollte er ein Grußwort bei einer Kulturveranstaltung sprechen, in Köln später am Abend vor Landsleuten für das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem werben.

Dieses würde dem Präsidenten deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen. An der Volksabstimmung am 16. April können auch im Ausland lebende wahlberechtigte Türkeistämmige teilnehmen, darunter rund 1,41 Millionen Menschen in Deutschland.

Verschiedene deutsche Städte hatten Wahlkampfveranstaltungen türkischer Minister abgesagt. Im badischen Gaggenau wurde das zum Beispiel mit Sicherheitsbedenken begründet. Auch zwei Veranstaltungen mit Zeybekci in Köln-Porz und Frechen platzten. „Es ist nicht möglich, das zu akzeptieren“, sagte Zeybekci am Sonntag.


„Überzogene türkische Reaktionen”

Schon am Freitagabend hatte Erdogan bei seinen Attacken gegen Deutschland nachgelegt und den inhaftierten Journalisten Yücel als „deutschen Agenten“ bezeichnet. Das Auswärtige Amt nannte den Vorwurf „abwegig“.

Zu den Absagen der Ministerauftritte sagte Erdogan: Die Verantwortlichen müssten wegen „Beihilfe zum Terror vor Gericht kommen“.

Ministerpräsident Yildirim forderte die deutschen Behörden auf, „ihre mit einer guten bilateralen Beziehung unvereinbare Einstellung zu überdenken“. Justizminister Bekir Bozdag warf Deutschland vor, Menschenrechte „mit Füßen zu treten“. Er nannte die Absage seines Auftritts im badischen Gaggenau ein „faschistisches Vorgehen“.

Deutsche Politiker wie die Integrationsbeauftragte Aydan Özguz, kritisierten die türkischen Reaktionen. Sie seien „völlig überzogen“, sagte die SPD-Politikerin der „Augsburger Allgemeinen“.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann forderte die Türkei zur Mäßigung auf. Türkischen Wahlkampf auf deutschem Boden lehne er ab, sagte der CSU-Politiker der „Bild“-Zeitung. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warb dagegen für Toleranz. „Wenn wir Meinungsfreiheit ernst nehmen, dürfen wir nicht Gleiches mit Gleichem vergelten“, sagte er der „Welt am Sonntag“.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) pocht auf eine klare Linie der Bundesregierung beim Umgang mit den Wahlkampfauftritten. „Welches diplomatische Instrument da genommen wird, das muss die Bundesregierung selbst entscheiden, da sehe ich auch die Kanzlerin mit am Zug“, sagte sie im Deutschlandfunk.

Die niederländische Regierung prüft derzeit, ob sie einen geplanten Auftritt Cavusoglus in Rotterdam rechtlich verhindern kann. Dafür hatte sich Ministerpräsident Mark Rutte ausgesprochen. Österreichs Kanzler Christian Kern plädierte in der „Welt am Sonntag“ für ein EU-weites Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker.

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